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Bohuslav Martinus „The Greek Passion“ in Salzburg: Der kurze Traum, dass der Mensch auch anders könnte

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Die Dorfbevölkerung hat den Geflüchteten nicht viel zu sagen, das aber in Großbuchstaben. Foto: Monika Rittershaus/SF
Die Dorfbevölkerung hat den Geflüchteten nicht viel zu sagen, das aber in Großbuchstaben. Foto: Monika Rittershaus/SF © Monika Rittershaus

Bohuslav Martinus „The Greek Passion“ schreit uns sanft unsere Schändlichkeit entgegen und ist zugleich der Höhepunkt des Opernprogramms bei den Salzburger Festspielen.

Bohuslav Martinus „The Greek Passion“ ist so sehr eine Oper der Stunde, dass unbegreiflich erscheint, wie noch irgendein Theater auf sie verzichten möchte. Es ist auch nicht so, dass es gar keine Aufführungen gäbe, im vergangenen Jahr beispielsweise am Theater Osnabrück. Das Theater Osnabrück soll hochleben. Bei den Salzburger Festspielen war der Auftritt freilich umso einleuchtender, als hier doch ein relativ einflussreiches Publikum zusammenkommt – vielleicht des Themas oder Titels wegen sind auch Geistliche im Saal –, dem nun das Unrecht unterlassener Hilfeleistung entgegengedonnert wurde durch die Kraft einer Geschichte und einer Musik. Einer gar nicht donnernden und dadurch noch wirkungsvolleren Musik.

Martinu (1890-1959), als Komponist vom französischen Impressionismus wie vom amerikanischen 20. Jahrhundert mitbeeinflusst – in Paris lebte er gerne, in die USA floh er vor den heranrückenden Deutschen –, entwickelte eigene „byzantinische“ Kirchenklänge, um seinem Libretto auf einen Roman von Nikos Kazantzakis einen geeigneten Rahmen zu geben. Die in Salzburg gespielte Fassung ist die übliche zweite, 1961 in Zürich uraufgeführt – dass die erste mit ungleich mehr gesprochenem Text arbeitete, ist heute nur noch interessant, weil es daran erinnert, wie wichtig Martinu eine direkte Vermittlung der Worte war. Auch macht es noch imposanter, wie arios und zugleich ökonomisch die durchkomponierte Fassung gelungen ist, eine Musik mit „liturgischen“ und „volkstümlichen“ Passagen – ohne dass sich der Tscheche Martinu genau darauf festlegen müsste, welches „Volkstum“ das nun sein soll –, eine Musik ohne Leerläufe, mit großartigen, breiten Chorpartien und virtuos anskizziertem Personal. Dirigent Maxime Pascal setzt sie noch dazu mit den Wiener Philharmonikern ohne weitere Zucker- oder Pathoszugabe um, lockt ihren ruhigen Ernst hervor. Die Chöre lenkt er nicht nur souverän, sondern so exakt, wie es mit viel kleineren Gruppen nicht immer gelingt. Einstudiert wurden sie von Huw Rhys James (die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor) und Wolfgang Götz (Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor).

Das psychologisch Hochkomplexe und menschlich Verworrene trifft auf die aktuellste aller Situationen. Kazantzakis’ Geschichte spielt im Griechisch-Türkischen Krieg um 1920, aber für uns heute ist es einfach eine Gruppe Geflüchteter, Vertriebener – ihr Dorf abgebrannt –, die jetzt zu Fuß in einem näheren oder ferneren anderen Ort auftauchen. Alle sprechen jedenfalls Griechisch (hier: Englisch, weil Martinu sein Libretto aus einer englischen Übersetzung des Romans erstellte), aber die einen leben ihr gewohntes Leben und wollen es gerne so weiterleben. Die anderen stehen vor dem Nichts und brauchen einen Neuanfang: Essen, Trinken, Land.

Zum gewohnten Leben gehört ein Passionsspiel, soeben sind die Rollen verteilt worden. Der schüchterne, freundliche Hirte Manolios ist – eher widerwillig – Jesus und einer der wenigen, die sich der Ankommenden sofort und intuitiv erbarmen. Genervt ist hingegen der Ortsgeistliche und sind auch die meisten im Dorf: die vertraute Aggression gegen die etwaige Unannehmlichkeit, die Unlust, etwas abzugeben, dieses verdammte Gefühl, dass die anderen doch selbst an ihrem Unglück schuld sein werden. Es wird darauf hinauslaufen, dass der Ortsgeistliche Jesus exkommuniziert und einige Schläger (unter ihnen sinnfälligerweise der Passionsspiel-Judas) es übernehmen, ihn zu ermorden. Die Flüchtlinge ziehen weiter. Die Dorfgemeinschaft singt ein Amen dazu, das wirklich schwer auszuhalten ist.

Diese Oper ist durch die erforderlichen Chormassen, durch die Landschaften, die man sich dabei vorstellt, aber auch durch die Musik eine echte Breitwandoper. An Korngold und gar an Hollywood zu denken, ist nicht abwegig. Eine ideale Bühne dafür bietet die Felsenreitschule, für die der Regisseur Simon Stone einfache, große Bilder findet. Festspielpublikumswünsche und politische Klarheit führen sie eng. Sich abgrundtief zu schämen und begeistert zu applaudieren, bietet sich sehr selten so unpeinlich zur selben Zeit an. Auch zeigt sich zum Ende eines arg angestrengten Salzburger Musiktheaterreigens, dass es nicht nur fruchtbarer, sondern auch leichter ist, die Trampelpfade des Repertoires zu verlassen.

Zuerst ist es eine kleine Enttäuschung, dass Lizzie Clachan die Bogengänge der Felsenreitschule weitgehend hat abdecken lassen. Nachher wird aber der oberste, noch sichtbare Gang für ausgeleuchtete Wanderwege der Geflüchteten genutzt: als wäre da oben die blanke nächtliche Bergnatur. Die Bühne selbst glatt und gleißend hell, in der Rückwand und im Boden öffnen sich zuweilen Luken, von oben kann dann auch Wasser strömen, von unten schießen giftiggelbe Farbgeysire hervor. Im Großen und Ganzen jedoch sind die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen. Sie haben ein leuchtendes Kreuz, für die Träume Manolios’ lässt Stone zudem einen schaurigen luftgefüllten Zappel-Jesus aus der Versenkung auftauchen.

Für zwei markante Fingerzeige hat sich das Team entschieden. Während sich die Stimmung gegen die Geflüchteten anheizt – nein, während der Ortsgeistliche die Stimmung gegen die Geflüchteten anheizt –, seilen sich ein paar Jungs an der Rückwand ab und pinseln in riesigen Lettern „Flüchtlinge raus“ (Refugees out) an die weiße Wand. Und während die Einheimischen von Mel Page Grau in Grau eingekleidet werden, tragen die Fremden, na ja: die anderen kunterbunte Kleidung. Wer sich auf ihre Seite schlägt, wird nach und nach ebenfalls mehr Farbe bekommen. Eine „Momo“-Symbolik, die unaufdringlich bleibt und nicht zuletzt die Orientierung in den großen Gruppen ermöglicht.

Tatsächlich ist Stones feine Personenführung auch eine Lehrstunde, wie andere Menschen einem in wenigen Momenten näher kommen können. Charismatische Protagonisten und Protagonistinnen erleichtern das, so ist Sara Jakubiak als Katerina / Maria Magdalena eine knallharte gleichmütige Außenseiterin und beglaubigt ihr Mitleid mit den Flüchtlingen wie mit dem gemordeten Jesus durch ihren gewaltigen, den Gesamtklang origineller Weise gerade von unten aus fabelhaft dominierenden Sopran. Manolios/Jesus ist Sebastian Kohlhepp mit offenem Visier und mildem, filigranem, sich wie nebenbei komplett durchsetzendem Tenor. Tenorkollege Charles Workman ist der markante Yannakos, im Passionsspiel Petrus, der erst noch sündenanfällig ist, dann der Treueste der Treuen. Dass der Priester der Geflüchteten, Lukasz Golinski, noch durchschlagender singt als der sonore schurkische Ortsgeistliche, Gábor Bretz, gehorcht einer tieferen Gerechtigkeit. Bis in die kleinen Verästelungen wird festspielwürdig gesungen.

Dass ein Eselein und einige Schäfchen auf die Bühne geführt werden, ist ebenfalls eine Freude.

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule: 18., 22., 27. August. www.salzburgerfestspiele.at

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