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Marthalers „Falstaff“ in Salzburg – Alle betrogen

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Die Frauen planen. Hinten nicht Falstaff, sondern Orson Welles. Oder ist das ein und derselbe?
Die Frauen planen. Hinten nicht Falstaff, sondern Orson Welles. Oder ist das ein und derselbe? Ruth Walz/SF © Ruth Walz/SF

Christoph Marthaler müht sich bei den Salzburger Festspielen anspielungsreich, aber fruchtlos mit Verdis „Falstaff“ und Orson Welles ab.

Auch die Regie der zweiten Verdi-Shakespeare-Premiere dieser Salzburger Festspielsaison hat ein Loch in der Mitte. Es befindet sich genau da, wo die Hauptfiguren und ihre sehr viel mehr oder sehr viel weniger schlimmen Missetaten sich überaus individuell ausbreiten könnten und müssten. Hauptfiguren von jener finster- oder heiter-drastischen Natur, nach denen sich jeder die Finger schleckt. Nur die beiden Regisseure waren es anscheinend leid.

Gingen in Krzysztof Warlikowskis von Ideen, Dingen und Kindern überfüllter „Macbeth“-Inszenierung der Titelheld und seine Frau als fatales Paar weitgehend verlustig, so ist Christoph Marthalers Falstaff nun zwar gedoppelt, aber eigentlich weg. Der Falstaff, den Gerald Finley spielt, hat nicht einmal Lust, sich einen Bauch anschnallen zu lassen, welcher nun sozusagen freiflottierend auf der Bühne unterwegs ist. Der Bauch ist aber bei Sir John kein beliebiges Utensil, sondern integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit. Der andere Falstaff, der halbwegs wie Falstaff aussieht, ist tatsächlich aber der Regisseur Orson Welles, gespielt von dem Schauspieler Marc Bodnar, der am Ende auch eine Zeile singen darf. Sehr ordentlich singt er, und es ist ein verhältnismäßig witziger, weil überraschender Moment. Alles auf der Welt mag Scherz sein, wie es im Text heißt, aber was das ist, ein Scherz, wird schließlich unterschiedlich definiert.

Interessant in diesem konkreten Fall: Die sozusagen offiziell und doch normalerweise auch tatsächlich äußerst scherzhaften Elemente der „Falstaff“-Handlung – die Frauen und ihre gutgelaunte Anti-MeToo-Kampagne, die Männer und ihre Eifersucht / Tändelei / Fehleinschätzung der Situation – werden beiläufig abgehandelt. Viel Liebe steckt dafür in den Slapstick-Szenen mit einem Swimmingpool und einem Korb. Der Swimmingpool stammt aus dem Orson-Welles-Film „The Other Side Of the Wind“, der Korb stammt aus „Falstaff“. Er ist hier das Objekt akrobatischer Übungen, wie auch die Sprünge und Stürze in den Pool immer virtuoser und auslaugender werden. Die Schauspielerin Liliana Benini und der Tänzer Joaquin Abella übernehmen das mit Aufopferung und Können, während das Sängerensemble spielend nicht besonders viel zeigen darf. Mit ihnen hat das auch wenig zu tun. Falstaff zum Beispiel denkt nicht daran, sich mit dem Korb ausschütten zu lassen.

Orson Welles andauernde Anwesenheit und das wimmelige Filmset-Setting auf der Bühne erklären sich aus einem ehrgeizigen Plan. Marthaler (mit seinem Regiemitarbeiter Joachim Rathke) und die Ausstatterin Anna Viebrock greifen drei Welles-Filme auf: Seine Falstaff-Verfilmung mit Welles selbst als Titelhelden, „Chimes At Midnight“ (1965); die Filmfilmsatire „The Other Side Of the Wind“ (1970-76), aus der auch Teile des Bühnenbildes stammen, und schließlich das dazugehörige Making-of „They’ll Love Me When I’m Dead“. Da ein Opernabend kein filmwissenschaftliches Seminar ist, birgt das von vornherein Risiken.

Trotzdem könnte es seine Reize haben, hat es aber nicht. Es handelt sich um jene Art von Plan, der mit so viel Leben erfüllt sein muss, dass er zunächst intuitiv aufgeht und man erst im Anschluss mehr wissen will und sich auf die Suche nach den Quellen begibt und ein zweites Mal staunt.

Stattdessen geht er unter anderem deshalb nicht auf, weil sich Orson Welles naturgemäß niemals mit einer einzigen Zeile Texte zufrieden geben würde, ohnehin nicht damit, hier praktisch als Edelstatist eingesetzt zu sein. Bodnar spielt auf Geheiß des wahren Regisseurs Marthaler auch zu defensiv. Gelegentlich ein bisschen zu gestikulieren, macht noch kein Regiegenie. Und eine Verschachtelung, bei der ein von einem Schauspieler gespielter Regisseur sich mit einer Figur in seinem eigenen Film (über-)identifiziert, und hinter allem aber ein weiterer Regisseur mit ergrautem Bart steckt – der 71-jährige Schweizer Marthaler –, macht noch keine geniale Regie. Die Geschichte von Falstaff, dem Dummkopf und Lumpenkerl, mit dem man am Ende dennoch Mitleid hat, gerät dabei vollständig ins Hintertreffen, ist bloß noch eines jener Filmknäuel, in die sich auch die Statisten und Statistinnen auf der Bühne verheddern (wenn sie nicht im Kabelsalat stecken oder in den Pool fallen, es ist eine Menge los, wie gesagt).

Auch die Musik kommt ins Hintertreffen, das hat sie nicht verdient. Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker lassen ja durchaus hören, wie sich der bei der Uraufführung 1893 bereits 80-jährige Verdi maßstabbildend in einer gerade erst entstehenden Moderne platzierte. Die Verzahnung von Wort (Arrigo Boitos Shakespeare-Paraphrase) und Ton kann enger nicht sein, ein besonderer Hohn, wenn die Handlung nurmehr abserviert wird. Metzmachers Orchesterklang schärft den modernen Eindruck gerade durch seine Sprödigkeit, mehr unterkühlt als schwungvoll, aber begeisterungswürdig kompakt, schlank und straff.

Der kanadische Bassbariton Finley ist als noch nicht von einer Laryngitis genesen angesagt, singt aber fit, wenngleich vermutlich ein wenig gedrosselt. Er ist wohl auch sonst ohnehin nicht der berserkerhafte, sondern klangschöne Falstaff, was man immer häufiger hört und was der Partie ganz gut steht. Unter den übrigen Partien, von der Regie stiefväterlich behandelt, funkelt etwa die Mrs. Quickly von Tanja Ariane Baumgartner in perfekten Tiefen. Simon Keenlyside singt einen beweglichen, markanten Ford. Giulia Semenzato als Nannetta und Bogdan Vokov als Fenton geben dem einzigen Liebespaar des Abends alle stimmliche Jugendsüße mit, die man sich an dieser Stelle wünschen kann.

Dabei geht gerade das auch die beiden betreffende Happyend regelrecht unter (die Verwicklung muss halt irgendwie wieder ausgewickelt werden). Stattdessen ist Bodnar-Welles in aller Ruhe im „Chimes At Midnight“-Ritterkostüm zu sehen und stiehlt der umwerfenden Schlussmusik die Schau. Klanglich ist ansonsten alles gut abgemischt, auch mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (einstudiert vonvon Huw Rhys James).

Alle sind betrogen, aber nicht nur von ihren Eitelkeiten, ihren Dummheiten und von einander, wie es im Text steht, sondern auch von einer überkomplizierten Regieidee, durch die sich das Regieteam passenderweise selbst betrogen hat. Rasch schwindender Beifall, maßvolle Euphorie für die musikalische Seite, kein Widerstand gegen den Buhsturm, als das Inszenierungsteam sich verbeugt. Hinten im Parkett wissen etliche außerdem nicht, wie sie schnell genug aus dem Saal kommen sollen – was aber wohl auch damit zu tun hat, dass es im Zuge eines irrsinnigen Unwetters allen Ernstes reintropft.

Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus: 16., 20., 23., 25., 30. August. www.salzburgerfestspiele.at

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