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Eine Wagner-Klasse für sich: „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen

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Klaus Florian Vogt und Ekaterina Gubanova
Roadmovie mit tragischem Ausgang: Tannhäuser (Klaus Florian Vogt) bricht mit Venus (Ekaterina Gubanova) in ein neues Leben auf. © Enrico Nawrath

Dieser „Tannhäuser“ bleibt das Beste in Bayreuth. Auch dank der Neuzugänge: Nathalie Stutzmann debütiert im Graben, Klaus Florian Vogt erstaunt in der Titelrolle.

An ein paar Stellen maskiert sich Wagner als Italiener. An den ersten beiden Aktschlüssen zum Beispiel, wenn die Musik zum Stretta-Spurt übergeht, immer schneller wird, um sich lustvoll über die Ziellinie zu werfen. Und das Beste: Genauso hört man es hier. Dazu Unendliches mehr. Da sind diese Widerhaken und Fingerzeige, die aus der weiten Klanglandschaft herausragen und die Aufmerksamkeit verdienen. Oder die große, an diesem Abend nie präpotente Geste der Chorszenen. Die Eleganz, die Flexibilität, die Dramatik ohne Pathos. Auch die auskomponierte Leere im dritten Akt, wenn es keine Zukunft mehr gibt und Einsamkeit die Figuren verschluckt. Dazu ein stetes gemeinsames Atmen mit den Sängerinnen und Sängern, ein symbiotisches, kollegiales Musizieren, das Bühne und Orchestergraben zu einem Organismus macht. Und das Allerbeste: All dies gelingt Nathalie Stutzmann bereits jetzt. Den „Tannhäuser“ hat sie schon dirigiert, bei den Bayreuther Festspielen ist sie erstmals engagiert. Als sie vors Publikum tritt, reißt es dieses von den Klappsitzen – ein solches Debüt ward hier lange nicht erlebt (hier ein Interview zum Debüt bei den Münchner Philharmonikern).

Wundersam fügt sich diese Interpretation zu einer Inszenierung, die seit der Premiere 2019 Kult geworden ist. Weil sie, Stand 2023, alles deklassiert, was sonst am Grünen Hügel zu erleben ist. Dabei thematisiert Regisseur Tobias Kratzer „nur“ das, was uns alle irgendwann bewegt: einmal aussteigen, alles hinter sich lassen, bloß weg aus der Normalität. Nicht nur ein Midlife-Crisis-Phänomen ist das. Hier ist es ein Tannhäuser-Sänger, der sich von Bayreuth und seiner Flamme Elisabeth lossagt, um mit der coolen Venus, der Dragqueen Le Gateau Chocolat und dem kleinwüchsigen Oskar (Manni Laudenbach) aufzubrechen ins neue Leben.

Dieser Abend provoziert Lach- und andere Tränen

Was als amüsantes Roadmovie beginnt, sich zur Hügel-Satire entwickelt, kippt irgendwann in die existenzielle, tödliche Tragödie. Kratzer, Ausstatter Rainer Sellmaier und Video-Künstler Manuel Braun lassen einen die Taschentücher zücken. Anfangs, um die Lach-, später, um die anderen Tränen zu trocknen. Und wie stark eine Inszenierung ist, zeigt sich, wenn sich Neubesetzungen perfekt einfügen.

Elisabeth Teige als Elisabeth mag nicht mit Klangliebreiz betören. Auch verhärtet sich manchmal die obere Lage. Doch passt ihr dunkler Charaktersopran vor allem im Finalakt zu dieser Frauenstudie. Die größte Überraschung ist Klaus Florian Vogt. Den Tannhäuser hat er schon in München gesungen. Nun registriert man, wie sich sein ätherischer Lohengrin-Tenor entwickelt hat. Die Heldentöne sind stabil, haben Raum, sind nicht forciert. Nie hört man Grenzübertritte, auch in der Drastik der Rom-Erzählung. Vogt riskiert da einiges, bleibt aber stimmlich frisch. Und mag er, ein altes Leiden, mehr nachatmen als die Kollegen: Wenn dabei eine solche Interpretation herauskommt, darf man das gern überhören.

Ekaterina Gubanova, schon 2019 dabei, gibt das schräge, etwas textundeutliche Venus-Luder. Markus Eiche ist in seiner Wolfram-Verzweiflung glaubhaft, weil er ohne Kammersänger-Attitüde auskommt. Günther Groissböck ist ein viriler, juveniler, genau schattierender Landgraf. Siyabonga Maqungo empfiehlt sich als Walther für große Aufgaben. Und wenn Julia Grüter den Mund aufmacht, wird der junge Hirt plötzlich zur Hauptrolle.

Die wenigen Buhs gehen in Ovationen unter. Wie jedes Jahr gibt es neue Video-Gags. Heuer zeigt sich das Regie-Team in Matrosenkluft mit Hamburg-Wappen auf dem Koffer. Kratzer wird bekanntlich 2025 Intendant der dortigen Staatsoper. Und noch einen weiteren Aufkleber sieht man: 2024 sei man wieder zurück. Dass dieser „Tannhäuser“ nicht, wie ursprünglich geplant, in diesem Jahr seine Derniere erlebt, sondern weiterläuft, ist ein Glücksfall. Wegen solcher Aufführungen fährt man schließlich in die oberfränkische Provinz.

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