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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Die Zauberflöte

Wohltemperiert und freundlich

(Leipzig, 28.10.2023) Matthias Davids, designierter Regiedebütant in Bayreuth, inszeniert politisch korrekt, aber frei von Dialektik. Jonathan Darlington verströmt mit dem Gewandhausorchester Alte-Musik-Lockerheit.

vonRoland H. Dippel,

Derzeit hat „Die Zauberflöte“ wieder Hochkonjunktur in Neuproduktionen und Repertoire-Vorstellungen – zum Beispiel in München, Dessau und Hof. Die im September 1791 im Wiener Freihaustheater uraufgeführte „Große Oper“ hat es in sich. Denn die von Mozart und seinem Textdichter Emanuel Schikaneder den Zeremonien der Freimaurer nachempfundenen Riten der Priesterschaft um Sarastro ergehen sich in heute unzulässigen Frauenfeindlichkeiten. Das hätte ein Reibungs- und kräftiger Ausgangspunkt sein können, wurde am Augustusplatz aber geglättet und auch erläuternd vereinfacht: Den eher wie ein napoleonischer Nachtwächter denn Vogelfänger im Federtrikot aussehenden Papageno nennen die drei Damen einen „absurden Komiker“.

Bayreuths nächster „Meistersinger“-Regisseur in Leipzig

Geholt für die Inszenierung hatte man Matthias Davids, den Leiter der hochqualitativen Musical-Sparte am Theater Linz und Regisseur für „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen 2025. „Die Zauberflöte“ mit ihrem bunten Figurenarsenal von Mädchenprinzessin, kalter Mutter, erlauchtem Priester, munterem Dienstvolk und sogar einem PoC, der hier statt „böser Mohr“ freilich „böser Mann“ heißt, ist ein schillernder Kosmos, der Rückschlüsse auf die Intensität einer späteren Leistung auf dem Grünen Hügel erlaubt. In Leipzig wurde „Die Zauberflöte“ ein am Ende lange und lautstark umjubeltes Musiktheater zum Entspannen.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig

Politisch unanfechtbar

Die neue „Zauberflöte“, welche die von älterem Publikum mit leuchtenden Augen umschwärmte Inszenierung vom Uwe Scholz ablöst, ist paradigmatisch für die von Intendant Tobias Wolff konsequent verdichtete, bereits von Uwe Schirmer eingeleitete Linie. Politisch korrekt will man sein, gleichzeitig populär und jetzt auch nachhaltig. Zwischentöne wie Zynismus und Sarkasmus fehlen, Dialektik auch. Allenfalls könnte man – neben der Hommage auf das Theater als Welt – wohlwollende Ironie vermuten, wenn die Figuren zur mit schneller Beiläufigkeit genommenen Ouvertüre auf die Vorbühne kommen und erst keck, dann ratlos in den Orchestergraben blicken. Sehr ehrenwert, pittoresk und hübsch alles.

In Leipzig gibt es in der Bühnenmitte eine Spielschräge, umgeben von Spiegelwänden links, rechts oben – dahinter das Meer. Mathias Fischer-Dieskau setzte daneben kahles Gestrüpp. Die Feuer- und Wasserprobe war eher Rummelplatz-Amüsement als echte Prüfung. Möglich wurde diese flockige Leichtigkeit auch durch die Kostüme von Susanna Hubrich. Krinolinen in Fast-Fashion-Pastellfarben, darunter Jeans. Prinz Tamino trägt Haarknoten und Pamina ein weißes Kleidchen mit ihrem eigenen Konterfei. Immerhin adeln einige Besetzungen an unerwarteter Stelle den Abend: Vor allem Amelie Petrich, die in den wenigen Papagena-Sätzen und ihrer einzigen Musiknummer eine festspielwürdige Dimension erreicht. Sie ist ein Lichtblick in Opernzeiten des abnehmenden Nachdrucks.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig

Mit ähnlicher Ernsthaftigkeit agiert allenfalls noch Dan Karlström als Monostatos. Auf der Plusseite der Hauptpartien stehen zwei Positionen. Randall Jakobsh als Sarastro mit Prägnanz und gekonnten vokalen Kanten und neben ihm Samantha Gaul als mehr klare als innige Pamina. David Fischers Tamino hat schöne Linien, doch wenig Dringlichkeit. Pamina und Tamino gehen einfach am Ende, genau wie Papagena und Papageno (Jonathan Michies Stärken liegen sicher im Musical). Von Liebe wird mehr gesungen und gesprochen als glaubhaft dargestellt. Tiere werden mit Ausnahme eines riesigen, von der Bühnenhöhe fallenden Kobrakopfes nur projiziert. Überhaupt könnte man das Set als Zivilisationszelle am Ende des Artensterbens mit Reminiszenzen an eine schöne Vergangenheit betrachten.

Karikierte Frauenfeindlichkeit und öde Gleichstellung

Für die Priesterschaft zeigt Davids wenig Mühe, sich mit den Grundregeln der freimaurerischen Riten zu beschäftigen. Er bevorzugte ein aus einer Vielzahl von SF-Visionen bekanntes Ambiente mit Sektenandeutungen. Trotzdem geraten die Priesterszenen in Davids‘ Inszenierung und Werksicht zu den stärksten Momenten. Wenn es um Frauenfeindlichkeit geht, gebärden sich die Herren mit den höheren Geistesweihen wie pubertierende Witzlinge, enttarnen damit sich selbst und die Priester-Brüderschaft. Frauen sind im Schlusschor zugelassen, fügen sich in die sektiererische wie trügerische Eine-Welt-Harmonie uniform ein.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig

Vokale Disziplin

Drei musikalische Leitungen stehen im Programmheft – fünf am Premierentag auf der Website. Den Premierenstich machte Jonathan Darlington und versuchte dem Gewandhausorchester Alte-Musik-Lockerheit anzuerziehen. Am besten gelangen Darlington mit der hier nicht zu großen Besetzung und Thomas Eitler-de Lints Vorbereitung die Chorszenen – klar artikuliert und schön. Das Damen-Trio (Olga Jelínková, Kathrin Göring, Nora Steuerwald) agiert mit verspielter Leichtgewichtslaune. Julia Sitkovetskys Spitzentöne für die Königin der Nacht klingen in der Rachearie imponierend, aber in diesem Umfeld ohne dramatische Befeuerung. Mathias Hausmann blieb in der oft zum Höhepunkt werdenden Sprecher-Szene unauffällig. Sehr fein dagegen der Sklavenchor in kleiner Quartettbesetzung. Die Soli aus dem Thomanerchor bringen die drei Knaben in grundbraver Aufstellung und mit vokaler Disziplin. Das entspricht der Gesamthaltung des Abends.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Leipzig

Spannend bei Dialog-Musiktheaterstücken wie „Die Zauberflöte“ und „Die Fledermaus“: Was passiert wenn Einspringenden aus Versehen oder in Eifer des Spielgefechts die heute verpönten Dialogsätze und Worte der Originaltexte von den Lippen springen? Egal wie: Spätestens zu den Vorstellungen im Advent kommt die Seelentiefe und Herzenswärme zurück in Mozarts komplexes Stück, dessen Fragestellungen man dem Publikum mit ungefilterter Schärfe offenbar nicht mehr überall zumuten will.

Oper Leipzig
Mozart: Die Zauberflöte

Jonathan Darlington (Leitung), Matthias Davids (Regie), Mathias Fischer-Dieskau (Bühne & Video), Susanne Hubrich (Kostüme), Guido Petzold (Licht), Kara McKechnie (Dramaturgie), Randall Jakobsh, David Fischer, Mathias Hausmann, Sejong Chang, Sven Hjörleifsson, Marian Müller, Julia Sitkovetsky, Samantha Gaul, Olga Jelínková, Kathrin Göring, Nora Steuerwald, Jonathan Michie, Amelie Petrich, Dan Karlström, Sven Hjörleifsson, Sejong Chang, Ceano Hall, Arthur Geisler, Hannes Becker, Michael Chu, Ruben Olivares, Vincent Turregano, Chor der Oper Leipzig, Knaben-Solisten des Thomanerchor, Gewandhausorchester

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