„Aida“ an der Lindenoper :
Der geliebte Held ist so eindimensional

Von Clemens Haustein
Lesezeit: 4 Min.
Ganz unten in diesem klinischen Kasten kriecht eine großartige Sängerin: Elīna Garanča ist die Berliner Amneris.
An der Staatsoper Unter den Linden inszeniert Calixto Bieito „Aida“ korrekt, vorsichtig und beflissen. Das Niveau der Musik erreicht er so jedoch nicht.

So sieht eine um Neutralität und Korrektheit bemühte Bühne aus: ein weißer Kasten, strahlend ausgeleuchtet, so dass kein schattiger Winkel Raum lässt für Vermutungen, Zweideutigkeiten oder Geheimnisse. Rebecca Ringst hat diese Bühne gebaut, Michael Bauer leuchtet sie aus, so hell wie selten bei einer Inszenierung von Giuseppe Verdis „Aida“, die in düsteren Tempeln spielt, in der Nacht und schließlich in einer Grabkammer, in welche die beiden Liebenden Aida und Radamès eingemauert werden.

Bei dem Regisseur Calixto Bieito, der das Werk nun zum Saisonauftakt an der Staatsoper Unter den Linden inszeniert hat, soll eine Helligkeit herrschen, die aufräumen will mit all dem, was die „Aida“ so an Dingen mit sich her­umschleppt, die mittlerweile als Ballast empfunden werden: Exotismus, Orientalismus, Kolonialismus. Rassismus und Sexismus lassen sich wohl auch noch nennen in diesem Werk, in dem sich Europäer gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit der Welt Ägyptens beschäftigten, Traumbilder und Klischees miteinbegriffen.

Der Regisseur hat alles verstanden

Die Berserkerjahre hat der frühere Skandalregisseur Bieito hinter sich gelassen, in seiner Berliner Inszenierung greift er nicht an, er ignoriert einfach. Er pariert Verdis Stück gleichsam mit unerschütterlicher politischer Korrektheit und dem beflissen anmutenden Nachweis, dass er alles verstanden hat. Projektionen auf die Hinterwand des weißen Bühnenkastens zeigen mal Flugzeuge beim Bombenangriff (Imperialismus), mal Jäger bei der Großwildjagd (Kolonialismus), mal Menschen in einem Supermarkt (Kapitalismus). In einer Art Namedropping lässt Bieito die Themenfelder aufblitzen, zusammenhangslos meist, so als müsste er eine Agenda politischer Aufmerksamkeit und Bewusstheit abarbeiten. Seine Inszenierung erinnert dabei selbst an einen Supermarkt, in dem alle Waren erhältlich sind; oder auch an eine jener roten Papp-Boxen, die gegen Ende des zweiten Aktes mit seiner Triumphzug-Szene im Chorvolk zirkulieren und sich bald als leer erweisen sollen.

Übers Absperrgitter hinweg werden diese Kartons – man vermutete darin Fast Food – den Kindern gereicht, die zuvor auf die Bühne getrottet kamen, Säcke mit Computerschrott hinter sich herschleifend. Als geistige Opfer schlechthin des Kapitalismus treten sie hier wohl auf, Kabel entheddernd, Joysticks hervorkramend, Computertastaturen polierend. Eines der wenigen anrührenden Bilder, die Bieito an diesem Abend gelingen. Dazu gehört auch die Heimkehr des Radamès als Kriegsversehrter: blutverschmiert und entkräftet kämpft er sich übers Absperrgitter. Niemand hilft ihm dabei, niemand interessiert sich für ihn.

Abseits solcher Szenen entwickelt sich ein Figurenspiel im klinisch sauberen Raum, ohne Gefahr, sich Missverständisse einzuhandeln. Amneris und Aida, die eine Herrin, die andere Sklavin, stecken gleichberechtigt in Glitzerkleidern, allein mit dem Unterschied, dass der Königstochter Amneris die Farben Silber und Gold vorbehalten sind. Die Ägypter leben zwar in einem Militärstaat und kommen in den Tempel, um sich vor dem Kriegszug gegen die Äthiopier ihre Kalaschnikows segnen zu lassen. Gleichwohl herrscht eine starke Ästhetik: In blütenweißen Anzügen polieren sie andächtig und geruhsam ihre Gewehre. Dass die Waffenverliebtheit der ägyptischen Kämpfer so ungebrochen, nahezu ästhetisierend dargestellt ist (während sich Bieito gleichzeitig von allen -ismen distanziert) gehört zu den verwirrenden Wendungen und Inkongruenzen dieser Inszenierung.

Provozierte Verachtung des Betrachters

Im Ausgleich dazu werden die Anführer als Zielscheibe für die Verachtung des Betrachters montiert. Waffennarren sind sie beide: der König, der zum Spaß die Kalaschnikow an den Kopf seiner Tochter hält – die ihrerseits nur ein bisschen genervt davon ist –, der Feldherr Radamès, stets mit der Pistole herumfuchtelnd und vom Tenor Yusif Eyvazov in schwer erträglicher Eindimensionalität gespielt. Bei der Kunstform Oper herrschen bekanntlich eigene Maßstäbe, was Logik angeht. Doch auch wenn es um bloße Nachvollziehbarkeit geht, steht man hier vor einem Rätsel: Was nur können Amneris und Aida, beide in Liebe zu Radamès entbrannt, an diesem Mann finden, der von Bieito und Eyvazov als eine Art Ramsan-Kadyrow-Parodie auf die Bühne gestellt wird?

Eine gewaltige Schere tut sich auf, stimmlich und auch darstellerisch zu den Frauen um Radamès, deren Darstellerinnen beide aus Lettland stammen: Elīna Garanča ist eine Amneris von einschüchternder Würde und Größe. Was ihr weicher, dunkel getönter Mezzosopran an Kultiviertheit und Präsenz zu bieten hat: Es übersteigt ein ums andere Mal die Rolle, die Bieito ihr zugedacht hat als liebeshungriger Backfisch, der im Hochzeitskleidchen umhersteigen muss. Ähnlich Marina Rebeka als Aida: Die Natürlichkeit und Unverstelltheit ihres Soprans rührt unmittelbar an, umwerfend, was ihr an farblicher und dynamischer Zeichnung gelingt.

Réne Pape muss als Oberpriester Ramphes zwar im Feldprediger-Kostüm umherstapfen, zeigt sich im Gesang aber angenehm unkriegerisch: Liedhaft und nobel singt er seinen Part. Gabriele Viviani ist ein Amonasro mit dramatischer Durchschlagskraft, Gonzalo Quinchahual aus dem Opernstudio der Staatsoper lässt als Bote aufhorchen mit blitzsauberem Tenor und einer Stimmfarbe von großer Schönheit.

Getragen werden die Sänger von einer Staatskapelle, welche die klangfarblichen Wunder von Verdis Musik dezent zum Leuchten bringt. Unter der Leitung von Nicola Luisotti werden die feinen Verästelungen und der Stimmenreichtum der Musik hörbar, die ihre Kraft aus der Reduktion der Mittel bezieht. Die klanglichen Vorzüge des Orchestergrabens der Staatsoper nutzend führt Luisotti die Aufführung ein ums andere Mal an den Rand des Hörbaren. An Gestaltung von Details ist die Musik der Bühne damit weit voraus.