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La Bohème

Oper in vier Bildern
Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa
nach Scènes de la vie de bohème von Henri Murger
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 35' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 2. September 2023




Theater Dortmund
(Homepage)
Über den Dächern von Paris

Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Henri Murgers 1851 publizierter Roman Scènes de la vie de bohème avancierte nicht nur zu einem der populärsten Künstlerromane des 19. Jahrhunderts. Er stellte auch eine prädestinierte literarische Vorlage für den mit Beginn der 1890er Jahre aufkeimenden Verismo dar, der realistische Geschichten im niederen sozialen Milieu zum Thema der Oper machte und damit von Menschen handeln sollte, die in der bisherigen Operntradition keine Rolle gespielt hatten. So verwundert es auch nicht, dass mit Ruggero Leoncavallo und Giacomo Puccini sich zwei Komponisten fast zeitgleich entschieden, die tragische Geschichte der an Tuberkulose erkrankten Mimì zu vertonen. Darüber kam es dann auch zum Zerwürfnis zwischen den beiden Freunden. Leoncavallo  warf Puccini vor, ihm den Stoff selbst vorgeschlagen zu haben, was jedoch von Puccini abgelehnt worden sei. Erst daraufhin habe er sich selbst entschlossen, das Thema zu vertonen. Leoncavallos Oper erlebte dann am 6. Mai 1897, ca. 15 Monate nach Puccinis Vertonung, seine Uraufführung, konnte aber mit Puccinis Erfolg nicht mithalten. Puccinis Werk hingegen bewegte das Publikum zutiefst und trat einen beispiellosen Siegeszug an, so dass das Werk auch heute noch zu den populärsten Opern aller Zeiten zählt.

Ähnlich wie Puccinis Madama Butterfly hat sich La Bohème nicht nur seit der Uraufführung im Standardrepertoire der Opernhäuser etablieren können sondern auch spätere Komponisten veranlasst, den Stoff in Form eines Musicals neu zu vertonen. So entstand nach der am 20. September 1989 im Theatre Royal Drury Lane uraufgeführten Miss Saigon von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg mit Madama Butterfly als Vorlage fünf Jahre später das Rock-Musical Rent, in dem Komponist und Autor Jonathan Larson die Geschichte der jungen Künstlergruppe ins New Yorker East Village in das Stadtviertel Alphabet City verlegt. Die Oper Dortmund eröffnet die Spielzeit in diesem Jahr nun mit Puccinis La Bohème und lässt vier Wochen später im gleichen Bühnenbild mit dem gleichen Regie-Team Rent folgen, ein spannendes Projekt, bei dem man die beiden Vertonungen direkt miteinander vergleichen kann (siehe auch unsere Rezension). Für die Inszenierung zeichnet Gil Mehmert verantwortlich, der in Dortmund mit zahlreichen Musical-Produktionen wie Cabaret, Jekyll & Hyde, Sunset Boulevard und West Side Story in bester Erinnerung sein dürfte.

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Monsieur Benoît (Ian Sidden, Mitte) fordert von Rodolfo (Sungho Kim, vorne rechts), Colline (Denis Velev, hinten rechts) und Schaunard (Morgan Moody, links) die Miete für das letzte Quartal.

Die Mansardenwohnung, in der der Maler Marcello und der Dichter Rodolfo hausen und deren Kälte sie mit dem Verbrennen von Rodolfos neuestem Drama zu entkommen versuchen, ist in Mehmerts Inszenierung keine abgeschlossene Wohnung sondern eine Art Loft auf dem Dach eines Pariser Bürgerhauses. Hier befindet man sich im wahrsten Sinne des Wortes "über den Dächern von Paris" und außerhalb aller gesellschaftlichen Normen. Jens Kilian hat dazu eine beeindruckende Dachkulisse geschaffen. Die Einrichtung besteht aus einem Ofen, der zu Beginn mit dem Drama "gefüttert" wird, einer Badewanne, die zu einem Tisch umfunktioniert werden kann, einem mit Farbresten versehenen Stuhl und einem Skelett, das als Garderobenständer dient. Für das Café Momus im zweiten Bild wird die Bühne dann hochgefahren und zeigt auf relativ engem Raum das geschäftige Treiben im Quartier Latin, das die vier Freunde mit Mimì an kleinen Bistro-Tischen von der Rampe aus beobachten. Die Kostüme von Falk Bauer schöpfen dabei vor allem beim Opernchor, Kinderchor und der Statisterie aus dem Vollen und lassen das Publikum mit ein wenig Melancholie in eine längst vergangene Zeit eintauchen.

Umso kälter ist dann das dritte Bild, wenn Mimì an einem Februarmorgen Marcello in dem Tanzlokal aufsucht, in dem er gerade als Wandmaler tätig ist. Die Bühne ist immer noch hochgefahren. Man blickt auf kahle Wände, hinter denen sich Menschen verbergen, denen die vorbeikommenden Straßenreiniger und Milchfrauen Alkohol und Zigaretten zuschieben, die sie durch den Zoll geschmuggelt haben. Marcello bemalt in dieser Szene ein Plakat auf der hochgefahrenen Bühne, während Mimì unten an der Rampe steht. So ist sie zwar im Gespräch mit Marcello weit von ihm entfernt, hat aber dafür Gelegenheit, sich glaubhaft vor Rodolfo zu verstecken und das Gespräch zwischen den beiden Freunden zu belauschen. Für das folgende Quartett werden die beiden Paare dann räumlich getrennt. Während Mimì und Rodolfo unten beschließen, sich erst im Frühling zu trennen, streiten Musetta und der eifersüchtige Marcello oben vor dem Plakat. Das vierte Bild führt dann zurück in die Wohnung auf dem Dach. Mimì stirbt in der Badewanne, und die Inszenierung lässt es offen, ob Rodolfo nach dem Tod Mimìs weiterleben will oder sich vom Dach in die Tiefe stürzt.

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Mimì (Anna Sohn)

Dies alles wird von Mehmert in einer differenzierten Personenregie umgesetzt, bei der auch in den Massenszenen mit dem Chor kein bloßes Herumstehen erkennbar ist. Die Partien sind allesamt mit Ensemble-Mitgliedern besetzt. Für die Premiere sollte eigentlich Sergey Romanovsky als Gast die Rolle des Rodolfo singen. Er musste aber kurzfristig wegen Indisposition absagen, so dass "Haus"-Tenor Sungho Kim kurzfristig die Premiere übernahm, und man fragt sich ernsthaft, wieso man für die Premiere überhaupt auf einen Gastsänger gesetzt hat. Kim begeistert mit strahlendem Tenor, der auch in den Spitzentönen zu glänzen weiß und nicht forcieren muss. So erntet er zu Recht schon großen Applaus für die erste berühmte Arie "Che gelida manina", die er mit tenoralem Charme gestaltet, der nachvollziehbar macht, wieso Mimìs Herz von diesem Dichter im Flug erobert wird. Anna Sohn zeichnet Mimì mit einer unter die Haut gehenden Verletzlichkeit. Ihr Sopran verfügt dabei über wunderschöne lyrische Bögen mit großer Strahlkraft in den Höhen. Mit mädchenhafter Leichtigkeit legt sie die berühmte Arie "Mi chiamano Mimì" an und findet im folgenden Duett "O soave fanciulla" mit Kim zu einer betörenden Innigkeit. Nach dieser Liebeserklärung folgen die beiden auch nicht direkt den Freunden ins Quartier Latin, sondern genießen zunächst noch einen intensiven Moment der Zweisamkeit hinter der umgedrehten Badewanne.

Doch dieses Glück währt nur einen kurzen Augenblick. Bewegend zeigt Sohn Mimìs allmählichen Verfall. Schon im dritten Bild wirkt sie absolut verloren, so dass das dramatische Duett "Addio... Che! Vai?" nicht wirklich hoffen lässt, auch wenn die beiden Liebenden darin beschließen, nach der zwischenzeitlichen Trennung doch noch bis zum Frühling zusammen zu bleiben.

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Musetta (Rinnat Moriah) genießt es, im Mittelpunkt zu stehen (auf der linken Seite von links: Marcello (Mandla Mndebele) und Colline (Denis Velev), auf der rechten Seite von links: Schaunard (Morgan Moody) und Alcindoro (Hiroyuki Inoue), dahinter Opernchor).

Auch das zweite Paar des Abends ist mit Mandla Mndebele als Marcello und Rinnat Moriah als Musetta großartig besetzt. Mndebele überzeugt mit profundem Bariton einerseits als aggressiv eifersüchtiger Liebhaber, der sich von der lebenslustigen Musetta ständig provozieren lässt, und andererseits als einfühlsamer Freund, der sich das karge Leben mit Rodolfo und den anderen durch manchen komischen Schabernack vertreibt, an dem Leid Mimìs jedoch genauso verzweifelt wie sein Freund Rodolfo. Moriah legt die Partie der Musetta ebenfalls vielschichtig an. Mit leichtem Sopran präsentiert sie ihre berühmte Arie "Quando me'n vo" und lässt dabei ihre Reize spielen. In den großen Eifersuchtsszenen mit Marcello gibt sie sich absolut kämpferisch und scheint die Auseinandersetzungen mit ihm regelrecht zu genießen. Dass sie aber keineswegs eine oberflächliche Frau ist, zeigt sie im letzten Bild, wenn sie ihren Schmuck gibt, um Medizin und den Muff für Mimì zu besorgen.

Denis Velev und Morgan Moody runden als Colline und Schaunard das Künstlergespann hervorragend ab. Velev punktet mit markantem Bass, der vor allem in der kurzen Mantel-Arie im vierten Bild begeistert. Moody gestaltet den Musiker Schaunard mit beweglichem Bariton und komödiantischem Spiel. Auch die kleineren Partien sind mit Ian Sidden als Monsieur Benoît und Hiroyuki Inoue als Alcindoro humorvoll besetzt. Der von Fabio Mancini einstudierte Opernchor begeistert durch große Homogenität und Spielfreude. Gabriel Feltz lotet mit den Dortmunder Philharmonikern die unterschiedlichen Schattierungen von Puccinis Partitur differenziert aus, so dass man sich der Tragik der Geschichte nicht entziehen kann und nach Mimìs Tod einfach nur noch weinen möchte. Zu Recht erntet das komplette Ensemble für diese eindringliche Umsetzung großen Beifall.

FAZIT

Gil Mehmert gelingt eine bewegende Umsetzung der Geschichte mit einem stimmlich und darstellerisch hervorragendem Ensemble. Man darf gespannt sein, wie er Rent in dem gleichen Ambiente inszenieren wird.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Regie
Gil Mehmert

Bühne
Jens Kilian

Mitarbeit Bühne
Mara Lena Schönborn

Kostüme
Falk Bauer

Lichtdesign
Michael Grundner

Choreinstudierung
Fabio Mancini

Dramaturgie
Daniel C. Schindler

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor Theater Dortmund

OpernKinderchor und Knabenchor
der Chorakademie Dortmund

Statisterie Theater Dortmund

 

Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Mimì
*Anna Sohn /
Zhala Ismailova

Musetta
*Rinnat Moriah /
Sooyeon Lee

Rodolfo
Sergey Romanovsky /
*Sungho Kim /
Carlos Cardoso /
Jonathan Tetelman

Marcello
*Mandla Mndebele /
Daegyun Jeong

Schaunard
*Morgan Moody /
Daegyun Jeong

Colline
Denis Velev

Parpignol
Błażej Grek

Monsieur Benoît
Ian Sidden

Alcindoro
Hiroyuki Inoue

Ein Zöllner
Carl Kaiser

Sergeant der Zollwache
Youngbin Park

Ensemble
Elena Franke
Anna Hirzberger
Alina Simon
Jonathan Guth
Max Lochmüller


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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