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Bunte Menschen mit übergroßen Schultern und Frisuren schauen sich satirisch-grotesk an.

Das Ensemble trifft bei „Il Trittico“ keine Schuld, wie hier im Bild: Annika Schlicht, Michael Bachtadze, Burkhard Ulrich, Arianna Manganello. Foto: Eike Walkenhorst

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„Ein überzeugendes Ensemble, immerhin.“ – Pinar Karabulut scheitert in Berlin an Puccinis „Il Trittico“

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Geschrieben mitten im Ersten Weltkrieg, wurde das Triptychon „Il Trittico“ Giacomo Puccinis frenetisch gefeierte Urauff­ührung am 14. Dezember 1918 an der Metropolitan Opera in New York. Das Werk erlebte eine große, internationale Erfolgsgeschichte an den Opernhäusern der Welt. Auch wenn Puccini so sehr daran lag, werden die drei Operneinakter „Il Tabarro“, „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ heute nur selten an einem Abend aufgeführt. Und wenn doch, dann oftmals in verkehrter Reihenfolge. An der Deutschen Oper Berlin hat man jetzt, 17 Jahre nach Katharina Wagners wenig geliebter Inszenierung, eine Neuproduktion des kompletten Triptychons in ursprünglicher Reihenfolge herausgebracht.

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Zurecht bezeichnet Anselm Gerhard im aktuellen Programmheft der Neuinszenierung das Trittico als „ein Panorama menschlicher Leidenschaften aus dem ernüchternden, infernalisch Danteschen Geist“ quasi als Altarbild. „Die Meisterschaft der musikalischen Dramaturgie des reifen Puccini kommt nur im ganzen ‚Trittico‘ zur Geltung. Nur dann zeigt sich überdies, dass ‚Gianni Schicchi‘ keineswegs (nur) eine Komödie ist. Angesichts des Elends allzu menschlicher Eigenschaften darf einem in dieser Tragikomödie schon das Lachen im Hals stecken bleiben.“

Das Lachen bleibt einem allerdings auch bei den übrigen Teilen der Inszenierung dieser als Star-Regisseurin gehandelten Pinar Karabulut im Halse stecken, und alle Tränen der Rührung versiegen.

Puccinis Triptychon des Todes

Doch zunächst zu den Stücken: Auch wenn sie sehr unterschiedlich sind, verbindet sie doch das Thema Tod. In „Il Tabarro“, in Paris spielend, in einem realistischen Milieu zwischen Hafenarbeitern, Trinkern und Huren, erwürgt der Seine-Schiffer Michele am Ende den Liebhaber seiner jungen Frau; in „Suor Angelica“, das in einem Kloster in der Nähe Siena spielt, begeht die Titelheldin, die als Ordens­schwester vom Tod ihres unehelich geborenen Sohns erfährt, Selbstmord; und in „Gianni Schicchi“, dem Abschluss des Triptychons, versammelt sich die Verwandtschaft, schon wenn der Vorhang aufgeht, um einen Leichnam in der Hoffnung auf eine große Erbschaft. Das Stück spielt im Haus des verstorbenen Buoso Donati und ist eine schwarze Erbschleicher-Komödie.

Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin, die bisher nur m Schauspiel arbeitete (geb. 1987), gibt mit dem „Trittico“ ihr Debüt auf der Opern­bühne. Sie ist bekannt für ihre radikal weibliche Perspektive, die keine ästhetischen Tabus kennt.

Was ist der Gedanke?

In einem Interview erklärt sie: „Wir befinden uns in einer zeitlosen Welt zwischen Himmel und Hölle…. Wir haben uns an Dantes ,Göttlicher Komödie’ orientiert. Puccini hatte sich ja auf Dantes Inferno bezogen. An dem dreiteiligen Abend steht ‚Il Tabarro’ (Der Mantel) für die Hölle, ,Suor Angelica’ für das Fegefeuer und ,Gianni Schicchi’ für den Himmel. Für mich geht es bei ,Il Trittico’ viel um das Leben und die Reise eines Menschen von der Geburt bis zum Tod.“ Es gehe ihr vor allem aber um die Frage nach dem Glück. Wie in einem malerischen Triptychon will sie Inferno, Purgatorium und Paradies zeigen. Die Commedia dell’Arte, behauptet sie, stehe Pate. Auch Anspielungen an Hieronymus Bosch (und sein Triptychon „Das jüngste Gericht“) nennt sie als Inspiration ihrer Inszenierung.

Ihre Bühnenbildnerin Michaela Flück hat denn auch den Bühnenrahmen nach Art eines klassischen, mittelalterlichen Triptychon-Rahmens gestaltet. Allerdings in schreiendem Pink-Rot. Wenig inspiriert und in naiver, kindlicher Anmutung kommt das Einheitsbühnenbild von Michela Flück daher. Ein Rundhorizont mit rosa Wolkenhimmel, ein violetter Papp-Berg mit integriertem Gefängniszimmer, eine schwarze Treppe mit rückseitigem Flammen-Purgatoriums-Stübchen, ein Steg, ein Planschbecken. Im letzten Teil befindet sich hinter Flammenzungen-Portal ein weißer Alkoven mit dem Bett des Gestorbenen. Das ist schon fast alles, was man sieht. Auf dem Hintergrund des Bühnenbildes sind die Worte aus Dantes „Göttlicher Komödie“ zitiert: „Lasciato ogni speranza, voi che entrate“ (Lasst alle Hoffnung fahren, wenn ihr hier eintretet.)

Ziel verfehlt

Der konzeptionelle Rahmen ist abgesteckt, die Messlatte hängt hoch. Doch es sind bloße Lippenbekennt­nisse: Was man sieht, ist eine knallbunte, schrille, ja trashige Veranstaltung, die allen TV-Comedies die Show stiehlt – die Figuren sind schamlos karikiert, übertrieben gezeichnet, ja verblödelt und damit desavouiert. Die drei Stücke Puccinis wirken nicht wirklich ernst genommen. Die Figurenführung ist konventionell, dilletantisch in den Chorszenen und die Kostüme (Theresa Vergo) sind hanebüchen und geschmacklos.

Michele trägt einen virgilisch roten Blinkmantel. Die Nonnen sehen aus wie ironisierte Königinnen der Nacht mit eingekerbtem Heiligenschein als Haube, in gelb-grünliche, transparente Schleiermäntel gehüllt, die etwas Insektenhaftes haben und zugleich an naive Kinderbuchillustrationen denken lassen. Die Figuren in „Gianni Schicchi“ sind vollends Schwarzweiss-Karikaturen mit aberwitzigen Frisuren, die ständig zappeln, hampeln, herumtollen und chargieren, dass sich die Bühnenbalken biegen. Sie sind völlig überzeichnet, und scheuen vor keinen Blödeleien zurück. Je blöder sie daherkommen, desto besser. Worum es inhaltlich eigentlich geht, scheint nicht zu interessieren – Slapstick und Blödelei ist alles. Von ästhetischer Einheitlichkeit, Stil und gutem regielichem Handwerk kann nicht die Rede sein in diesem inszenatorischen Triumph der Blödelei, in dem sich alle Sphären der konträren Stücke auf unentwegt kreisender Drehbühne durchdringen, Disparates durchs Bild, sprich über die Bühne läuft. Es ist ein plastikhaft wirkendes, poppig buntes und regieliches Tohuwabohu.

Es ist nicht alles schlecht

Auch die musikalische Leitung des Abends klingt leider unterbelichtet. General Musikdirektor Donald Runnicles ließ sich krankheitshalber entschuldigen (die Inszenierung macht allerdings nicht nur Dirigenten krank) und durch John Fiore ersetzen. Der hat bis auf die überschaubaren schönen Stellen, Steigerungen, Höhepunkte und Klangballungen weithin dröge dirigiert. Ohne Einfühlung, Esprit, Eleganz und analytische Schärfe, fernab jeder Transparenz hat er dem Episodischen, ja Modernen der Musik dieses Triptychons, worin Puccini über veristische Milieuschilderung und traditionelle Verwendung von Couleur lokale weit hinausgeht, kaum Rechnung getragen.

Die sängerische Besetzung ist allerdings nicht von schlechten Eltern. Herausragend der aus Tiflis stammende Misha Kiria als eindrucksvoll heldenbaritonaler Michele wie Gianni Schicchi im roten Lackmantel, Carmen Giannattasio als hochexpressive Giorgetta, die armenische Sopranistin Mané Galoyan als schönstimmige Suor Angelica und Lauretta (die sich mittels Räucherdrogen-Einnahme bis auf ein Ganzkörper-Trikot entblättert, ein wenig im Wasserbecken plantscht und schließlich mit blutender Scham auf wundersame Wiese in die Ewigkeit einzugehen), Violeta Urmana als furchteinflößender Principessa-Hexe und der fabelhafte Tenor Jonathan Tetelmann als Luigi, um nur die wichtigsten Partien zu nennen. Ein durchweg überzeugendes Ensemble, immerhin.

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