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Opern-Kritik: Bregenzer Festspiele – Madame Butterfly

In der Seelenlandschaft

(Bregenz, 20.7.2023) Die Bregenzer Festspiele zeigen in diesem Sommer letztmalig Puccinis japanische Tragödie in der poetischen Inszenierung von Andreas Homoki. Die Premiere der Wiederaufnahme bescherte knapp 7000 melomanen Menschen einen magischen Abend.

vonPeter Krause,

Je dunkler der Nachthimmel über dem Bodensee sich färbt, desto magischer hebt sich das Bühnenbild von Michael Levine aus der Abendstimmung ab. Die leicht zusammengeknüllte japanische Papiermalerei, die in der Installation der Bregenzer Festspiele faktisch 300 Tonnen wiegt, wirkt jetzt ganz hauchzart schwebend, vor uns wie zufällig hingeworfen, als ein Element von Theatermagie, wie es in normalen geschlossenen Theatern so nicht möglich wäre. Immer mehr zeichnet sich während der zwei intensiven Puccini-Stunden darauf die mit feinen Strichen gezeichnete Gebirgslandschaft ab, die – dramaturgisch bestechend – nichts anderes bezeichnet als die Seelenlandschaft der Titelfigur. Ihr reiches Innenleben wird sichtbar, ihre tiefe Verwurzelung in ihrer uralten Kultur wird spürbar. Und die Landschaft ihrer Seele scheint so viel größer und ewiger zu sein als die allzu menschlichen Leidenschaften der Figuren, die ihren Fußabdruck auf sie setzen.

Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023
Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023

Der Zauber des Intimen im Gigantischen

Die bewusste Abkehr der Cio-Cio-San von dem japanisch Eigenen und ihre Hinwendung zum amerikanisch Fremden – in Gestalt des Marineleutnants B.F. Pinkerton, in den sie sich ohne Rücksicht auf Verluste verliebt – wird vor diesem Bild-Hintergrund umso tragischer deutlich. Die starke Setzung der Neuinszenierung vom vergangenen Jahr hat sich ihren Zauber des Intimen im Gigantischen absolut bewahrt. Man bedauert fast, dass die Produktion nun mit dem 20. August 2023 (und sechs Vorstellungen pro Woche, in drei wechselnden Besetzungen der Hauptpartien) abgespielt sein wird. Im kommenden Sommer feiert dann Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ in der Regie von Philipp Stölzl Premiere als Spiel auf dem See.

Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023
Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023

Subtil abgemischte Farbwerte der Wiener Symphoniker

Wetter-Schockmomente wie bei der Premiere im vergangenen Jahr, die abgebrochen und nach einer unfreiwilligen Pause ins Festspielhaus verlegt werden musste, gab es diesmal nicht. Kleine Irritationen löst nur ganz zu Beginn die Tonabteilung aus, die für die ersten Einsätze der Sänger minimal zu spät die Regler der Verstärkung hochfuhr. Die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola, die für das Spiel auf dem See in perfektem Timing aus dem Festspielhaus zugespielt werden, evozierten vom Fugato des Anfangs an subtile, frühimpressionistisch abgemischte Farbwerte – von der Technik exzellent eingefangen und übertragen. Allenfalls die Fortissimo-Stellen der überbordenden Puccini-Passion wirken im Tribünenhalbrund am See leicht übersteuert, entsprechen letztlich nicht der Natürlichkeit des Klanges im Opernhaus.

Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023
Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023

Zwei Weltklasse-Sängerinnen triumphieren

Die Premierenbesetzung der Frauenstimmen ist in diesem Jahr erneut Weltklasse. Barno Ismatullaeva verfügt über einen Sahnesopran vom Feinsten. Ihr Timbre ist von edler Fraulichkeit, ihr Atem ohne Grenzen, ihr Pianissimo von einer Tragfähigkeit, einer Affekt-Intensität und so voller Schattierungen, dass sie die Seelentiefe der Cio-Cio-San in jeder Phrase verströmt. Die gefährdete Unschuld der jungen Butterfly wird in Barno Ismatullaevas Gesang mitunter durch die Anmutung und die Anmut einer Träne gezeichnet. Für die Reifung der Titelfigur mischt sie ihrer Traumstimme immer mehr dramatisch große Töne bei. Annalisa Stroppa schenkt Cio-Cio-Sans Vertrauter und Dienerin Suzuki ihren noblen Mezzosopran voller famoser pastoser Töne. Etwas unter dem Niveau der beiden Damen präsentieren sich die Herren der Puccini-Schöpfung. Otar Jorjikia als Pinkerton sang im vergangenen Jahr noch als dritte Besetzung, stieg nun zur Premierenbesetzung auf. Zu Beginn hatte sein eleganter Tenor im Forte noch einige hölzerne Härten. Sein Mezza Voce sprach dann weitaus besser an. Der warme Sharpless-Bariton von Brett Polegato wirkte mitunter stimmlich etwas flach.

Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023
Szenenbild aus Puccinis „Madame Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen 2023

Wahre Größe entwickelt diese „Madame Butterfly“, weil sie sich musikalisch wie szenisch der Poesie des Stücks verschreibt, die auch in der einfühlsamen Personenregie von Andreas Homoki, den Lichtstimmungen von Franck Evin und den Videoprojektionen von Luke Halls sensibel akzentuiert wird. Das Intime des Werks wird im Monumentalen des Bühnenbilds ideal eingefangen.

Bregenzer Festspiele
Puccini: Madame Butterfly

Enrique Mazzola (Leitung), Andreas Homoki (Regie), Michael Levine (Bühne), Antony McDonald (Kostüme), Franck Evin (Licht), Luke Halls (Video), Lucy Burge (Choreographie), Barno Ismatullaeva, Annalisa Stroppa, Hamida Kristoffersen, Otar Jorjikia, Brett Polegato, Taylan Reinhard, Omer Kobiljak, Stanislav Vorobyov, Matthias Hoffmann, Riku Seewald, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor

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