Broadway Musical CHICAGO an der Komischen Oper Berlin

CHICAGO - Komische Oper Berlin © kultur24.berlin

Broadway Musical CHICAGO an der Komischen Oper Berlin

 

Von Holger Jacobs

29.10.2023

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

for english text click here

Ein weiteres Meisterstück von Regisseur Barrie Kosky

Während andere Opernhäuser regelmäßig damit leben müssen, dass bei ihren Premierenabenden neben „Bravo“-Rufen auch immer kräftig gebuht wird, muss sich die Komische Oper darüber keine Gedanken machen – zumindest wenn die Inszenierung von BARRIE KOSKY ist: Am Ende gibt es fast immer Standing Ovations.

So auch am Samstag Abend, als im Schillertheater (Ausweichquartier der Komischen Oper während der Renovierung des Stammhauses an der Behrenstrasse) der Regisseur samt seiner Crew von Sänger*innen, Tänzer*innen, Choreograph, Bühnenbildner, Kostümbildnerin und Dirigent frenetisch gefeiert wurden.
Ein weiterer großer Erfolg des ehemaligen Intendanten des „kleinsten“ staatlichen Opernhauses in Berlin.

BARRIE KOSKY hat nach der „West Side Story“, „Anatevka“ und „La Cage aux Folles“ mit „Chicago“ nun bereits sein viertes Broadway Musical erfolgreich auf die Bühne der Komischen Oper gebracht. Nicht, dass der australische Regisseur auch dramatische Wagner-Opern inszenieren könnte.
Aber das revueartige und schwungvolle eines Musicals liegt ihm eben besonders gut. Und das spürt man sofort, kaum dass sich der Vorhang öffnet.

Gleich die erste „Nummer“, das berühmte „All that Jazz“, mit der Figur der Velma Kelly (RUTH BRAUER-KVAM) ist absolut gelungen:
Singend führt Velma eine Reihe von Tänzerinnen und Tänzern an, die mit rosa-roten Straußenfedern einen wunderbaren Reigen aufführen, der sowohl musikalisch, wie optisch den Zuschauer in seinen Bann zieht.

Für alle, die „CHICAGO“ noch nie gesehen haben:

Story

Die Geschichte spielt im Chicago der 20er Jahre.
Verbrechen, Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung. Da fällt ein weiterer Mord kaum auf. Die Vaudeville-Sängerin Roxie Hart (KATHARINE MEHRLING) tötet ihren Liebhaber, als der sie verlassen will. Ihr treuer Ehemann will dies zunächst auf sich nehmen, bis er erfährt, dass der Tote in seiner Wohnung der Liebhaber seiner Frau war. So landet Roxie im Gefängnis, wo sie die Bekanntschaft mit der mächtigen „Mama“ (ANDREJA SCHNEIDER) macht, die im Gefängnis das Sagen hat. Und mit Velma Kelly (RUTH BRAUER-KVAM), die ihren Ehemann beim Techtelmechtel mit der eigenen Schwester erwischte und daraufhin beide umbrachte.
„Mama“ besorgt Roxie den windigen Anwalt Billy Flynn (JÖRN-FELIX ALT), der ganz auf die Beeinflussung der Jury durch medienwirksame Auftritte von Roxie setzt. Dieselbe Strategie wendet er auch bei Velma an. So gelingt es auch beide vor Gericht als liebe, unschuldige Frauen zu verkaufen, die nur durch böse Umstände zu Mörderinnen wurden. Als beide freigesprochen werden, tuen sich Roxie und Velma zusammen und werden berühmte Bühnenstars.

Die Story basiert auf einer wahren Geschichte, die die Journalistin MAURINE DALLAS WATKINS recherchiert hatte und daraus selbst das Theaterstück „Chicago“ verfasste. 1926 war die Uraufführung in New York.
Schon 1927 wurde das Stück verfilmt. Eine weitere Filmadaption entstand 1942 mit der berühmten Tänzerin Ginger Rogers (war in vielen Filmen die Tanzpartnerin von Fred Astair).
Die Autorin MAURINE DALLAS WATKINS verweigerte aber viele Jahrzehnte lang weitere Adaptionen. Erst nach ihrem Tode im Jahre 1969 konnte BOB FOSSE die Rechte erwerben und inszenierte das Stück als Musical für den Broadway.
BOB FOSSE engagierte JOHN KANDER, der zusammen mit FRED EBB die Musik und die Songtexte schrieb. Beide waren bereits durch die Musik und Texte zu dem Musical „CABARET“ 1966 berühmt geworden.
Am 3. Juni 1975 fand im 46th Street Theater in New York die Uraufführung von „Chicago“ statt. Mit gutem, aber nicht umwerfendem Erfolg. Erst ein Revival im Jahre 1996 brachte den großen Durchbruch. Heute gehört „Chicago“ zu den bekanntesten Musicals weltweit.

Hier mein Video-Trailer von „Chicago“:

Kritik

Die Bilder, die Musik und die Choreographie sind auch bei der Neuinszenierung der Komischen Oper einfach berauschend.
Aber mich störte ungemein die deutsche Übersetzung. Diese wurde zwar schon im Jahre 1988 bei einer Inszenierung im Theater des Westens verwendet, hat aber den Nachteil dass sich für mich die wunderbare Broadway Atmosphäre schnell in ein allzu Deutsches Singspiel verwandelt.
Irgendwie kommt mir dabei das New York-Feeling abhanden.
Umso mehr, wenn dabei noch ein Berliner Akzent eingebaut wird. Wenn das bei der erfolgreichen „BABYLON BERLIN“ TV-Serie geschieht, dann passt das natürlich. Schließlich spielt es ja in Berlin. Aber ein Berliner Dialekt in Chicago?

Nachdem ich die deutsche Übersetzung versucht habe zu vergessen, konzentrierte ich mich ganz auf das Geschehen auf der Bühne. Denn die Bilder sind einfach atemberaubend.
Besonders beeindruckend das Bühnenbild.
Es besteht aus 6.500 Glühbirnen, die über eine riesige, bewegliche Wand die ganze Bühne einnimmt und sich jeweils zur gespielten Szene in mehrere Ebenen aufteilen kann. Dabei können die Leuchtmittel dauerbrennen, flackern oder flimmern oder auch zusätzliche Bilder produzieren. Ich war absolut geflasht (Bühne: Michael Levine).
Natürlich stehen die Kostüme dem Spektakel nicht nach (Kostüme: Victoria Behr). Schillernd, glitzernd und sexy lassen sie das nächtliche Leben am Broadway vor den Augen der Zuschauer entstehen.
Entsprechend ist auch die Choreographie von Otto Pichler, langjähriger Mitarbeiter von Barrie Kosky, ganz auf die schwungvolle Inszenierung eingestellt.

Nicht zu vergessen die Darsteller*innen und Sänger*innen, die alle ihr Bestes geben. Allen voran KATHARINE MEHRLING als Roxie Hart, mit der BARRIE KOSKY schon so manche Rolle besetzt hat. Besonders, wenn es um Lieder und Musiktheater der 20er Jahre geht.
Doch auch ihre Mitspielerin RUTH BRAUER-KVEM als Velma Kelly hat große Spiel- und Singqualitäten. Die österreichische Schauspielerin bringt aus Wien viel Musical-Erfahrung mit durch Produktionen wie „Anatevka“, „My Fair Lady“ und „Cabaret“.

Noch eher unbekannt, dafür aber umso besser, ist JÖRN-FELIX ALT als der windige Advokat Billy Flynn. Der aus Stuttgart stammende Schauspieler, Tänzer und Sänger (Studium an der Universität der Künste Berlin im Fach Musical) war für mich die Entdeckung des Abends. Aussehen, Spiel und Gesang passen perfekt zu „Chicago“. Das Berliner Publikum kennt ihn bereits aus der Produktion „Blume von Hawai“ vom Dezember 2021, ebenfalls an der Komischen Oper Ber4lin.

Fazit: Ein Abend, der richtig Spaß macht und groß und klein begeistern wird. Genau die richtige Unterhaltung für die Festspielzeit zu Weihnachten.

„CHICAGO“ von John Kander und Fred Ebb
Komische Oper Berlin
Premiere war am 28.10.2023 im Schillertheater
Musikalische Leitung: Adam Benzwi
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Victoria Behr
Choreographie: Otto Pichler
Mit: Katharine Mehrling (Roxie Hart), Ruth Brauer-Kvem (Velma Kelly), Jörn-Felix Alt (Billy Flynn), Andreja Schneider (Mama Morton), Ivan Tursic (Amos Hart), Petra Ilse Dam (Kitty)
Orchester, Chorsolisten und Komparserie der Komischen Oper Berlin

Bilderserie mit 25 Fotos der „CHICAGO“ Produktion:

„All that Jazz“, Musical „Chicago“, Komische Oper Berlin, ph: Holger Jacobs

English text

The Broadway musical CHICAGO at the Komische Oper Berlin

 

By Holger Jacobs


October 29, 2023

Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)

Another masterpiece from director Barrie Kosky

While other opera houses regularly have to live with the fact that their opening nights are accompanied by loud boos alongside shouts of “Bravo”, the Komische Oper doesn’t have to worry about that – at least when the production is by BARRIE KOSKY: in the end there is almost always a ‚Standing Ovation‘.
This was also the case on Saturday evening, when the director and his crew of singers, dancers, choreographer, set designer, costume designer and conductor were frenetically celebrated in the Schillertheater (alternative location for the Komische Oper during the renovation of the main building on Behrenstrasse).
Another great success for the former director of the “smallest” state opera house in Berlin.
After “West Side Story”, “Anatevka” and “La Cage aux Folles”, BARRIE KOSKY has successfully brought “Chicago”, his fourth Broadway musical, to the stage of the Komische Oper.
Not that the Australian director could also direct dramatic Wagner operas. But the revue-like and lively nature of a musical suits him particularly well.
And you feel that immediately, as soon as the curtain opens.
The first “number”, the famous “All that Jazz”, with the character of Velma Kelly (RUTH BRAUER-KVAM) is absolutely successful:
Velma leads a number of dancers who perform a wonderful dance with pink and red ostrich feathers that captivates the viewer both musically and visually.

For those who have never seen “CHICAGO”:

Story:

The story takes place in Chicago in the 1920s.
Crime, murder and manslaughter are the order of the day. Another murder is hardly noticeable.
Vaudeville singer Roxie Hart (KATHARINE MEHRLING) kills her lover when he tries to leave her.
Her faithful husband initially wants to take this on himself until he learns that the dead man in his apartment was his wife’s lover.
So Roxie ends up in prison, where she meets the powerful “Mama” (ANDREJA SCHNEIDER), who is in charge in the prison.
And with Velma Kelly (RUTH BRAUER-KVAM), who caught her husband ‚in flagranti‘ with his own sister and then killed them both.
“Mama” gets Roxie the dubious lawyer Billy Flynn (JÖRN-FELIX ALT), who relies entirely on influencing the jury through Roxie’s media-effective appearances.
He uses the same strategy with Velma. So both of them manage to sell themselves in court as sweet, innocent women who only became murderers through evil circumstances. When both are acquitted, Roxie and Velma team up and become famous stage stars.
The story is based on a true story that the journalist MAURINE DALLAS WATKINS researched and used to write the play “Chicago”.
The premiere was in New York in 1926.
The play was made into a movie as early as 1927. Another film adaptation was made in 1942 with the famous dancer Ginger Rogers (who was Fred Astair’s dance partner in many films).
However, the author MAURINE DALLAS WATKINS refused to make further adaptations for many decades. Only after her death in 1969 was BOB FOSSE able to acquire the rights and stage the play as a musical for Broadway.
BOB FOSSE hired JOHN KANDER, who wrote the music and lyrics together with FRED EBB. Both had already become famous through the music and lyrics for the musical “CABARET” in 1966.
The premiere of “Chicago” took place on June 3, 1975 at the 46th Street Theater in New York.
With good, but not overwhelming, success. It wasn’t until a revival in 1996 that the big breakthrough came.
Today “Chicago” is one of the most famous musicals in the world.

My video-trailer of „Chicago“ at the Komische Oper Berlin:

Critics

The images, the music and the choreography are simply intoxicating in the new production of the Komische Oper.
But the German translation really bothered me.
Although this was already used in a production at the Theater des Westens in 1988, it has the disadvantage that for me the wonderful Broadway atmosphere quickly turns into an all too German ‚Singspiel‘.
Somehow I lost the New York feeling.
Even more so when a Berlin accent is added. If that happens with the successful “BABYLON BERLIN” TV series, then of course it fits. After all, it takes place in Berlin. But a Berlin dialect in Chicago?
After I tried to forget the German translation, I concentrated entirely on what was happening on stage. Because the pictures are simply breathtaking.
The stage design is particularly impressive.
It consists of 6,500 light bulbs, which take up the entire stage via a huge, movable wall and can be divided into several levels depending on the scene being played.
The lamps can burn continuously, flicker or even produce additional images. I was absolutely amazed (stage: Michael Levine).
Of course the costumes are on the same high level than the whole spectacle (costumes: Victoria Behr). Shimmering, glittering and sexy, the costumes allow the nighttime life on Broadway to emerge before the eyes of the audience.
Accordingly, the choreography by Otto Pichler, a long-time collaborator of Barrie Kosky, is entirely geared towards the powerful production.
Not to forget the actors and singers, who all do their best.
Above all, KATHARINE MEHRLING as Roxie Hart, with whom BARRIE KOSKY has already cast many roles. Especially when it comes to songs and musical theater from the 1920s.
But her fellow player RUTH BRAUER-KVEM as Velma Kelly also has great playing and singing qualities.
The Austrian actress brings a lot of musical experience with her from Vienna through productions such as “Anatevka”, “My Fair Lady” and “Cabaret”.
JÖRN-FELIX ALT as the dubious lawyer Billy Flynn is still relatively unknown. The actor, dancer and singer from Stuttgart (studied musicals at the Berlin University of the Arts) was the discovery of the evening for me.
His look, his acting and his singing fit “Chicago” perfectly. Berlin audiences already know him from the production “Blume von Hawai” from December 2021, also at the Komische Oper Berlin.
Conclusion: An evening that is really fun and will delight young and old alike. Just the right entertainment for the Christmas festival season.
“CHICAGO” by John Kander and Fred Ebb
Comic Opera Berlin
The premiere was on October 28th, 2023 in the Schillertheater
Musical direction: Adam Benzwi
Director: Barrie Kosky
Stage: Michael Levine
Costumes: Victoria Behr
Choreography: Otto Pichler
With: Katharine Mehrling (Roxie Hart), Ruth Brauer-Kvem (Velma Kelly), Jörn-Felix Alt (Billy Flynn), Andreja Schneider (Mama Morton), Ivan Tursic (Amos Hart), Petra Ilse Dam (Kitty)
Orchestra, choir soloists and extras of the Komische Oper Berlin

My picture series with 25 photos of „Chicago“:

„All that Jazz“, Musical „Chicago“, Komische Oper Berlin, ph: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.