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WIEN/ Kammeroper: „DENIS & KATYA“ von Philip Venables. Österreichische Erstaufführung/ Premiere

28.09.2023 | Oper in Österreich

Philip Venables (1979*) „Denis & Katya“ Kammeroper Wien 27. September 2023 (österreichische Erstaufführung):

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Copyright: Peter M. Mayr

Die Aufführung ist eine Kooperation des CAMPUS Programms des Musiktheaters an der Wien mit der Klangforum Wien PPCM Academy. Das Libretto dieser „amplifizierten“ Oper in zwei Teilen stammt von Ted Huffman, die deutsche Fassung von Robert Lehmeier. Uraufgeführt wurde die Oper am 18. September 2019 in Philadelphia. Grundlage bildete die Geschichte zweier 15jähriger Teenager, Denis Murawjow und Katya Wlassowa, die am 14. November 2016 im russischen Dorf Strugi Krasnyje begannen, Videos von sich selbst im Internet zu posten. Sie erklärten ihren Followern, dass sie ausgerissen, sich in einer Datscha versteckt und sich mit Katyas Mutter heftig gestritten hatten, als diese unerwartet in der Datscha erschienen war. Sie finden Waffen und schießen auf den Fernseher, ein Fenster im Nachbarhaus und schließlich auch auf ein Polizeiauto, woraufhin sie von der Polizei eingekesselt werden. Immer mehr Follower, auch aus ihrer Heimatstadt Pskow, schlossen sich ihrem Livestream an, bis Spezialkräfte zwei Tage später, am 16. November 2016, die Datscha stürmten und die beiden Jugendlichen unter ungeklärten Umständen an Schussverletzungen starben. In den folgenden Tagen erreichte ihre Geschichte Nachrichtenagenturen auf der ganzen Welt.

Der britische Komponist Philip Venables und sein Librettist Ted Huffman sammelten die Berichte von Freunden, Bekannten, Anwohnern und Lehrern und gestalteten daraus die größte Textebene des Librettos. Eine weitere Ebene bildeten die WhatsApp-Kommunikation zwischen Komponisten und Librettisten sowie die Kommentare der Internet-Follower. Eine Mezzosopranistin, Hasti Molavian, und ein Bariton, Timothy Connor, gestalten die sechs Figuren des ersten Teiles der Oper: ein Arzt, ein Freund, ein Lehrer, eine Journalistin, eine Nachbarin und ein Teenager. In 112 Mikroszenen erzählen sie die Geschichte der beiden aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im zweiten Teil reflektieren die Journalistin und der Freund, wie sie die tragischen Ereignisse verändert haben.

Ein dritter Teil stellt das dem Gedächtnis der Verstorbenen gewidmete Tombeau dar, welches das französische Barock des 17. Jhd. als „musikalischen Grabstein“ heraufbeschwört und verstörende Stroboskopeffekte lenken unseren Blick von der Bühne ab.  Das Instrumentalensemble besteht aus vier Violoncelli, sichtbar an den vier Ecken der Bühne positioniert. Sie spielen jeweils aus digitalen Noten auf einem Tablet. Eine zuvor aufgenommene fünfte Violoncellostimme wurde bei der Aufführung zugespielt. Während der Aufführung tragen alle Mitwirkenden ein In-Ear-Monitoring, auf dem ihnen das Tempo durch einen rhythmischen Klick vorgegeben wird. Die live gespielte Musik wird mit elektrischen Klängen, Zuspielungen und Videos synchronisiert, deren Ablauf ebenfalls in der Partitur vorgegeben ist.

Insgesamt betrachtet handelt es sich bei dieser Oper um eine „Romeo und Julia“-Geschichte in den Zeiten von Social Media. Die musikalische Einstudierung besorgte die in Russland geborene Anna Sushon, die die Aufführung aber nicht live dirigiert hat. Die Inszenierung und die Kostüme entwarf der Argentinier Marcos Darbyshire, die reduzierte Bühne und Kostüme der Bildhauer und Tontechniker Martin Hickmann. Licht und Video verantworteten Franz Tscheck und Anselm Fischer. Dramaturg Kai Weßler trug mit seinem Einführungsvortrag vor Beginn der Aufführung viel zum Verständnis des Aufbauer dieser Oper bei.

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Copyright: Peter M. Mayr

Multitalent Hasti Molavian, in Teheran geboren, Schauspielerin und Sängerin, und derzeit am Volkstheater Wien engagiert, verlieh ihren warmen, samtigen Mezzosopran mehreren Zeitzeuginnen der tragischen Vorfälle in und um Strugi Krasnyje. Der nordirische Bariton Timothy Connor, Gewinner des Österreichischen Musiktheaterpreises als bester männlicher Nachwuchs, interpretierte mit Verve die männlichen Zeitzeugen und sang fallweise auch Russisch. Der Komponist Philip Venables wohnte der Aufführung bei und saß genau vor mir. Er und alle Mitwirkenden dieser interessanten Produktion, die mit spannenden und unerwarteten Hörerfahrungen aufwarten konnte, wurden am Ende der Oper stürmisch beklatscht. Man kann nur gespannt auf weitere Werke aus seiner Feder warten.

   Harald Lacina, 28.9.  

                                                                       Fotocredits: Peter M. Mayr

 

 

 

 

 

 

 

 

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