Salzburger Festspiele 2023: Neuinszenierung von Verdis „Macbeth“

Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth)/Foto
© SF/Bernd Uhlig

Giuseppe Verdis vieraktige Oper Macbeth nach einem Libretto von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei, das auf dem Drama, The Tragedy of Macbeth (1611), von William Shakespeare basiert, wurde am 14. rz 1847 im Teatro della Pergola in Florenz uraufgeführt; eine revidierte Fassung wurde am 21. April 1865 im Théâtre-Lyrique in Paris zur Premiere gebracht. Die Pariser Fassung in italienischer Sprache wird heute am ufigsten aufgeführt (ohne die Ballettmusik im 3. Akt), so auch in der Vorstellung, die ich bei den Salzburger Festspielen am 19. August 2023 im ausverkauften großen Festspielhaus besucht habe. Wie bei der berühmten Einspielung von 1976 unter der Leitung von Claudio Abbado wird in einigen Aufführungen der Schluss der Fassung von 1865 mit der Auflösung von 1847 verbunden. In der ersten Version stirbt Macbeth vor den Augen des Publikums, in der zweiten findet sein Tod außerhalb der hne statt und wird gemeldet, bevor ein triumphaler Chor die Oper beendet. Meiner Meinung nach ist diese Kombination ein Irrtum, denn es hat weniger dramatischen Sinn, Macbeth sterben zu sehen, was ein logischer Schlusspunkt ist, und dann den Chor zu ren, den Verdi als Ersatz den Tod der Titelfigur vorgesehen hat. (Besuchte Vorstellung am 19.08.2023)

Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak), die am 29. Juli 2023 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde, lässt die Handlung in den 1930er Jahren spielen. Obwohl die Gründe für die Verlegung der Handlung in dieser Zeit nicht klar sind, hat die Inszenierung einige echte Vorzüge, insbesondere die Berücksichtigung der Psychologie der Figuren, die mögliche Erklärungen dafür bietet, warum sich jede Figur auf eine bestimmte Weise verhält. Die Handlung in Shakespeares Schauspiel spielt zwar nominell in Schottland, und die Figuren haben typisch schottische Namen, aber abgesehen von Personen- und Ortsnamen ist die Handlung in keiner Weise von diesem Land abhängig. Der Regisseur fügt visuelle Elemente hinzu, die im Originalstück oder in der Oper nicht vorkommen, die aber nicht im Widerspruch zu den Worten und dem Benehmen der Figuren stehen. Auf der Bühne gibt es eine lange Wartebank, auf der Lady Macbeth wartet, bevor sie während der Ouvertüre und des ersten Hexenchors einen Gynäkologen aufsucht, größtenteils, wie viele andere Ereignisse in der Produktion, über ein Schwarz-Weiß-Video gezeigt, das über die Darsteller projiziert wird (Video: Kamil Polak und Denis Guéguin).

Macbeth 2023: Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Statisterie der Salzburger Festspiele/Foto © SF/Bernd Uhlig

Die Hexen werden als blinde Frauen (Prophetinnen) dargestellt, und Macbeth selbst erscheint als ein verwirrter, unsicherer Mann, der einer Prophezeiung folgt, die er nicht ganz versteht. In der Inszenierung gibt es in regelmäßigen Abständen visuelle Darstellungen von Kindesmissbrauch, die sich auf einen Aspekt der Handlung beziehen, der im Libretto angedeutet wird (so wird beispielsweise versucht, Banquos Sohn im Kleinkindalter zu ermorden). Wenn Macbeth sich den ermordeten Banco vorstellt, trägt eine Gruppe Kinder Masken. Während der Feier im zweiten Akt, als Macbeth vor den Augen seiner Gäste einen Nervenzusammenbruch erleidet, werden Babypuppen auf Blumenkohl arrangiert. Als Jungen und Mädchen im Chorgestühl zusammengesunken sind, wird auf Video Herodes’ Feldzug gegen die Erstgeborenen aus Pier Paolo Pasolinis Il vangelo secondo Matteo (Das Matthäusevangelium) gezeigt. Am Ende saß Macbeth im Rollstuhl. Er und Lady Macbeth, von der im Libretto berichtet wird, dass sie bereits gestorben sei, werden von den neuen Herrschern zur Hinrichtung gefesselt. Alles in allem ist dies eine faszinierende Interpretation einer kanonischen Oper, die zeigt, was man mit psychologisch reichen Charakteren und Situationen machen kann.

Eine Frage, die durch das Theaterstück und das Libretto aufgeworfen wird, ist, warum Lady Macbeth ihren Mann dazu bringt, andere zu töten. Es stimmt zwar, dass sie Königin wird, nachdem Macbeth Duncan ermordet hat, aber war das ihr einziges Motiv? Rivalisierende Familien wetteifern um die Macht, und der Hass zwischen ihnen ist offensichtlich.  In Shakespeares Umfeld (dem Elisabethanischen England) hätte Lady Macbeths Unfruchtbarkeit sie unnatürlich und von Natur aus böse erscheinen lassen. In Warlikowskis Inszenierung macht die gynäkologische Untersuchung Lady Macbeth zwar traurig, erklärt aber nicht ganz, warum sie andere Menschen und deren Nachkommen töten will. Eine Idee, die ich habe und die weder im Stück noch im Libretto ausdrücklich unterstützt wird, ist, dass ein Mitglied von Lady Macbeths eigener Familie ein Opfer politischer Intrigen gewesen sein könnte. Wenn es sich bei einigen der von ihr ermordeten Personen um Mitglieder rivalisierender Sippen handelt, die ihre Verwandten umgebracht haben, dann würden ihre Beweggründe als Racheakte (oder Gerechtigkeit, wie sie es sehen könnte) mehr Sinn ergeben.

Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth)/Foto © SF/Bernd Uhlig

Ich schlage dies vor, weil Asmik Grigorian Lady Macbeth als eine verletzliche Frau interpretiert, deren Handlungen bis zu einem gewissen Grad von äußeren Kräften bestimmt zu sein scheinen, die mächtiger sind als sie selbst. Weit davon entfernt, grausam oder ungeheuerlich zu sein, ist Grigorians Lady Macbeth eine traurige Figur, die ihren Mann dazu bringt, einen Mord zu begehen, weil ihr selbst Unrecht widerfahren ist. Kritiker könnten argumentieren, dass dies im Widerspruch zum Libretto steht und die Figur falsch darstellt. Nach Verdis Vorgaben war für die Rolle eine Sopranistin drammatico d’agilità vorgesehen. Grigorians Sopranstimme ist lyrischer und weniger dramatisch, als man normalerweise mit dieser Rolle verbindet. Besonders wirkungsvoll ist, dass ihr Stimmtyp zum Konzept dieser Produktion passt: Lady Macbeth ist verletzlich, verführerisch und manipulativ, aber nicht unbedingt das Ungeheuer, das mehrere dramatische Soprane verkörpert haben. Wenn man diese Vorstellung von Lady Macbeth akzeptiert, dann ist Grigorian fesselnd und absolut überzeugend. Lady Macbeths Macht liegt in ihrem Charme und ihrer Liebenswürdigkeit, die es ihr leicht macht, ihren neurotischen Ehemann zu manipulieren, damit er eine Reihe von Morden begeht, die zum Untergang der beiden führen.

Der Bariton Vladislav Sulimsky verkörpert die Titelrolle als einen paranoiden, ängstlichen Mann, der davon besessen ist, sein Schicksal zu ergründen, indem er Hexen konsultiert und versucht, deren zweideutige Prophezeiungen zu verstehen. Was Macbeth nicht begreift, ist, dass er sich sein Schicksal weitgehend selbst schafft, indem er nach seinen Interpretationen dessen, was die Hexen ihm sagen, handelt. Sulimsky macht deutlich, dass Macbeth ein Gefangener seiner eigenen Wahnvorstellungen ist. Selbst seine Frau hat nur deshalb Macht über ihn, weil er auf ihren Rat hin handelt. Sulimsky brachte Macbeths innere Schwäche und seine Unbeherrschtheit über seine Gefühle und Gedanken visuell und stimmlich zum Ausdruck. Sulimskys Baritonstimme ist kraftvoll, warm und sympathisch, was ihn von vielen berühmten Interpreten der Rolle unterscheidet, die mehr Bosheit hatten. Daher ist seine Interpretation besonders wirkungsvoll, denn Macbeth ist eigentlich ein verletzlicher Mann und nicht nur ein Bösewicht (Verdi komponierte die Rolle für einen Bariton lirico spinto). Als ich Sulimsky diese Rolle spielen sah und hörte, fragte ich mich, wie Macbeths Leben verlaufen wäre, wenn er sich nicht von der Prophezeiung dazu verleiten lassen hätte, den Ehrgeiz zu entwickeln, den Königstitel zu erlangen (er hatte bereits eine hohe Position unter König Duncans Herrschaft).

Mit seiner schwarzen Bassstimme verkörperte Tareq Nazmi das Mysterium und die Tragödie des Banco. Als Macbeths Freund in der Eröffnungsszene ist Banco von den Hexen und der Aussicht, Vater von Königen zu werden, ohne selbst einer zu sein, fasziniert. Nazmi unterstrich Bancos Angst um das Leben seines Sohnes und die Vorahnung seines eigenen Todes mit einer väterlichen Herzenswärme in seiner Stimme in der Arie des zweiten Aktes „Come dal ciel precipita“.

Macbeth 2023: Jonathan Tetelman (Macduff), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor/Foto © SF/Bernd Uhlig

In der vergleichsweise kleinen Rolle des Macduff erntete der Tenor Jonathan Tetelman für seine Arie im 4. Akt („Ah, la paterna mano“), in der er leidenschaftlich den Tod seiner Kinder und die Zerstörung seines Heimatlandes beklagte, begeisterten Beifall. Tetelman verfügt über eine klangvolle Tenorstimme, die diese einzige Arie der Figur besonders packend macht und sie zu einem wichtigen Teil der Handlung werden lässt.

Die kleineren Rollen wurden übernommen von Caterina Piva (Kammerfrau der Lady Macbeth), Evan LeRoy Johnson (Malcom), Aleksei Kulagin (Arzt), Grisha Martirosyan (Diener Macbeths), Hovhannes Karapetyan (Mörder / Herold) und Solisten der Sankt Florianer Sängerknaben (Erscheinungen).

Unter der Leitung von Philippe Jordan spielten die Wiener Philharmoniker, ergänzt durch die Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, mit außerordentlicher Leidenschaft und ohne übermäßige Raffinesse oder Politur, die nicht zu Verdis Ästhetik passt. Jordan trieb das Geschehen mit zügigen, aber flexiblen Tempi voran, die sensibel auf jede dramatische Situation eingingen. Er wusste genau, wann er das Tempo etwas drosseln musste, um den Figuren die Möglichkeit zu geben, ihre Gefühle auszudrücken, ohne dass die Spannung jemals nachließ. Vom ersten Ton der Ouvertüre bis zum Schlusschor veranschaulichten Jordan und die Wiener Philharmoniker die Komplexität von Verdis revidierter Partitur aus dem Jahr 1865. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor hat in verschiedenen Rollen (Hexen, Mörder, die Bevölkerung) die Chöre mit Finesse und Gefühl gesungen.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Redaktion DAS OPERNMAGAZIN
  • Salzburger Festspiele 2023 / Stückeseite
  • Titelfoto: Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth)/Foto © SF/Bernd Uhlig

 

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