Wiener Staatsoper Tristan und Isolde
Meistern den Stresstest bravourös: Anja Kampe und Andreas Schager.
Wiener Staatsoper / Michael Pöhndits

Sonderlich verliebt scheint dieser Tristan nicht zu sein – jedenfalls nicht in Isolde: Als Schnösel im Dufflecoat wirkt er anfangs vor allem von sich selbst eingenommen, nach dem Konsum des Liebestranks dann schlagartig auf Selbstzerstörung gepolt. Unter der Regie von Calixto Bieito, seit 2022 an der Staatsoper heimisch, braucht es Melots Schwert nicht, um den vormaligen Karrieristen für dessen Affäre mit der Königsbraut Isolde zu bestrafen: Die Wunde schlägt sich der Todesverliebte ganz allein auf dem Weg zum Sehnsuchtsort Schattenreich.

Seit Sonntag ist die Produktion mit den teils fantasiestarken, teils auch blassen Bildern am Haus zurück. Was die Spannung befeuert, ist das Klanggeschehen. In den Händen von Dirigent Philippe Jordan wirken Wagners Melodiebögen wie Kraftvektoren, die inbrunstgespeist in romantische Sphären weisen. Das Problem: Mit der hohen Intensität im Orchester gehen Schallpegel einher, die dem Bühnenpaar einen Stresstest aufbürden.

Treffsicherheit und Drive nehmen ab

Anja Kampe und Andreas Schager meistern diesen aber weitgehend bravourös. Gut – im Verlauf des zweiten Aufzugs büßen die notorisch draufgängerischen Attacken des Österreichers an Treffsicherheit und Drive ein, der Sopran der Deutschen verliert an Durchsetzungskraft und Textprägnanz. Nach der Pause erweckt ein regenerierter Schager dann aber wieder den Eindruck, Eigentümer von mindestens hundert Lungen zu sein, und Kampes "Liebestod" steigert sich von einem verinnerlichten Piano zu gleißenden Legatolinien.

Rund um dieses Duo qualitätvolle Stimmen: Günther Groissböck lässt den König Marke machtvoll, ja, markig poltern; Iain Paterson schmettert als Kurwenal metallisch, Tanja Ariane Baumgartner verleiht der Brangäne tragische Größe, und Martin Hässler verleumdet als Melot mit giftigem Eifer. Nach dem Bühnentod ungeteilter Jubel, ein Wurf-Blumenstrauß für Jordan – und ein herzhafter Schmatzer von Isolde auf Tristans Mund. (irr, 19.9.2023)