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STUTTGART/ Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE – Emotion contra Kontrolle

16.10.2023 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „L’ELISIR D’AMORE“ 13.+ 15.10. 2023 (nm.) – Emotion contra Kontrolle

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Charles Sy und Chor. Foto: Martin Sigmund

Die letztjährige Neuinszenierung von Donizettis Melodramma giocoso füllte eine über dreißig Jahre gedauert habende Lücke im Repertoire des Hauses und sorgt nach einem überwiegenden Premieren-Erfolg nun auch im laufenden Spielplan für gute Laune und musikalisches Wohlbehagen wie an diesen beiden von auffallend viel jungem Publikum mit erfreulich viel Enthusiasmus akklamierten Aufführungen, wobei die zweite nachmittägliche als Familienvorstellung zu deutlich reduzierten Eintrittspreisen angesetzt war.

Die vor allem im zweiten Akt mit Witz und Ironie gespickte Inszenierung von Anika Rutkofsky hätte des ganzen Überbaus einer zweiten Ebene mit der Verlegung des Geschehens in ein Glashaus-Labor, in dem in einem von Adina streng überwachten Konzept Pflanzen zur Herstellung von Rohstoffen und für wissenschaftliche Zwecke gezüchtet werden und so eine Parallele zu ihrem kontrollierten Gefühlsleben hergestellt wird, gar nicht bedurft. Die ländliche Geschichte von der gut gestellten Pächterin, die von einem ihrer Arbeiter besinnungslos begehrt wird, ihm aber erst nach einer großen Opferbereitschaft und Wandlung seines Verhaltens ihre Zuneigung gesteht, ist so einfach und unmittelbar verständlich gestrickt und in Verbindung mit der Musik so trefflich vermittelt, dass sie keiner psychologischen Zusätze bedarf. Immerhin wandeln sich das grell beleuchtete Labor von Uta Gruber-Ballehr und die im ersten Akt in dreckigen Farbtönen gehaltenen Arbeits-Overalls von Adrian Stapf im zweiten Akt zum Besseren eines Gewächshauses und mit ländlichen Trachten-Kostümen verschiedener Epochen. Pointiert heraus gearbeitet ist Gianettas Nachrichten-Auftritt (von Lucia Tumminelli aus dem Opernstudio mit beherztem Sopran serviert) mit den individuell gezeichneten Chorsängerinnen und ihren köstlich sichtbar werdenden Ausmalungen einer nun erträumten Zukunft mit dem reich gewordenen Nemorino. Viel Spannung wurde auch in die wahrnehmbar werdende Wandlung Adinas von der kühl beherrschten zur von ihren plötzlichen Emotionen gegenüber dem Geliebten überwältigten und darob für einen Moment fast zusammenbrechenden Frau gelegt. Sowohl im fein aufgefächerten Spiel als auch mit ihrer darob immer mehr Farben bekennenden, rund sitzenden und bis in die Spitzen konstant und angenehm tönenden Stimme wächst der aus dem Opernstudio hervor gegangenen Claudia Muschio zuletzt überschwängliche Sympathie zu. Aber auch im Duett-Kräftemessen mit dem großsprecherischen Dulcamara zog sie bereits viele Register ihres Könnens.

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Charles Sy, Elena Tsallagova. Foto: Martin Sigmund

Statt des vorgesehenen Premieren-Interpreten Kai Kluge kam der alternativ vorbereitete Charles Sy (ebenfalls einstiger Opernstudio-Stipendiat) zum Einsatz und benötigte einige Zeit, um richtig warm zu laufen. Zum einen dürfte es an seiner etwas vielleicht auch bewusst etwas unbeholfenen Gestaltung liegen, die sich mit seiner Entwicklung noch erfreulich intensiviert, als auch in seinem eher schmalen, im Volumen begrenzten, aber fein intonierenden Belcanto-Tenor, der sich dann im Zuge seiner gespielten Gleichgültigkeit gegenüber Adina, der innig verlautbarten heimlichen Träne und seiner Überwältigung durch Adinas Liebesgeständnis doch noch herzhaft öffnet. In der Sonntag-Nachmittagsvorstellung gewann er noch etwas an vokaler Intensität, wozu ihn vielleicht auch die alternative Adina in Gestalt von Elena Tsallagova mit einem üppigeren, im Ton reineren und auch die Ensembles noch mehr überstrahlenden Sopran herausgefordert haben mochte. Im wandlungsfähigen Spiel ist sie ihrer Kollegin ebenbürtig.

Johannes Kammler ist gegenüber dem gockelhaften Premierenkollegen ein weniger aufschneidender, kraft seiner großen stattlichen Erscheinung und seines charaktervoll männlichen Baritons mit viel Registerbeweglichkeit indes genauso präsenter Belcore. Der neue Dulcamara, Giorgio Caoduro könnte mit seinem hell timbrierten, ganz auf Linie geführten Bariton genauso gut den Belcore übernehmen. Zumindest für die mit Wortkaskaden auftrumpfende Auftritts-Arie des hier als Weltenbummlers in die Gemeinschaft eindringenden, dann gar zum Guru für wundersame Verwandlungen mutierenden Dulcamara fehlt ihm etwas der Präsentations-Witz und das damit einher gehende mit allen Wassern gewaschene sprach-spielerische Parlando, ehe die Stimme doch noch mehr Farbe bekennt und zuletzt zum gleichwertigen Partner für das Duett mit Adina wird, in dem hier jeder auf seine Art Tränke braut.

Neu am Pult die noch junge Italienerin Danila Grassi, deren temperamentvollem Einsatz mit teils irrsinnig beschleunigten Tempi das durchaus in guter Laune spielende Staatsorchester Stuttgart nicht immer ganz zu folgen vermochte, so dass es mehrmals zu Taktverschiebungen und im Duett zwischen Nemorino und Belcore zu einem Beinahe-Schmiss gekommen ist. Da sie jedoch auch einiges an Detailarbeit hörbar machte und im Ganzen Donizettis Musik richtig explodieren ließ, fielen die erwähnten Unstimmigkeiten letztlich nicht ins Gewicht. Doch hatte der erfahrene Vlad Iftinca am Nachmittag aufgrund ausgewogenerer Tempi und genauerer Einsätze für einen reibungsloseren Ablauf gesorgt. Davon profitierte auch der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol, Bernhard Moncado), der die bereits erwähnte Aufsplitterung in Individuen für eine lebhafte Beteiligung an allen Situationen nutzte und Sanges- und Spielfreude wirkungsvoll überein brachte.

  Udo Klebes

 

 

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