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Wexford Festival Opera
24.10.2023 - 05.11.2023


La ciociara (Two Women)

Oper in zwei Akten
Libretto von Fabio Ceresa und Luca Rossi
basierend auf dem gleichnamigen Roman von Alberto Moravia
Musik von Marco Tutino

In italienischer Sprache mit englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Premiere im National Opera House in Wexford am 26. Oktober 2023
(rezensierte Aufführung: 28. Oktober 2023)



 

 

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Gräuel des Krieges

Von Thomas Molke / Fotos: © Clive Barda

Als die künstlerische Leiterin des Wexford Festival Opera, Rosetta Cucchi, das Thema für das diesjährige Festival geplant hat, dürfte wohl die am 13. Juni 2015 an der San Francisco uraufgeführte Oper La ciociara (Two Women) von Marco Tutino nach dem gleichnamigen Roman von Alberto Moravia aus dem Jahr 1957 und der Verfilmung mit Sophia Loren, Eleonora Brown und Jean-Paul Belmondo in den Hauptrollen Ausgangspunkt gewesen sein, das Schicksal von Frauen im Krieg als Thema zu wählen. Dass eine Protagonistin darin auch noch Rosetta heißt, ist natürlich Zufall. So gibt es in diesem Jahr, wie schon 2018 mit Dinner at Eight und 2014 mit Silent Night, neben unbekannten Werken aus dem 19. und 20. Jahrhundert wieder eine zeitgenössische Oper. Es handelt sich zwar in Wexford in diesem Jahr nicht um eine europäische Erstaufführung, aber dafür hat der Komponist Tutino die Partitur für die Aufführung in Wexford überarbeitet, so dass man die Produktion als "Weltpremiere der revidierten Fassung" bezeichnen kann.

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Giovanni (Devid Cecconi) begehrt Cesira (Na'ama Goldman).

Die Geschichte spielt am Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien und handelt von dem Schicksal einer Mutter und ihrer Tochter Rosetta. Cesira, die Mutter, führt nach dem Tod ihres Mannes einen Lebensmittelladen in Rom, und will sich mit ihrer Tochter ins Hinterland zurückziehen, um sicherer vor den Wirren des Krieges zu sein. Dazu sucht sie Hilfe bei dem besten Freund ihres verstorbenen Mannes, Giovanni, der jedoch ganz andere Interessen an Cesira hat. Nachdem Giovanni Cesira bei einem Luftangriff vergewaltigt hat, flieht sie in eine Gegend um Rom, die den Namen Ciociarķa trägt. Dort trifft sie auf den jungen Lehrer Michele und verliebt sich in ihn. Da Michele allerdings den Partisanen nahesteht und dem verwundeten britischen Soldaten, John Buckley, hilft, wird er von den Nationalsozialisten verhaftet und von Giovanni, der sich als Faschist den Nazis angeschlossen hat, hingerichtet. Cesira und Rosetta gelangen auf der Flucht zu einer verlassenen Kirche, in der sich eine Gruppe marokkanischer Soldaten der französischen Armee niedergelassen hat. Dort kann Cesira nicht verhindern, dass die Soldaten sie und ihre Tochter vergewaltigen. Als der Krieg vorüber ist, ist das Verhältnis der beiden Frauen zunächst zerstört. Als es ihnen jedoch gelingt, Giovanni, der mittlerweile wieder das Lager gewechselt hat, seiner gerechten Strafe zuzuführen, finden Tochter und Mutter wieder zueinander und versuchen gemeinsam, die Gräueltaten des Krieges zu verarbeiten.

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Cesira (Na'ama Goldman) und Michele (Leonardo Caimi, links) helfen dem verwundeten John Buckley (Allen Boxer, Mitte).

Marco Tutinos Musik hält den Bezug zum großen italienischen Melodramma und trägt daher starke veristische Züge. Dabei findet Tutino für die einzelnen Figuren individuelle Klangsprachen, die ganz auf ihren Charakter abgestimmt sind. So hat mein Michele häufig große lyrische Bögen, die an Puccini erinnern. Die Musik für Giovanni ist sehr düster und hart mit umfangreichem Einsatz von Schlaginstrumenten gehalten. Für Mama Sciortino, bei der Michele, Cesira und Rosetta hoffen, Unterschlupf zu finden, da ihr Sohn Paolo ein langjähriger Freund Micheles ist, komponiert Tutino einen sehr flatterhaften Stil, da es dieser Frau völlig gleichgültig ist, den Freund ihres Sohnes dem im Haus untergebrachten Nazi Fedor von Bock auszuliefern. Sie sorgt sich lediglich darum, dass das Essen für alle reicht. Komplexer wird die Musiksprache bei Cesira, die eine große Entwicklung in der Oper durchläuft. Ist sie zu Beginn eine relativ kalte Geschäftsfrau, der einzig das Wohl ihrer Tochter am Herzen liegt, ändern sich ihre Einstellungen durch die schrecklichen Erlebnisse, bei denen man sich fragt, wie eine Frau das alles aushalten kann, und ihre Begegnung mit Michele, der ihr neue Hoffnung gibt. Manche Schrecken zeichnet Tutino in der Musik noch grausamer, als sie auf der Bühne überhaupt umgesetzt werden können. Tutino bezeichnet in einem Artikel im Programmheft den Stil seiner Komposition sehr passend als "die Musik, die sich selbst vergisst", was auch die Nähe zur Filmmusik erklärt.

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Die Tänzerin (Yiaimara Gomez Fabre)

Den Film scheint Cucchi bei ihrer Inszenierung auch im Hinterkopf gehabt zu haben. So ist an der Rampe ein Stuhl aufgestellt, auf dem der Name des Regisseurs Vittorio De Sica steht. Ihn lässt Cucchi auch zu Beginn der Oper als Statisten auftreten und die ganze Geschichte, die wie ein Dreh an einem Filmset startet, beobachten. Dabei wirft er zwischenzeitlich das Script auf den Boden und deutet damit an, dass er das, was da eigentlich auf die Bühne gebracht werden soll, nicht mehr ertragen kann. Dann steht er sogar auf, zieht seinen Mantel an und will die Bühne verlassen, weil er wohl der Meinung ist, dass man für diese Schrecken gar keine passenden Worte finden kann. Dass er sich dann aber doch anders entscheidet, ist einer weiteren Figur geschuldet, die Cucchi ebenfalls in ihrer Inszenierung einführt und deren Funktion einige Fragen aufwirft. Es handelt sich dabei um eine farbige Tänzerin (Yiaimara Gomez Fabre), die zu Beginn in einem Mantel, unter dem sie nur einen weißen Unterrock trägt, wie ein Geist über die Bühne schleicht, und mit scharfem Ton verkündet, dass die Liebe nur den jungen Menschen gehört. Erst wenn sie in einem großen musikalischen Intermezzo im zweiten Akt voller Verzweiflung auf der Bühne tanzt, lässt sich erahnen, dass diese Figur stellvertretend für alle Frauen und das Leid steht, das Frauen im Krieg und anderen Notsituationen erleiden.

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Cesira (Na'ama Goldman, links) will ihre Tochter Rosetta (Jade Phoenix, rechts) schützen.

Cucchi verbindet Szenen auf der Bühne mit Filmsequenzen, die beispielsweise Cesira und Rosetta auf ihrem Weg nach Sant' Eufemia zeigen, wo Cesira einst aufgewachsen ist. Auch größere Zeitsprünge werden mit Videoeinspielungen überbrückt. Im zweiten Teil gibt es historisches Filmmaterial von dem Einmarsch der Alliierten, die über das Meer nach Italien kommen. Diese Bilder verschwimmen mit der Ankunft der farbigen Frau, die vielleicht als Flüchtling hier im wahrsten Sinne des Wortes an Land gespült wird und Schutz sucht. Dass sie allerdings mit verbundenen Augen an eine Wand gestellt wird, lässt vermuten, dass sie diesen Schutz hier nicht finden wird. Die Bühne von Tiziano Santi zeigt zunächst ein Filmset. Der Gemüseladen von Cesira wirkt in seinen Bruchstücken so, wie man es für Filmaufnahmen benötigt. Sant' Eufemia im zweiten Teil des ersten Aktes wird recht historisierend wie ein italienisches Dorf aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts dargestellt. Auch die Kostüme von Claudia Pernigotti sind der Zeit angepasst, in der die Geschichte spielt. Die Wohnung von Pasquale Sciortino ist ein enger Raum in einer Guckkastenbühne, aus dem es kein Entrinnen gibt. So läuft Michele hier in die Falle. Für den folgende Szene wird die Bühne dann geteilt. Auf der linken Seite sieht man die Zelle, in der Michele zunächst von den Nationalsozialisten gefoltert und später von Giovanni erschossen wird. In der Mitte befindet sich eine Steinwand, die bisweilen einen durchlässigen Einblick in die dahinter liegende verfallene Kirche zeigt, in der Cesira und Rosetta von den marokkanischen Soldaten vergewaltigt werden.

Dass die Inszenierung unter die Haut geht, liegt nicht nur an der Musik, die vom Wexford Festival Orchester unter der Leitung von Francesco Cilluffo ausdrucksstark umgesetzt wird, und der bewegenden Geschichte, die erzählt wird, sondern vor allem auch an den großartigen Darsteller*innen. Na'ama Goldman setzt die Entwicklung Cesiras von einer kalt berechnenden zu einer tiefe Gefühle empfindenden Frau glaubhaft um und begeistert auch stimmlich mit dramatischem Mezzosopran, dem sie zahlreiche verschiedene Klangfarben verleiht. So kann sie schneidend kalt klingen, wenn sie mit Giovanni zu tun hat und findet weiche, nahezu verletzliche Töne, wenn es um ihre Tochter geht. Der schrecklichste Moment ist, wenn sie zusehen muss, wie ihrer Tochter von den Soldaten Gewalt angetan wird und sie sie erstmals nicht schützen kann. Jade Phoenix stattet die Partie der Rosetta mit mädchenhaftem Sopran und einer herrlichen Naivität im Spiel aus, die durch die Vergewaltigung im zweiten Teil gebrochen wird. Die Zerstörung, die dieses Erlebnis in dem jungen Mädchen auslöst, wird von Phoenix intensiv umgesetzt. Danach wirft sie sich wie eine Dirne den Männern an den Hals und findet erst wieder mit ihrer Mutter zusammen, als diese ihr erzählt, dass Michele tot ist.

Leonardo Caimi punktet als Michele mit hellem Tenor und großer Strahlkraft. Devid Cecconi gibt den bösen Giovanni mit schwarzem Bariton und diabolischem Spiel. Auch die übrigen Darsteller*innen und der von Andrew Synnott einstudierte Chor überzeugen in den kleineren Partien auf ganzer Linie, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall am Ende gibt, in den sich auch bei der zweiten Aufführung Rosetta Cucchi als Regisseurin und der Komponist Marco Tutino einreihen.

FAZIT

Diese Oper geht unter der Haut, was zum einen an der Musik Tutinos liegt, die in großen Teilen nach den Verismo-Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts und Filmmusik klingt, und zum anderen an der von Rosetta Cucchi packend erzählten Geschichte.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Francesco Cilluffo

Inszenierung
Rosetta Cucchi

Bühne
Tiziano Santi

Kostüme
Claudia Pernigotti

Licht
Daniele Naldi

Chorleitung
Andrew Synnott

 

Orchester des Wexford Festival Opera

Chor des Wexford Festival Opera

 

Solistinnen und Solisten

Cesira
Na'ama Goldman

Rosetta
Jade Phoenix

Michele
Leonardo Caimi

Giovanni
Devid Cecconi

Fedor von Bock
Alexander Kiechle

John Buckley
Allen Boxer

Lena
Carolyn Dobbin

Pasquale Sciortino
Conor Prendiville

Maria Sciortino / Una Donna
Erin Fflur

Un Ragazzo
Julian Henao Gonzalez

Una Popolana
Grace Maria Wain

Soldato Marocchino 1
Meilir Jones

Soldato Marocchino 2
Christian Loizou

Soldato Marocchino 3 / Uomo
Will Searle

Vittorio De Sica
Peter McCamley

Tänzerinnen und Tänzer
Luisa Baldinetti
Andrea Bassi
Yiaimara Gomez Fabre
Roberto Capone
Miryam Tomè
Andrea Zanforlin

 


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