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Start bei Salzburger Festspielen mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“: Die Bräute der Mafiosi

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Dem Begehren zu Füßen liegen: Cherubino zwischen der Gräfin (l.) und Susanna. Foto: Matthias Horn/SF
Dem Begehren zu Füßen liegen: Cherubino zwischen der Gräfin (l.) und Susanna. Foto: Matthias Horn/SF © Matthias Horn

Die Salzburger Festspiele starten mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“ in Martin Kušejs derber Lesart und musikalischer Hochform.

So ausbalanciert wird man „Le nozze di Figaro“, wenn überhaupt, selten auf der Bühne hören, mit einem so homogenen Ensemble solcher Klasse, mit einem so präzisen Mozart-Klang. Dem weichen, perfekt konturierten Grundklang der Wiener Philharmoniker gibt die minuziöse Ton-für-Ton-Arbeit des französischen Dirigenten Raphaël Pichon eine untergründige Aggressivität bei, auch einen in der Süße verborgenen Ernst auf Leben und Tod. Und während auf der Bühne Blut fließt und Regisseur Martin Kušej auf eine verblüffend altmodisch derbe Art versucht, dem Publikum vor den Latz zu knallen, wie problematisch der gesellschaftliche Status quo im „Figaro“ ist, 1786 uraufgeführt, bietet die Musik die aufregend subversive Lesart davon. Das ist auch, aber nicht nur politisch zu verstehen. Gerade der Musik, schreibt Laurenz Lütteken in seinem klugen Buch „Mozart. Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung“, habe man in diesen Jahren zugetraut, „das Ungenaue, Unscharfe, Changierende dieser (menschlichen) Verhältnisse für den Zuhörer, wenigstens im Augenblick des Erklingens, glaubhaft darzustellen“.

Dies ist zum Auftakt der Salzburger Festspielpremieren im Haus für Mozart nun zu hören. Die Affekte sind nicht mehr barock rasant, Pichon und die Sängerinnen (auch die Sänger) unterwandern sie, lassen sie schillern und sich überlagern. Immer wieder hält Pichon in den großen Arien die Zeit an, wenn Lea Desandres zarter Cherubino in „Voi che sapete“ stark verzögert. Oder die Gräfin lange abwartet in „Dove sono i bei momenti“, das der guatemaltekischen Sopranistin Adriana González als überwältigendes Stück gelingt, dargebracht in eleganter Untertreibung. Die Traurigkeit, die Süße und ohnehin die Lust wollen Ewigkeit oder wenigstens alle Zeit der Welt, aber sie wollen kein Diventum.

González bietet die größte der Frauenstimmen, aber sie wird fein abgemischt mit den nicht minder nuancenreichen von Desandre sowie Sabine Devieilhe als kultiviertester aller denkbaren Susannen. Sie passt zu ihrem Figaro, Krzysztof Baczyk, der mit einem schlanken, gut geformten Bass antritt. Seine Angriffslust, wenn er dem Grafen zum Tänzchen aufspielen mag, ist bei aller Subtilität so schnittig, dass es die Mächtigen das Fürchten lehren müsste. Der Mann des Abends ist gleichwohl Andrè Schuen als extrem viriler Graf Almaviva, kraftgesättigt, aber nicht losgelassen die Stimme, der Körper auch in Boxershorts ansehnlich.

Es ist ein auf Sinn und Klugheit ausgerichtetes Singen, eine in Töne gebrachte Aufklärung, die sich auch in den Rezitativen voll entfalten kann – auch dank des brillanten Manns am Hammerklavier, Pedro Beriso. Pichon lässt eine Art Fast-Sprechen praktizieren. Nichts wird rasch abgehandelt, alles ist Augenblick und Leben. Serafina Starke hat das Glück, Barbarina zu sein und das Lied von der verlorenen Nadel singen zu dürfen, was sie in tiefer Melancholie absolviert. Interessant aber, dass Pichons musikalische Ausgestaltung in ihrer Tiefe dieses Liedchenwunder gar nicht mehr so sehr als Solitär dastehen lässt, der es sonst ist. Fast jede Arie ist so ein Innehalten, auch ein großes Alleinesein.

Nun ist es so, dass die Regie von Kušej diesen Weg ein Stück mitgeht, um ihn insgesamt zugleich mit einem groben Grundkonzept abzusperren. Almaviva ist in Salzburg zweifellos der Chef einer Verbrecherorganisation. Damit man das auch gleich merkt, macht er sich noch vor seinem ersten offiziellen Auftritt die Hände schmutzig und erschießt einen Unbekannten. Alle sind bis auf die Zähne bewaffnet, das kann zu ulkigen Situationen führen, wenn wirklich alle auf alle zielen, aber die Pistole von Bartolo, Peter Kálmán, dann doch bloß ein Feuerzeug ist. Der Mann, der im Keller gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl sitzt, ist verblüffenderweise der Gärtner. Eine Operninszenierung hat keine Verpflichtung auf innere Logik, aber das Herbeizwingen neuer Zusammenhänge sollte einen irgendwie voranbringen. Hier weiß man nicht recht, ob die Regie die Gewalt parodieren will (sie aber damit furchtbar bagatellisiert) oder ob sie sie ernsthaft herausstellen will.

Prinzipiell werden energische Worte von gezogenen Waffen begleitet. An eine Außenscheibe rennen Mädchen in weißen Kleidern an, bald sind sie blutig, brechen zusammen. Im nächtlichen Gelände tragen Männer mit bloßem Oberkörper gehäutete Rehe vorbei. Es ist immer Jagd, es ist immer Gewalt, das ist wohl wahr, aber es ist auch eine Plattitüde. Sie bekommt den üblichen Beigeschmack, wenn der Almaviva, der Mistkerl, sich von einer Statistin im Unterhöschen ankleiden lässt und man bald nicht mehr weiß, ob das jetzt noch Gesellschaftskritik ist oder eine Gelegenheit, einer fast nackten Frau längere Zeit beim Arbeiten zuzuschauen.

Damit man begreift, dass es hier auch um Sexualität geht, sitzt eine Statistin als Gräfinnen-Double mit entzückendem Rücken auf einem Badewannenrand, während die Gräfin selbst Courbets „Ursprung der Welt“ betrachtet. Viel männliche Perspektive an diesem Abend der superinteressanten Frauen.

Kušej ist nicht nach Lachen zumute. Wenn er lustig wird, wird er noch derber als im Ernst. Dann treffen sich Susanna und die Gaunerin Marcellina, Kristina Hammarström, der Kostümbildner Alan Hranitelj den Look einer emanzipierten älteren Frau gibt, auf der Damentoilette. Die auch bei Mozart ironische Wiederfindung der kleinen Familie Marcellina, Bartolo und Figaro ist hier eine Kneipenszene unter schwer Beschwipsten. Alles bloß eine Schnapsidee, teilt uns die Regie mittels Holzhammermethode mit.

Aber wo treffen sich Regie und Musik denn nun? Wenn auch auf der Bühne zwischen den Figuren nur der Augenblick zählt, Liebe und Begehren sich sekündlich neu orientieren. Cherubino ist das Zentrum dieser magischen Anziehungskräfte, aber sie betrifft alle. Augen und Hände sind wie Fühler. Das ist eine völlig andere Sphäre als die der übergestülpten Mafia-Welt.

Ansehnlich und aufwendig sind Raimund Orfeo Voigts Bühnenbilder, die eine ganze Reihe immer wieder anderer Räume vorüberfahren lassen. Eine unwohnliche Welt, schick nur die Bar, an der sich Figaro und Susanna auch in der ersten Szene schon einen angesüffelt haben. Es gibt gewaltige gekachelte Zimmer, leere Salons, es geht runter bis auf Ebene -7 und nachher in einen finster verwilderten Park. Viele Zwischenräume, für viele Operninszenierungen zu verwenden.

Trotz der (unerfüllten) Begehrlichkeiten sind das letztlich einsame Menschen. Im starken ersten und letzten Moment begegnen sie uns still an der Rampe, keine Pärchen, keine Berührungen. Kurzer, tüchtiger Jubel, ein paar Buhs für die Regie.

Salzburger Festspiele, Haus für Mozart: 30. Juli, 5., 11., 15., 17., 20., 28. August. www.salzburgerfestspiele.at

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