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Opern-Kritik: Theater Basel – Pferd frisst Hut

Wenn Pferde Hüte fressen

(Basel, 4.11.2023) Herbert Grönemeyer und Herbert Fritsch machen sich gemeinsam über einen Boulevard-Klassiker her.

vonRoberto Becker,

Der Name Herbert Grönemeyer zieht. Und zwar branchen- und grenzenübergreifend. Der von Herbert Fritsch nicht ganz so branchen-, aber auch grenzübergreifend. In Berlin, Wien, Zürich und Basel jedenfalls wissen die Opern- und Theaterzuschauer so ungefähr, was sie bekommen, wenn bei Inszenierung und Bühne Herbert Fritsch steht. Das Theater Basel bietet die beiden Herberts gewissermaßen im Doppelpack. Was Fritsch betrifft wohl auch, weil „Pferd frisst Hut“ so nach einer Steilvorlage für den Meister von Bühnennonsens und artistischem Slapstick klingt, dass er sich dieses französische Boulevard-Schmankerl jetzt sogar schon zum zweiten Mal vorgenommen hat. Diesmal aber mit Musik vom theatererfahrenen Bühnenfuchs Grönemeyer, der natürlich weiß, wie er sein Publikum kriegt und bei der Stange hält.

Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel
Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel

Lachen, bis sich die Balken biegen

Von Eugène Labiches (1815-1888) Original „Un chapeau de paille d’Italie“ aus dem Jahre 1851 über die deutsche Fassung „Ein Florentinerhut“ und Orson Welles’, bei dem die New Yorker Theaterfassung dann schon 1936 „Pferd frisst Hut“ hieß, bis zu deren musikalischer Aufrüstung durch die hinzugefügten 16 Songs von Herbert Grönemeyer und dem von Herbert Fritsch eingelegten szenischen Turbogang – das ist schon eine stattliche Exkursion auf den Pfaden der Theatergeschichte. Bon Voyage würde auch passen, denn es ist eine Reise, bei der keine Versicherung bemüht werden müsste, denn Verluste fallen nicht an.

Allen Epochenwechseln und Krisen zum Trotz wollen die Leute im Theater immer noch in eine andere Welt abtauchen und dabei unterhalten werden. Manchmal eben auch lachen, bis sich die Balken biegen. Mal abgesehen davon, dass der Abend (samt Pause) mit deutlich über drei Stunden eine gewisse Überlänge hat, die man beim Weiterreichen an den Koproduktionspartner Komische Oper in Berlin und an die RuhrTriennale ja durchaus korrigieren könnte, kommt man voll auf seine Kosten. Zumal ein derartig perfekt eintrainierter, durchchoreografierter und dennoch irgendwie spontan wirkender höherer Bühnenblödsinn auf deutschsprachigen Bühnen — noch dazu eingängig vertont – nur selten zu erleben ist.

Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel
Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel

„Die Zunge klappert ohne Sinn“

Grönemeyer beginnt sogar mit einer ernsthaften Verbeugung vor dem Musiktheater – mit einer „richtigen“, ausführlich einführenden Ouvertüre. Für einen Moment meint man gar, dass da die Monteverdischen Anfangsfanfaren des Genres Pate gestanden haben könnten. Die meiste Zeit aber dominiert gängiger Musicalsound. Ein paar Mal klingt es vor allem bei dem fabelhaften Alleskönner Christopher Nell und bei der wunderbar rauchig loslegenden Sarah Bauerett so, als wären sie nur die Platzhalter für den Meister selbst. Da ist dann auch der Text (wie bei Grönemeyer ja öfter mal) zweitrangig. Nell absolviert als Fadinard in einem szenischen Marathon die Rolle des Besitzers jenes Pferdes, das just am Tag seiner Hochzeit den Hut einer Ehefrau auf Liebes-Abwegen gefressen hat. Als die samt Liebhaber bei ihm auftaucht, ist er nur noch damit beschäftigt, ein Ersatzexemplar dieser Kopfbedeckung zu beschaffen.

Dabei trifft er unter anderem auf seine Ex, die sich als Hutmacherin (natürlich entgeht man dabei nicht dem Wortspiel „Hut Couture“) herausstellt und ihm gegenüber immer noch amouröse Ambitionen hat. Bei dieser Jagd nach dem Hut ist ihm sein trottliger Schwiegervater in spe samt Hochzeitsgesellschaft auf den Fersen (aus einer Gegend, wo sie alles außer Hochdeutsch können). Seine Braut besäuft sich unterdessen so, dass es für einen mäßig geschmeidig gereimten Song reicht. In diesem „Lied vom Kater“ heißt es dann hübsch selbstironisch auch mal „Die Zunge klappert ohne Sinn“.

Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel
Szenenbild aus „Pferd frisst Hut“ am Theater Basel

Entfesseltes Slapsticktheater

Fadinards verzweifelte Suche nach einem Ersatzhut liefert u.a. eine Steilvorlage für eine herrliche Travestienummer, bei der Florian Anderer und Gottfried Breitfuss hinreißend die beiden Baroninnen von Champigny aufs Parkett stöckeln. Ansonsten bietet der Raum, den Fritsch für das entfesselte Slapsticktheater wie immer selbst geschaffen hat, die halbe Miete der Inszenierung. Mit seinen zehn Türen und einer Drehtür mit Treppe davor in der Mitte. Hier gehört es zum guten Ton, gegen jede Wand zu laufen und immer dann hinter der Tür zu stehen, wenn die mit Wucht geöffnet wird. Die Truppe macht das durchweg großartig, man bewundert die pure Kondition, man staunt über die Präzision und amüsiert sich über die scheinbare Leichtigkeit des Scheins.

Auch der Chor spielt mit – das Chaos am Ende ist eine Show für sich. Die Songs von Grönemeyer hat Thomas Meadowcroft fürs etwas größere Orchester arrangiert, und Thomas Wise gibt am Basler Pult sein Bestes, damit das Ganze nicht zu viel vom gängigen Musicaldrive abbekommt, sondern für sich genommen als eigenständiges, etwas verrücktes, aus der Zeit gefallenes, also hochwillkommenes Gesamtkunstwerk über die Rampe kommt. Im Basel hat das bei der Premiere bei den allermeisten Zuschauern funktioniert.

Theater Basel
Grönemeyer: Pferd frisst Hut

Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin, in Kooperation mit der Ruhrtriennale
Thomas Wise Leitung, Herbert Fritsch(Regie & Bühne), Oscar Mateo Grunert (Bühnenbildmitarbeit), Geraldine Arnold (Kostüme), Michael Clark (Chor), Cornelius Hunziker (Licht), Roman Reeger (Dramaturgie), Christopher Nell, Hubert Wild, Florian Anderer, Gottfried Breitfuss, Raphael Clamer, Sarah Bauerett, Jasmin Etezadzadeh, Nanny Friebel, Julius Engelbach, Jonathan Fink, Cécilia Roumi, Emily Dilewski, Chor des Theater Basel, Sinfonieorchester Basel

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