Alles ist Kunst, nur die Rache nicht – „Rigoletto“ am Royal Opera House

ROH/RIGOLETTO/ Amartuvshin Enkhbat, Stefan Pop /Foto © ROH 2023 Tristram Kenton

Oliver Mears’ Inszenierung des Rigoletto am Royal Opera House verspricht einen düster-atmosphärischen Abend inspiriert durch die Ästhetik barocker und Renaissance-Gemälde. Sich zur Illustration der Tragik des Rigoletto den erdigen, in fahlgelbliches Licht getauchten Bildern italienischer Altmeister der Malerei zu bedienen, stellt eine Darbietung persönlicher Tragik durch ästhetische Schönheit in Aussicht; das, was die Kunst so oft versucht: die Vereinbarung von Schönheit mit dem Furchtbaren. (Rezension der besuchten Vorstellung vom 21.10.2023

 

 

Leider ist bald „finito“, fertig, mit dieser Ästhetik. Ein zunächst beeindruckendes Eröffnungsbild – Rigoletto, im klassischen Kostüm eines Hofnarren, schleicht um symbolische Figuren herum, unter anderem Engel und einen Mann mit Stierschädel als überdimensionierte Maske – verläuft sich größtenteils nach der ersten Szene. In dieser schreitet der Herzog von Mantua im selben Stierschädel wie eben gesehen in den Saal seines Palastes, wobei der Schädel mit seinen langen Hörnern vermutlich als Symbol für aggressiv-ungestüme Männlichkeit stehen soll. Zu Deutsch: der stößt sich noch die Hörner ab.

ROH/RIGOLETTO/ Amartuvshin Enkhbat /Foto © ROH 2023 Tristram Kenton

Danach aalt sich die Inszenierung jedoch zunehmend aus der Kunst heraus. In der folgenden Szene ist Sparafuciles Schatten, der Kopf direkt neben Gildas Fenster schwebend, der einzige „Kunstgriff“. Sobald Ideen von Rache ins Spiel kommen, sowohl die an Rigoletto als auch die am Herzog, schwindet die Kunstästhetik; alles ist Schönheit in diesem Spiel, nichts ist Ernst und alles ist Kunst, scheint die Inszenierung sagen zu wollen, nur die Rache nicht – zumindest nicht für ihre Opfer. Die Rächer hingegen bedienen sich weiterhin der schönen Bilder. Vielleicht zur Übertünchung seelischer Hässlichkeit. So erscheinen auch in folgenden Szenen gelegentlich surrealistisch-künstlerische Elemente am stärksten in Verbindung mit dem verdorbenen Hof des Herzogs, der nichts ernst nimmt und unter nichts leiden muss: Rigoletto zum Hohn legen die Töchterdiebe am Ende des ersten Aktes eine grotesk-hässliche Puppe als „Ersatzgilda“ in das leere Bett der Tochter; die Höflinge, die den Narren bei der verzweifelten Suche nach ebendieser Tochter gelassen beobachten, zünden sich alle zum exakt selben Zeitpunkt Zigaretten an, gekleidet in Anzüge und Hüte, die an Magrittes Le fils d’homme erinnern.

ROH/RIGOLETTO/ Ramona Zaharia, Gianluca Buratto/Foto © ROH 2023 Tristram Kenton

Dennoch schwächeln diese Hinweise erkennbar in ihrer Eindeutigkeit sowie in ihrer Konstanz. Ein surrealistisches Gemälde kann sich hier nicht entscheiden, ob es eins sein möchte – und zum Schluss verläuft sich die Inszenierung auch noch in ungewollter Komik mit dem deutlich kunstfremd-pragmatischen Geschwisterpaar Sparafucile und Maddalena, die in Jeansjacken und Stiefeln oder gerissenen Netzstrumpfhosen, respektive, aus ganz anderen Kreisen kommen. Die Leere der Bühne in der finalen Szene scheint zuletzt statt ausgearbeitetem Weltenclash eher inhaltliche Leere zu offenbaren.

Das größte Rätsel wirft jedoch die Nebenfigur des Monterone auf (immerhin nicht rätselhaft, sondern durchsetzungsfähig singend: Fabrizio Beggi). In einem modernen Anzug gekleidet platzt er in die Feierlichkeiten des Herzogs wie ein entsetzter Kurator, der in die unmoralische Unordnung seines zu verwaltenden Gemäldes gerät. Zur Strafe für seinen Aufstand wird er festgenommen, an einen Stuhl gebunden und – möglicherweise, denn die Lichtverhältnisse und die Anzugfarbe des Gefesselten sind für eindeutig platzierte Blutflecken ungünstig – vom Herzog mit einem langen Messer kastriert. Die Gründe bleiben im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln, warum eine Verstümmelung ausgerechnet den um Moral und Familienehre besorgten Monterone treffen muss. Bei seinem zweiten Auftritt wurden ihm scheinbar die Augen ausgestochen – doch für mehr als eine Aussage über die offensichtlich rücksichtslose Gewalt in Mantua taugt das nicht.

Auch das Programmheft möchte sich über diese Zustände leider nicht äußern. Neben einem Hinweis auf den Film „Joker“ und einem Essay zum Thema Behinderungen im Rigoletto findet sich nichts über die bildende Kunst, die die Inszenierung inspiriert haben soll – die angebliche Darstellung und Wahrnehmung von körperlichen Behinderungen hingegen ist ein klaffendes Loch auf der Bühne.

ROH/RIGOLETTO/Pretty Yende, Amartuvshin Enkhbat(Foto © ROH 2023 Tristram Kenton

Amartuvshin Enkhbat, Sänger der Titelfigur, leitet mit bassbaritonal wirkender Noblesse durch den Abend und bleibt zumeist bei dieser Stimmfarbe, ausgenommen seltene, doch geschickte Ausbrüche, wie ein treffsicheres Tenorimitat auf „Fa ch’io rida, buffone“ – ein liebevoller Mann in seinem Wesen, doch erdrückend gegenüber seiner Tochter und selbst erdrückt von der leichtfertigen Verachtung gegenüber seiner Person. Pretty Yende als Gilda produziert hohe Töne wie kleine Geigenstriche, ein leicht trällerndes „Caro nome“, jung, doch nicht süßlich, und beweist gemeinsam mit Enkhbat im Duett „Ah! Veglia, o donna!/Oh, quanto affetto“ eine kluge Abstimmung der Stimmen aufeinander, in der sich der liebende Kern dieser geplagten Vater-Tochter-Beziehung offenbart.

Stefan Pops Herzog von Mantua bringt eine solide Darbietung mit muskulöser Stimme, doch ohne die notwendige Offenheit im oberen Register zur großen Schönheit. Zumindest in der Arie „Parmi veder le lagrime“ malt er sich das Leid seiner Geliebten mit grandios mangelhafter Introspektion aus, gänzlich vergessend, dass seine eigene Haltlosigkeit die Machenschaften seiner Höflinge anfeuert. Sparafucile (Gianluca Buratto) scheint passenderweise im Timbre nur einen Katzensprung von Rigolettos eigener Stimme entfernt, doch kerniger, rollender, die letzte Note seines ersten Auftritts lange gehalten. Maddalena (Ramona Zaharia), selbst schlagfertig und gleichzeitig vom Leben und womöglich ihrem Bruder geschlagen, lässt sich in schwelendem Mezzo einzig zum Zeitvertreib von unehrlichen Männern einwickeln.

Julia Jones hält sich mit dem Orchester des Royal Opera House stark an die Partitur, Verdis flotte Momente ordnungsgemäß ausgearbeitet mit dunklem Unterton. Einzelne Akzente umfassen ein begrüßenswert lebendiges „Sì, vendetta“, auch mit erstaunlich herausgezögertem Ende dank der Blechbläser, und ein ebenfalls zügiges „Tutte le feste al tempio“. Dieser kurze Monolog wird für Gilda dank deutlicher Untermalung der tieferen Streicher mit stark gezeichneten Strichen zum Geständnis ihrem Vater gegenüber, keinesfalls eine Träumerei aus der Vergangenheit einer naiven jungen Frau. Mehr dieser Zusammenspiele mit der Psyche der Charaktere, mehr Deutung der Charaktere, wo die Inszenierung selbst wenig wagt, wäre aus dem Orchestergraben an diesem Abend wünschenswert gewesen, um ihn von solider bis per se guter Leistung in die Oberliga zu heben. Der Royal Opera Chorus erfreut unterdessen mit immer wieder sehr klarer Diktion im Italienischen und zeigt sich darstellerisch amüsant, als Chorsänger dem Herzog vorspielen, wie sich die Entführung der Narrentochter abspielte.

Am Ende bleibt ein leicht säuerlich-verärgerter Geschmack zurück. Zu gern hätte man mehr gesehen von der Welt der wandelnden Gemälde, hätte mit kunstkundigen Bekannten über die Verbindungen dieser Ausdrucksformen diskutiert und sich wechselseitig Geheimnisse italienischer Meister offenbart. Doch unterband ein englischer Regisseur kurzerhand seinen eigenen Zauber.

 

  • Rezension von Lynn Sophie Guldin / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • ROH / Stückeseite
  • Titelfoto: ROH/RIGOLETTO/Pretty Yende, Amartuvshin Enkhbat (Foto © ROH 2023 Tristram Kenton
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