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Wexford Festival Opera
24.10.2023 - 05.11.2023


L'Aube rouge

Drame lyrique in vier Akten
Libretto von Arthur Bernède und Paul de Choudens
Musik von Camille Erlanger

In französischer Sprache mit englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere im National Opera House in Wexford am 25. Oktober 2023
(rezensierte Aufführung: 29. Oktober 2023)



 

 

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Liebe gegen politischen Aktivismus

Von Thomas Molke / Fotos: © Clive Barda

Camille Erlanger ist als Komponist heutzutage genauso unbekannt wie seine Werke. Dabei begann seine Karriere am Ende des 19. Jahrhunderts recht vielversprechend. 1888 gewann er den Prix de Rome mit seinen lyrischen Szenen unter dem Titel Velléda. Es folgten mehrere Opernuraufführungen in Paris, und die namhaften Stars der damaligen Zeit schmückten die Besetzungszettel seiner Werke. Doch außerhalb Frankreichs konnte Erlanger nicht Fuß fassen. Selbst sein größter Erfolg in Paris, Le Juif polonais, floppte in Wien, als Gustav Mahler das Werk dort voller Begeisterung auf den Spielplan stellte. Ab 1906 ließ dann auch das Interesse an seinen Opern in Paris ein wenig nach, und die weiteren Uraufführungen kamen andernorts in Frankreich heraus. In diese Phase fällt auch sein Drame lyrique L'Aube rouge, das am 29. Dezember 1911 in Rouen Premiere feierte. Dem Werk war kein großer Erfolg beschieden, und es verschwand schnell von den Spielplänen. Da die Oper inhaltlich zum Thema des diesjährigen Festivals, Women and War, passt, hat sich Rosetta Cucchi entschieden, das Stück in Wexford wiederzuentdecken.

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Olga (Andreea Soare, Mitte) ist ins Lager der Rebellen gekommen (von links: Danilo (Rory Lynch), Tatiana (Hanna O'Brien), Vassili (Thomas Birch), Kouraguine (Giorgi Manoshvili), Yvan (Gabriel Seawright) und Natacha (Emma Jüngling)).

Wenn man auch bei vielen beliebten Opern des gängigen Repertoires die erzählte Geschichte hinterfragen kann, geht es in Erlangers L'Aube rouge aber so weit, dass die zahlreichen Logiklöcher auch nicht durch die beste Musik gestopft werden könnten. Das beginnt bereits damit, dass man gar nicht nachvollziehen kann, was das Liebespaar der Oper, Olga und Serge, eigentlich verbindet. Serge ist ein junger Student, der in St. Petersburg zum Anführer einer Gruppe von Anarchisten gewählt wird. Olga ist die Tochter des Generals Lovarof, der zu den Hauptfeinden der Rebellen gehört. Wieso sich Olga im ersten Akt überhaupt ins Lager der Feinde begibt und Serge sich in sie verlieben soll, ist kaum nachvollziehbar. Dass sie die Gruppe vor der anschließenden Verhaftung durch russische Polizisten rettet, macht dann wenigstens etwas Sinn. Danach kommt es im zweiten Akt allerdings zu einem Zeitsprung mit wichtigen Ereignissen, die lediglich nebenbei erwähnt werden. Man sieht Olga als zukünftige Braut des Franzosen Paul de Ruys. Dass ihr Vater sie zu dieser politischen Liaison hat überreden können, weil er ihr eingeredet hat, dass ihr Geliebter Serge verhaftet und getötet worden sei, erfährt man nur beiläufig, als Serge, warum auch immer, bei der anstehenden Hochzeit auftaucht und seine Geliebte zur Rede stellt. Jedenfalls fliehen die beiden dann nach Paris, wo sie wieder auf die ehemaligen Rebellen treffen, die nun einen Mordanschlag auf den verhassten russischen Grand Duc Grégorieff planen, der in Paris erwartet wird. Dass Olga per Los den Namen des Attentäters ziehen soll und natürlich Serges Namen zieht, ist dramaturgisch genauso dünn wie die Tatsache, dass Vassili seinen Freund Serge niederschießt, als dieser sich aus Liebe zu Olga weigert, das Attentat zu verüben.

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Olga (Andreea Soare) und Serge (Andrew Morstein) haben Zuflucht in Paris gefunden.

Es folgt der einzige wirklich dramatische Moment in der Opernhandlung. Olga und Kouraguine bringen den verwundeten Serge in ein Krankenhaus, in dem Olgas ehemaliger Verlobter Paul als Chefarzt tätig ist. Er ist der einzige, der Serge retten kann, und entscheidet sich nach einigem Zögern, seine Berufung als Arzt ernster zu nehmen als seine persönlichen Gefühle. Nun stünde einem Happy End eigentlich nichts mehr im Weg, aber aus einem in keiner Weise nachvollziehbaren Grund entscheidet sich Serge jetzt, nachdem ihm das Leben gerettet worden ist, als Selbstmordattentäter doch noch den zunächst verweigerten Auftrag auszuführen, weil er plötzlich glaubt, als Märtyrer dafür bestimmt zu sein. So stellt er seine politischen Ziele über seine Liebe zu Olga, die bei der Explosion am Himmel die rote Dämmerung sieht und weiß, dass sie ihren Geliebten Serge verloren hat. Entseelt bricht sie zusammen und folgt ihm in den Tod.

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Vassili (Thomas Birch, am Tisch stehend) will das Los entscheiden lassen, wer das Attentat verüben soll (am Tisch sitzend von links: Yvan (Gabriel Seawright), Danilo (Rory Lynch), Tatiana (Hanna O'Brien), Sonia (Ava Dodd) und Kouraguine (Giorgi Manoshvili), auf der Treppe im Hintergrund: Serge (Andrew Morstein)).

In dieser Geschichte auch nur ansatzweise Parallelen zu Shakespeares Romeo und Julia zu sehen, wie die Regisseurin Ella Marchment im Programmheft erläutert, ist sehr weit hergeholt. Natürlich stammen die beiden Liebenden aus verfeindeten Lagern, die politisch gegensätzliche Interessen verfolgen. Das Liebespaar unterliegt aber keineswegs den Zwängen, denen Romeo und Julia bei Shakespeare ausgesetzt sind. Im Gegenteil hat Olga die Freiheit, die Seiten zu wechseln. Einer glücklichen Beziehung stehen sie schlussendlich also nur selbst im Weg. Dass Serge am Ende seine Liebe für seinen politischen Aktivismus opfert, nachdem er sich erst geweigert hat, aus Liebe zu Olga das Attentat zu verüben, lässt keine Bezüge zu Romeos Handeln erkennen, der für seine Liebe und nicht für eine politische Überzeugung in den Tod geht. Was macht man also mit einem solchen Stück, das überhaupt nicht nachvollziehbare Charaktere enthält? Marchment entscheidet sich dafür, einfach die Geschichte zu erzählen und nicht weiter zu versuchen, die Logiklöcher zu stopfen. So sieht man zumindest eine librettonahe Umsetzung, die die Schwächen des Stückes umso deutlicher macht.

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Olga (Andreea Soare) erkennt, dass sie Serge verloren hat (auf der linken Seite: Kouraguine (Giorgi Manoshvili)).

Um die zahlreichen Szenenwechsel zu ermöglichen, wählt Holly Pigott ein flexibles Bühnenbild, das aus mehreren Treppenelementen besteht, die in den einzelnen Akten durch unterschiedliche Anordnung den jeweiligen neuen Handlungsort anzudeuten. Im ersten Akt bilden diese Treppen eine ärmliche Unterkunft, in der die Rebellen ihren Widerstand gegen die korrupte russische Gesellschaft planen. Eine riesige Tonne fungiert als Herd, in dem das nur noch in Form von Stühlen vorhandene Holz verbrannt wird, um im Raum ein bisschen Wärme zu schaffen. Mit hohen Wänden und zahlreichen Luftballons im Hintergrund wechselt man dann im zweiten Akt in einen opulenten Saal, in dem Olga mit Paul Hochzeit feiern soll. Etwas spartanischer ist dann wiederum die Unterkunft in Paris im dritten Akt angelegt, in der Olga und Serge Unterschlupf finden. Die hohen Wände kommen dann wieder in der anschließenden Krankenhausszene zum Einsatz. In den Umbauphasen sieht man in einer Videoprojektion eine Zeitschaltuhr ablaufen, die die bevorstehende Explosion am Ende der Oper anzeigt. Der letzte Akt zeigt dann eine Gegend mit heidnischem Kult, wobei man gar nicht versteht, wieso es Olga und Serge mit ihren ständigen Bekenntnissen zu Gott hierhin verschlagen hat. Tänzerinnen und Tänzer vollführen zu einer langen Zwischenmusik einen heidnischen Tanz um ein Feuer, bei dem auch eine Holzfigur verbrannt wird. In den Armen dieser Tänzerinnen und Tänzer bricht Olga nach dem Tod Serges leblos zusammen.

Immerhin entschädigt Erlangers Musik für die Schwächen der Geschichte. Die Partitur ist sehr gefällig und baut an einigen Stellen große dramatische Bögen auf, bleibt allerdings nicht im Ohr. Christophe Manien, der ab der zweiten Aufführung die musikalische Leitung des Wexford Festival Opera übernommen hat, arbeitet die unterschiedlichen Klangfarben mit Fingerspitzengefühl heraus. Als Olga glänzt Andreea Soare mit kräftigem Sopran und sauber ausgesungenen dramatischen Höhen. Andrew Morstein kann als ihr Geliebter Serge nur bedingt mithalten. In der Mittellage verfügt er über einen strahlenden Tenor, der in den Höhen jedoch bisweilen etwas dünn wird. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt des Abends ist Giorgi Manoshvili als Kouraguine, der mit profundem, dunklem Bass punktet. Man wundert sich, dass Erlanger nicht auch Vassili als Bass- oder zumindest Bariton-Partie angelegt hat, sondern ihn in den gleichen strahlenden Höhen wie Serge zeichnet. Bei seinem Charakter hätte man eine dunklere Stimmfärbung erwartet. Thomas Birch gestaltet die Partie mit sicheren Höhen. Auch die übrigen Partien sind gut besetzt, so dass zumindest die musikalische Umsetzung großen Beifall verdient. Für die Schwächen des Stückes kann das Ensemble nichts.

FAZIT

Bei manchen Werken hat es einen berechtigten Grund, dass sie in Vergessenheit geraten sind. Auch wenn das Stück gut zum Festival-Thema "Women and War" passt, dürfte es wohl kaum für weitere Wiederbelebungsversuche reichen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Guillaume Tourniaire /
*Christophe Manien

Inszenierung
Ella Marchment

Bühne und Kostüme
Holly Pigott

Choreographie
Luisa Baldinetti

Licht
Daniele Naldi

Chorleitung
Andrew Synnott

 

Orchester des Wexford Festival Opera

Chor des Wexford Festival Opera

 

Solistinnen und Solisten

Olga
Andreea Soare

Serge
Andrew Morstein

Natacha / Sœur Therese
Emma Jüngling

Sonia
Ava Dodd

La Comtesse / Sœur Marthe
Dominica Williams

Kouraguine
Giorgi Manoshvili

Pierre de Ruys
Philippe-Nicolas Martin

Le Grand Duc Grégorieff
Rory Musgrave

Vassili / Un Chanteur Napolitain
Thomas Birch

Dame 1
Ami Hewitt

Dame 2
Leah Redmond

Dame 3
Corina Ignat

Dame 4
Judith Le Breuilly

Le Général Lovarof
Connor Baiano

Tatiana
Hannah O'Brien

Un Capitaine / Un Interne
Anrii Kharlamov

Danilo
Rory Lynch

Yvan
Gabriel Seawright

Une autre voix
Vladimir Sima

Tänzerinnen und Tänzer
Roberto Capone
Andrea Bassi
Yaimara Gomez Fabre
Miryam Tomé

 


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