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BERLIN/ Staatsoper: ELEKTRA In Gedenken an Patrice Chéreau anlässlich seines 10. Todestages

08.10.2023 | Oper international

BERLIN / Staatsoper ELEKTRA; 7.10.2023

In Gedenken an Patrice Chéreau anlässlich seines 10. Todestages

elek
Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Berlin erstrahlt derzeit in Festival of Lights Atmosphäre. Vor allem der Bebelplatz um die Staatsoper Unter den Linden mit dem Hotel de Rome, der St. Hedwigs Kathedrale, der Bibliothek sowie der Humboldt Universität vis à vis, gaben nach der Vorstellung ein besonders farbenprächtiges Spektakel an sich ständig wandelnden Projektionen ab. Auf der Fassade der Staatsoper Unter den Linden wird u.a. für Werte wie Einzigartigkeit, Leidenschaft, Hoffnung und Toleranz geworben. Doch die Realität an diesem 7.10. ist eine andere.

Am gestrigen Samstagabend, der weltpolitisch mit dem Angriff auf Israel als besonders schwarzer Tag in die Geschichte eingehen wird, schüttete es in Berlin „cats and dogs“. Erinnerungen an den „Elektra-Film“ von Götz Friedrich werden wach. In der Staatsoper Unter den Linden geht es an diesem Abend auch um Erinnerungen, speziell um ein Gedenken an den großen französischen Regisseur Patrice Chéreau.

Bevor jedoch der Vorhang zu Chéreaus letzter Regiearbeit „Elektra“ anhob, verkündete ein Sprecher des Hauses, dass der Heldentenor und Kammersänger Reiner Goldberg in der Nacht wenige Tage vor seinem 84. Geburtstag gestorben sei und bat das Publikum, sich zu einer Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. Der Künstler war über rund 50 Jahre der Staatsoper Unter den Linden verbunden, sie war ihm seine künstlerische Heimat.

https://www.staatsoper-berlin.de/de/staatsoper/news/im-gedenken-reiner-goldberg.302/

Patrice Chéreau starb mit 68 Jahren am 7.10.2013 in Paris. Seine von der Personenregie so unnachahmlich beziehungsintensive wie detailgenaue, niemals in outrierte Theatralik abdriftende Inszenierung der „Elektra“von Richard Strauss , die in einem stilisierten antiken Palasthof (Bühnenbild Richard Peduzzi) spielt, war als eine riesige Co-Produktion der Staatsoper Unter den Linden mit der Mailänder Scala, dem Festival d’Aix-en-Provence, der New Yorker Met, der Finnish National Opera Helsinki und dem Gran Teatre de Liceu Barcelona konzipiert. So verwundert es auch nicht, dass die Premiere in Berlin erst am 23. Oktober 2016 stattfand.

Schon damals mit Waltraud Meier als Klytämnestra, die im Rahmen dieser vierteiligen Wiederaufnahme-Serie am 20.10. ihren endgültigen Abschied von der Bühne feiern wird. Waltraud Meiers Klytämnestra hebt sich von vielen anderen Rollendeutungen ab, als sie die Gemahlin des mykenischen Königs Agamemnon (sie ist auch die Schwester der Helena) nicht als geiferndes Monster, sondern als schöne, stolze, elegante Frau verkörpert. Das hat natürlich auch Konsequenzen für die musikalische Seite ihrer Interpretation, die sie so „belkantesk“ wie möglich anlegt, ohne der sichtlichen Gebrochenheit der Figur etwas zu nehmen. Stimmlich ist im Grunde ist noch immer alles da, das wunderbare Timbre, das Legato, die Bühnenpräsenz, allerdings kommen einige Phrasen ein weniger kürzer, klingt die Mittellage vorsichtiger und fragiler, gleitet sie fallweise geschickt ins Parlando. Die leuchtenden und freien Höhen, wie man sie von ihr seit jeher kennt, funktionieren immer noch bestens.

Ricarda Merbeth ist diesmal die Interpretin der Titelrolle. Keinen Zoll eine Hochdramatische, scheint ihr echter jugendlich dramatischer Sopran ideal für Elektra geeignet zu sein. Sie schleift zwar einige Spitzentöne von unten an, landet dafür sanft auf der richtigen Tonhöhe bis zum C. Sie hat nicht jene stimmliche Wucht, die eine echte Hochdramatische mit sich bringt, dafür begeistert Merbeth mit einer hinreißenden Erkennungsszene, traumhaften Piani., endlosen Legatobögen und welch Wunder, kein einziger Ton hat auch nur einen Anflug von Schärfe. Darstellerisch ist Merbeth ein Naturereignis als düsterer, um Erlösung ringender antikischer Racheengel. Merbeth hat sich die Rolle der Elektra derart angeeignet, dass ihr eindringliches Porträt dieser verlorenen Seele tief unter die Haut geht und in mir lange nachhallen wird

Als maximalen Kontrast zu Elektra erleben wir ihre sich vom mörderischen Wahnsinn der Familie abgrenzende, jugendlich-energische, das volle Leben einer Frau mit Mann, Haus und Kinder anstrebende Schwester Chrysothemis. Die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė glänzt in der charakterlich wenig differenzierten Partie mit gleißenden Höhen und einer Stimmkraft, die sofort in ihren Bann zieht, das Publikum einfach umwirft. Das letzte Mal, dass ich diese von der Tessitura her so hoch liegende Partie von solch einer Top-Könnerin gehört habe, war in Wien Cheryl Studer in der von Abbado dirigierten Premiere zum 125. Geburtstag von Richard Strauss am 10.6.1989. Heute singt Cheryl Studer die kleine Partie der Aufseherin, Blitzlichter einstigen Stimmglanzes bewahrend. Weil wir schon beim Erinnern sind, Studers Wagner- und Straussinterpretationen werden stets einen besonderen Platz in meinem persönlichen Opernhimmel haben. Gott sei Dank gibt es von ihrer Glanzzeit jede Menge an erstklassigen Tondokumenten, die ich besonders jüngeren Melomanen empfehlen möchte.

Besonders hervorheben möchte ich noch Roberta Alexander (welch exquisite Erinnerungen an musikalische Ereignisse mit Nikolaus Harnoncourt) als stimmlich und darstellerisch berührende fünfte Magd. Aber auch die anderen Mägde sind mit Bonita Hyman, Natalia Skrycka, Katharina Kammerloher und Anna Samuil luxuriös und stimmkräftig besetzt. Der Alte Diener beschert uns noch einmal ein Wiedersehen mit Olaf Bär, der junge Diener ist dem Ensemble-Strahletenor Siyabonga Maqungo erstklassig besetzt. Der verlässliche Ensemblebariton Lauri Vasar sang einen zwischen Abscheu und Blutdurst schwankenden Orest, Stephan Rügamer einen schrillen Aegisth.

Markus Poschner dirigierte die Staatskapelle Berlin in Traumverfassung mit stechender Härte, dunstendem Schrecken und Rosenkavalier-Zartheit in der Erkennungsszene, wie das die Partitur verlangt. Poschner ist zudem ein hervorragender Sängerbegleiter, der sich diesmal auf ein bis in die kleinste Rolle passgenau gecastetes Ensemble verlassen konnte.

Am Ende dieser würdigen Chéreau-Gedenkvorstellung brandete ein beispielloser Jubel für Dirigenten, Orchester, Meier, Merbeth, Miknevičiūtė und Studer bis in die Ränge im vollen Haus auf. Ereignishaft!

Dr. Ingobert Waltenberger

Foto Waltraud Meier als Klytämnestra Monika Rittershaus

 

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