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Musiktheater
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Rent

Rock-Musical in zwei Akten
Arrangements von Steve Skinner
Originalkonzept und zusätzliche Liedtexte von Billy Aronson
Deutsch von Wolfgang Adenberg
Musik, Buch und Lyrics von Jonathan Larson

in deutscher Sprache (einzelne Lieder in englischer Sprache)

Aufführungsdauer: ca. 3' (eine Pause)

Premiere  im Opernhaus Dortmund am 30. September 2023




Theater Dortmund
(Homepage)
Es zählt nur das Jetzt

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas M. Jauk

Heutzutage wird die Handlung von Opern in modernen Inszenierungen häufig in die Gegenwart verlegt, was mal mehr und mal weniger aufgeht. Jonathan Larson hat dabei eigentlich einen ehrlicheren Weg gewählt. Ihn hat Puccinis Oper La Bohème so begeistert, dass er daraus ein eigenes Musical komponiert hat, das die Geschichte in die 1990er Jahre verlegt und einen ganz unmittelbaren Bezug zu Larson selbst hat, der in dieser Zeit ebenfalls ein Leben als Künstler in einfachsten Verhältnissen führte. Auch bei den übrigen Figuren des Stückes fand Larson Parallelen zu Menschen aus seinem eigenen Umfeld. Musikalisch verband er darin seine Liebe zur Rockmusik und zum Broadway und wollte dem amerikanischen Musiktheater damit ein neues Gesicht geben. Den riesigen Erfolg - unter anderem wurde das Musical mit einem Tony Award als "Bestes Musical" und einem Pulitzer-Preis für das "Beste Drama" ausgezeichnet und brachte es am Broadway bis 2008 auf 5123 Vorstellungen - sollte Larson jedoch nicht mehr erleben. Er starb kurz nach der Uraufführung am 25. Januar 1996 an den Folgen eines Aortarisses.

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Mark (Christof Messner, links) feiert mit Tom (Alex Snova, Mitte) und Angel (Lukas Mayer, rechts) Weihnachten.

Wie bei La Bohème beginnt die Geschichte an einem Weihnachtsabend in einer Mansarde, in der der Filmemacher Mark Cohen und der Songwriter Roger Davis ein armseliges Leben fristen. Während der mit HIV infizierte Roger auf der Suche nach dem perfekten Song ist, nachdem sich seine an AIDS erkrankte Freundin April das Leben genommen hat, plant Mark einen Dokumentarfilm über das Leben der "Bohème" in New York zu drehen. Ihr ehemaliger Mitbewohner Benjamin Coffin III hat mittlerweile in eine wohlhabende Familie eingeheiratet und den Gebäudekomplex erworben, zu dem auch Marks und Rogers Mansarde gehört. Da die Miete seit einem Jahr überfällig ist, fordert er sie auf, auszuziehen, da er unter anderem den Gebäudekomplex in eine Luxusimmobilie umwandeln möchte. Marks ehemalige Freundin Maureen Johnson, die nun mit der Anwältin Joanne Jefferson liiert ist, arbeitet auf der Straße an einer Protest-Performance gegen die Umgestaltung des Viertels. Tom Collins, ein ebenfalls mittelloser Philosophie-Professor wird auf dem Weg zu Mark und Roger von zwei Schlägern ausgeraubt und trifft anschließend auf Angel Dumott Schunard, eine Drag Queen. Die beiden verlieben sich ineinander. Mimi Marquez ist eine drogenabhängige Tänzerin, die ebenfalls in dem Komplex wohnt und sich wie Tom und Angel mit HIV infiziert hat. Roger und Mimi entwickeln Gefühle füreinander. Während Mark für seinen Dokumentarfilm eine Fernsehstation als Abnehmer findet, verläuft der Weg der übrigen Figuren weniger erfolgreich. Die Beziehungen zwischen Mimi und Roger gestalten sich als kompliziert, da Mimi Roger mit Benjamin betrügt, um ihren Drogen-Konsum zu finanzieren. Auch das Verhältnis zwischen Maureen und Joanne wird durch Maureens ständige Untreue belastet. Angel stirbt an AIDS, was alle Figuren noch einmal zusammenfinden lässt, bevor sich ihre Wege wieder trennen. Am Ende stirbt die kranke Mimi allerdings (noch) nicht, sondern hat eine Nahtoderfahrung, in der ihr Angel begegnet und sie auffordert, ins Leben zurückzukehren.

Die Oper Dortmund arbeitet die Nähe zu Puccinis Oper nicht nur dadurch heraus, dass beide Werke an den Beginn der neuen Spielzeit gestellt werden. Man hat auch für beide Produktionen das gleiche Regie-Team verpflichtet und lässt die Geschichten quasi in derselben Kulisse spielen. Die Mansardenwohnung von Mark und Roger ist in Rent ein Loft auf dem Dach eines New Yorker Apartmenthauses. Im Hintergrund sieht man die Skyline von New York. Viele Bühnenelemente aus La Bohème passen eins zu eins in diese Inszenierung. So steht in Rogers und Marks Loft ebenfalls das Skelett, das als Garderobenständer dient, und auch die Badewanne wird hier multifunktional eingesetzt. Am Ende wird Mimi ebenfalls in die Wanne gebettet mit dem einzigen Unterschied, dass sie am Ende aus einer Ohnmacht erwacht. Im Ofen werden nicht die Seiten eines Dramas verbrannt, um für ein wenig Wärme im Raum zu sorgen, sondern die Plakate von Roger, die zu Beginn die Rückwand verzieren. Neu sind das Telefon und die beiden Telefonzellen am rechten und linken Bühnenrand. Hierüber versucht die "bürgerliche Außenwelt" immer wieder Kontakt zu den mittellosen Künstlerinnen und Künstlern aufzunehmen. Dass sich diese Außenwelt  in einer ganz anderen Sphäre bewegt, wird unter anderem dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Marks Mutter oder Joannes Eltern während des Telefonats in einer Gondel über der Bühne schweben.

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Mimi (Patricia Meeden) als Tänzerin im Club

Für Maureens Protest-Performance wird ein Prospekt vor dem Loft heruntergelassen und ein kleines Podest aufgebaut. Wenn die Bühne hochgefahren wird, sieht das Pendant zum Café Momus im Quartier Latin natürlich nicht so romantisierend idyllisch aus wie in La Bohème. Das Café ist hier ein Club, in dem sich Mimi als leichtbekleidete Tänzerin den gierigen Blicken des Publikums stellt. Die kahlen Wände, hinter denen sich bei La Bohème im dritten Bild mittellose Menschen verbergen, sind nun mit mehr oder weniger kunstvollen Graffitis versehen, die die Probleme der 1990er Jahre aufgreifen. Der Raum hinter diesen Wänden wird sehr flexibel verwendet. Mal ist es der Versammlungsraum der Selbsthilfegruppe, zu der sich mit HIV infizierte Menschen zusammenfinden. Dann sieht man im Hintergrund die verbarrikadierte Eingangstür, die Mark und Roger mit Angel und Tom aufbrechen, um wieder in ihre Wohnung zu gelangen. Nach Angels Tod versammeln sich hier die Wegbegleiter*innen, um am Sarg Abschied zu nehmen. Angel ist dabei unter einem leuchtenden Tuch aufgebahrt und entschwindet in einer beeindruckenden Tanz-Sequenz durch die hintere Tür.

Auch in der Personenregie werden Parallelen zwischen den beiden Stücken gut herausgearbeitet. Zu nennen ist beispielsweise die erste Szene, in der sich Mimi und Roger begegnen. In beiden Fällen ist es die Suche nach Feuer, die Mimi zu Roger führt. In Rent verliert sie allerdings im Loft nicht ihren Schlüssel, sondern ihren Stoff. Auch ist die Verführungsszene hier wesentlich direkter als in Mehmerts Inszenierung von La Bohème, wo die beiden nach dem Duett hinter der Badewanne versinken. Eine weitere beeindruckende Parallele entsteht nach Angels Tod. Auf die Bühne wird der berühmte Bibelvers aus dem Korinther-Brief auf einer riesigen Plakatwand hereingefahren. Diese Wand erinnert an das Plakat, das Marcello in La Bohème im dritten Bild bearbeitet, wenn Rodolfo ihm zu erklären versucht, wieso er sich von Mimì getrennt hat. Auch hier unterhalten sich nun Roger und Mark vor dem Plakat, während Mimi unten an der Rampe das Gespräch belauscht. Dass Roger allerdings bei seinem Song an Musettas Walzer arbeitet, lässt sich nicht wirklich parallelisieren, was aber, wenn überhaupt, mehr dem Stück als der Inszenierung angelastet werden kann.

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Angels (Lukas Mayer, Mitte) Tod (im Hintergrund: Ensemble)

Die Besetzung und die musikalische Umsetzung lassen an diesem Abend keine Wünsche offen. Dabei kehren in dieser Produktion auch einige "alte" Bekannte als Gast nach Dortmund zurück. Patricia Meeden ist beispielsweise seit vielen Jahren in Dortmund fester Bestandteil der Cityring Konzerte auf dem Friedensplatz neben dem Opernhaus und war hier in Jesus Christ Superstar als Maria Magdalena zu erleben. In Rent begeistert sie als drogenabhängige Mimi Marquez mit intensivem Spiel und atemberaubenden Tanzeinlagen. Dabei ist die Musical-Mimi weit weniger zerbrechlich als Puccinis Mimì, was der Figur auch eine geringere Tragik verleiht. Zu Tränen rührt in Rent eigentlich nur das Schicksal von Angel. Lukas Mayer, der in Dortmund bereits in West Side Story und Berlin Skandalös zu erleben war, legt die Drag Queen sehr bewegend und gefühlvoll an. Die Liebe zwischen Angel und Tom ist eigentlich die einzige Beziehung im Stück, die keinen Schwankungen unterliegt. Umso tragischer ist, dass Angel dem Virus im Stück erliegt und damit für die anderen eine riesige Lücke hinterlässt. Alex Snova gibt als Tom mit Mayer ein in jeder Beziehung überzeugendes Paar ab und spielt Toms Trauer über den Verlust des Geliebten intensiv aus.

Auch David Jakobs und Bettina Mönch sind in der Oper Dortmund keine Unbekannten. Mönch begeisterte hier zuletzt als Sally Bowles in Cabaret und legt auch die Rolle der Maureen herrlich exaltiert an. Man kann gut nachvollziehen, dass Amani Robinson als Joanne Jefferson mit ihr ihre Probleme hat. Robinson begeistert stimmlich durch eine großartige Soul-Stimme. Jakobs dürfte noch als Judas in Jesus Christ Superstar, Titelfigur in Jekyll & Hyde, aus Berlin Skandalös und diversen Cityring Konzerten mit Patricia Meeden in Dortmund in bester Erinnerung sein. Den Roger gibt er als zerrissenen Künstler, der auf der Suche nach einem Sinn im Leben ist und sich dabei häufig selbst im Weg steht, was seine Beziehung zu Mimi auch so problematisch macht. Pedro Reichert zeichnet den zu Wohlstand gekommenen Benjamin Coffin III recht zwielichtig. Einerseits fühlt er sich seinen ehemaligen Freunden gegenüber in der Pflicht, andererseits hat er sich mit dem gesellschaftlichen Rollenwechsel sehr gut abgefunden und möchte aus dem Wohnhaus eine gewinnbringende Luxusimmobilie machen. Hinzu kommen seine Gefühle für Mimi. All das wird von Reichert überzeugend ausgespielt. Sein Debüt in Dortmund gibt Christof Messner als Mark, der wie eine Art Spielleiter die Fäden im Stück zusammenhält. Auch das Ensemble, das zusätzlich in die kleineren Rollen schlüpft, überzeugt stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie. Jürgen Grimm zaubert mit der vierköpfigen Band einen rockigen Sound aus dem Orchestergraben, der das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Der relativ bekannte Song "Seasons of Love" nach der Pause wird nicht nur auf Englisch beibehalten sondern beim Schlussapplaus auch noch einmal als Zugabe geboten.

FAZIT

Das Theater Dortmund erweist sich erneut als großartiger Musical-Tempel. Den besonderen Reiz entwickelt die Produktion vor allem im direkten Vergleich mit La Bohème von demselben Regie-Team.

 

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Keyboard
*Jürgen Grimm /
Karsten Scholz

Inszenierung
Gil Mehmert

Choreographie
Melissa King

Bühne
Jens Kilian

Mitarbeit Bühne
Mara Lena Schönborn

Kostüme
Falk Bauer

Lichtdesign
Michael Grundner

Sounddesign
Joerg Grünsfelder

Dramaturgie
Daniel C. Schindler

 

Band
Gitarre
Peter Engelhardt

Gitarre & Keys
*Bastian Ruppert /
Jan-Felix Rohde

Schlagzeug
Stephan Schott

E-Bass
Malte Winter

 

Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Marc Cohen
*Christof Messner /
Dominik Hees

Roger Davis
David Jakobs

Tom Collins
Alex Snova

Benjamin Coffin III
Pedro Reichert

Joanne Jefferson
Amani Robinson

Angel Dumott Schunard
Lukas Mayer

Mimi Marquez
Patricia Meeden

Maureen Johnson
Bettina Mönch

Ensemble und
Mimis Mutter
Jadelene Panésa

Mr. Jefferson / Gordon / Pastor
Richard S. Wolff

Alexi / Polizistin
Friederike Zeidler

Mrs. Cohen / Händlerin
Antonia Kalinowski

Rogers Mutter
Tamara Köhn

Wischer
Julius Störmer

Schläger / Paul / Kellner
Max Aschenbrenner

Schläger / Steve / Der Mann / Mr. Grey
Til Ormeloh


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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