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„Hoffmanns Erzählungen“ in Darmstadt – Spuk und Hirngespinst

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„Hoffmanns Erzählungen“ in Darmstadt.
„Hoffmanns Erzählungen“ in Darmstadt. Foto: Nils Heck © Nils Heck

Dirk Schmeding nimmt in Darmstadt „Hoffmanns Erzählungen“ als Fantasterei ernst - sonst weniger.

Jacques Offenbachs Opéra fantastique „Hoffmanns Erzählungen“ gehört zu den raren Knallern des Musiktheatergeschehens, die durch das Fragmentarische nicht aus dem Rennen geworfen wurden. Auch wenn bis heute nicht klar ist, wie der darüber verstorbene Komponist sein Werk letztendlich haben wollte, verzichtet kein vernünftiges Theater darauf, sich der Qual der Wahl zu stellen. In Darmstadt wurde die seit 2009 als relativ maßgeblich geltende Fassung von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck als Grundlage genommen, Anfang und Ende fransen in der Inszenierung von Dirk Schmeding ohnehin aus, was aber nicht schlimm ist. Die Fantasie regiert und schert sich nicht um Logik.

Musikalisch ist es ein gelungener Abend. Sympathisch, dass man merkt, was für ein Kraftakt das für ein Theater ist, die großen Chöre, der Dauerfeinsinn, der dem Orchester bei aller Verve abverlangt wird und an dem Daniel Cohen auch werkelt. „Hoffmanns Erzählungen“ ist keine Operette, aber ein Gassenhauer folgt auf den nächsten.

Matthew Vickers ist ein fitter Titelheld. Dass sein Tenor zunächst etwas eng erscheint, wird wettgemacht durch die brillanten Höhen und das Durchhaltevermögen. Juliana Zara ist eine grandiose Olympia, Solgerd Isalv ein intensiver Niklaus (hier unverhohlen als junge Frau). Megan Marie Hart und Jana Baumeister überzeugen als Antonia und Giulietta, Heiko Trinsinger als in allen Akten hinlänglich finsterer Schurke.

Während man sich in „Hoffmanns Erzählungen“ die Seele aus dem Leib singen muss und das in Darmstadt auch tut, ist es gleichwohl vor allem die originelle Regie, die das zu einem besonderen Abend macht. Schmeding nimmt es leicht und hat offenbar genug Filme geguckt, um den Chor aus dem mysteriös leuchtenden Kühlschrank springen zu lassen. Indem das Bühnenbild von Robert Schweer Elemente des Theaterraums aufnimmt und Britta Leonhardt den Chor vollständig als zahllos vervielfältigten Hoffmann ausstattet (schwarzer Glitzeranzug, ewig lange Koteletten, gefärbte Brille), bleibt die Fantasterei ohnehin eng an Hoffmanns Umgebung und Kopf, klassische Hirngespinste.

Ob das Dichtung ist? Vielleicht ist es eher ein Film von Tim Burton, jedenfalls: Kintopp mit Taschenspielertricks und Pyrotechnik. Keinerlei Melancholie ist im Saal, aber doch Beunruhigung bis zur Gespenstergeschichte. Nicht nur müssen die als Flaschen verkleideten Choristen das Schlimmste befürchten, wenn sich all die Hoffmanns allmählich betrinken. Auch läuft Hoffmann stets Gefahr, dass etwas an ihm explodiert oder als Tischfeuerwerk heraussprudelt. Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde ...

Der Olympia-Akt spielt in einem „Metropolis“-haften Ambiente, aber auch Antonia ist mit Puppenkleid und Rotilockperücke eine Trickfilmfigur – markant, dass Schmeding nicht die übliche Trauerspiel-Variante wählt. Ebenso wird der Romantikbegriff des 19. Jahrhunderts übersprungen, Schmedings ist älter und neuer zugleich. Die vertrauten Atmosphärenwechsel interessiert ihn wenig, auch der Giulietta-Akt schließt sich mit flamingofarbenem Gefieder an die bizarren Späße an. Ein Tanzquartett belebt die Szene (Choreografie: Rachele Pedrocchi), das Ensemble selbst ist spielerisch gefragt und hat einiges zu bieten.

„Hoffmanns Erzählungen“ aus Sicht eines Nerds: nicht nur Klamauk, auch Tüftelarbeit. Und dies nicht allein, damit die Feuerwerke zur rechten Zeit zünden. Schmeding und sein Team arbeiten mit einer Menge Ideen und Szenen wie aus dem Nichts heraus. Dass Hoffmann in seinem Kämmerchen Taubendreck entdeckt, mag zur Folge haben, dass in jeder Fantasterei Tauben auftauchen. Grusel-Olympia zerrupft und frisst sie, neben Antonia plumpsen sie vom Himmel, in Giuliettas Venedig ersetzen sie die Gondeln. So funktionieren anständige Halluzinationen. Dass Hoffmann auch Tragödien erzählt, kommt hingegen nicht vor. Dass man es Schmeding nicht verübelt, spricht für die liebevolle Umsetzung seiner tausend Einfälle.

Nach dem Spuk finden sich Hoffmann und Niklaus am Altglascontainer wieder. Eine wild durchzechte Nacht, nicht mehr.

Staatstheater Darmstadt: 13., 27. Oktober, 16. November. www.staatstheater-darmstadt.de

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