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„Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen: Wo bleibt die Logik-Polizei?

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Elisabeth Teige und Klaus Florian Vogt
Verbotene Geschwisterliebe: Sieglinde (Elisabeth Teige) trifft zu Beginn des Stücks auf Siegmund (Klaus Florian Vogt). © Enrico Nawrath

Auch der „Walküre“ beschert Valentin Schwarz einige Regie-Extras. Doch sind die überraschenden familiären Neuerungen für den Wotan-Clan letztlich nur modernistische Garnierung. Dafür gibt es einen musikalischen Sprung im Vergleich zum Vorjahr.

Der Tatbestand bleibt Inzest, doch nicht wie von Richard Wagner erdacht. Sicher, da gibt es die stückgemäß verbotene Liebe zwischen den Zwillingen Siegmund und Sieglinde. Doch das Kind, das sie unterm Herzen trägt, stammt von Papa Wotan – der später auch noch den Bauch der Bewusstlosen betasten wird. Überraschend ist das, schockierend, vor allem soll es die Denkmaschine des Publikums anwerfen: Was das wohl bedeutet? Welche Konsequenzen dies hat? Welche der vielen „Ring“-Nebenwege damit zusätzlich erhellt werden könnten?

Viele solcher Einfälle, die nicht vom Komponisten stammen, hat Regisseur Valentin Schwarz bei den Bayreuther Festspielen auch in der „Walküre“ platziert, dem zweiten „Ring“-Teil. Etwa dass wir der Beerdigung von Liebesgöttin Freia beiwohnen. Dass Wotan und Fricka genau beobachten, ob Tochter Brünnhilde den sündigen Siegmund wirklich ins Jenseits holt. Oder dass dieser zuvor nicht mit Schwert Nothung hantierte, sondern mit handlicher Pistole. Und irgendwann, das ist der Knackpunkt der Schwarz-Arbeit, dämmert es einem: Das Nachdenken über die Extras bringt uns keinen Deut weiter. Die Einfälle machen sich und die Aufführung nur vordergründig interessant, gaukeln Neues, Tiefe vor und bleiben lediglich Garnierung. Der Abend tarnt sich mit Modernismus und wird zum Fall für die Logik-Polizei..

Dirigent Pietari Inkinen betreibt sorgfältige Detailarbeit

Immerhin hat die „Walküre“ im zweiten Jahr einen musikalischen Sprung gemacht. Das liegt zum Beispiel an Catherine Foster, die ihre überforderte Kollegin Iréne Theorin aus dem Premierenjahr ersetzt: eine sehr agile Brünnhilde, die von der lyrischen Linie bis zur dramatischen Eruption alles mühelos abrufen kann. Auch Dirigent Pietari Inkinen ist nicht nur besser als Cornelius Meister anno 2022, sondern auch als bei seinem eigenen „Rheingold“ vom Vortag. Inkinen betreibt sorgfältige Detailarbeit, erspürt die Kraftlinien der Partitur, ihre Schichtungen, gönnt sich und dem Festspielorchester auch das große, gleichwohl gezügelte Aufrauschen. Und bringt das alles viel konziser zusammen als bei seinem Bayreuth-Debüt vor zwei Jahren, als er den Soundtrack zu einer halbkonzertanten „Walküre“-Performance von Hermann Nitsch liefern musste.

Neu im Ensemble ist auch Elisabeth Teige. In Bayreuth setzt man große Hoffnungen auf die Norwegerin, heuer ist sie gleich als Elisabeth, Senta und eben Sieglinde gebucht. Eine intensive Darstellerin mit kühlem Sopranlodern. Keine Schmeichelstimme, eher ein herber Charakterklang. Doch das Kompromisslose strahlt zeitweise auf den Gesang aus. Da gibt es dann verhärtete, nicht gut kontrollierte Töne und Grenzübertritte, die mittelfristig ungesund sein können.

Ganz anders bei Klaus Florian Vogt. Der Schritt ins Heldenfach hat seiner Stimme überraschend gutgetan. Neben den noch immer zärtelnden, liedhaften Tönen, die seinen Lohengrin so singulär machen, hört man nun beim Siegmund auch stabile, kraftvolle, körperhafte Dramatik. Dass er 2024 hier beim nächsten „Ring“-Durchgang den Siegfried übernimmt, ist eine vollkommen logische vokale Entwicklung.

Christa Mayer ist als Fricka (auch stimmlich) viel präsenter als im ersten „Ring“-Durchlauf vor einem Jahr. Wer Georg Zeppenfeld besetzt, muss sich um die Rolle null Sorgen machen – wie auch hier beim Hunding. Und Tomasz Konieczny darf heuer endlich alle „Ring“-Wotane stemmen. Die große Erfahrung mit der Partie ist ihm anzumerken. Konieczny weiß genau, wie er seine Kraft einteilt und wovon er singt – vielleicht weniger, wie er manchen sprachlichen Verzerrungen Herr werden könnte. Tief ist er in die Partie des Göttervaters hineingekrochen. Das imponiert, ist aber nicht nur sach-, sondern auch Ego-dienlich. Konieczny hat das Problem, dass er überdreht, überzeichnet und sich als permanenten Mittelpunkt begreift. Der Abend wird zur großen Wotan-Show. Auch das hätte ein kundiger Regisseur kanalisieren können.

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