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WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

Szenen einer Ehe als Kammerspiel oder Zoff im Hause Almaviva

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Katharina Konradi (Susanna). Alle Fotos: Wiener Staatsoper ( Michael Pöhn).

WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

13. Aufführung in dieser Inszenierung

6. November 2023

Von Manfred A. Schmid

Was für eine Wohltat, nach Martin Kusejs merkwürdiger, im Mafiamilieu angesiedelter Salzburger-Festspiel-Inszenierung der Mozart-Oper wieder Barrie Koskys Wiener Figaro sehen zu können. Hier findet die ausgelassene, turbulente Handlung rund um die geplante und durch diverse Tricks immer wieder aufgeschobene Verehelichung Figaros mit der Kammerzofe Susanna wieder in einem – wenn auch schon etwas heruntergekommenen – gräflichen Haushalt statt. Es gibt keine in Geigenkästen versteckten Maschinengewehre und auch keine Leichen im Keller. Dafür kann in dieser Inszenierung, die am 11. März Premiere hatte, wiederum umbeschwert und viel gelacht werden, denn die Regie setzt auf eine sorgsam ausgestaltete Personenführung, bei der es auf der Bühne „menschelt“, wie seit Otto Schenk schon lange nicht mehr zu sehen war. Die komödiantische Umkleideszene der Gräfin und Susannas mit Cherubino, der monty-pythoneske Aufmarsch der Soldaten auf kleinstem Raum oder das Ständchen, das die Dorfmädchen der Herrin darbieten, das sind nur Beispiele für viele humorvoll und liebevoll gestaltete Auftritte und Szenen. Die guckkastenartig angelegte Bühne, die Einblicke in die Vorgänge im Hause Almaviva bietet, eignet sich ideal für ein komisches Kammerspiel rund um durchschaubare Intrigen, vereitelte Vorhaben, Missverständnisse und ungehörige Avancen. Szenen einer Ehe, in die auch einige Personen aus dem häuslichen Umfeld mehr involviert sind, als es ihnen lieb ist.

Barrie Kosky liebt offensichtlich die in dieser Opera Buffa vorkommenden Charaktere. Alle haben ihre Macken und Eigenheiten, aber keiner von ihnen wird als unsympathische Figur vorgeführt, der Herr Graf und Basilio eingeschlossen. Wenn schon, dann machen sich selbst lächerlich und offenbaren ihre Schwächen. Die eitlen, eifersüchtigen, in ihrer zuweilen ohnehin nur mehr rudimentär vorhandenen Ehre gekränkten Männer werden von den Frauen so an der Nase herumgeführt, dass sie am Schluss nur noch um Verzeihung für ihre Benehmen und ihre Verdächtigungen bitten können. Diese wird ihnen dann auch gnädig erteilt. Alles eitle Wonne? Eitel ja, Wonne wohl kaum. Denn die Beziehung Graf Almavivas zu seiner Gemahlin ist durch ein „Perdono“ nur schwerlich zu retten.

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Golda Schultz (Gräfin Almaviva)

Das weiß auch die großmütig verzeihende Gräfin, deren Dilemma und deren Seelenqualen Golda Schultz mit Einfühlungsvermögen verkörpert und in ihren beiden großen Arien – „Porgi, amor“ und „Dove sono“ schmerz- und entsagungsvoll besingt und die Angst vor Einsamkeit heraufbeschwört. Dass ihr Mann sie betrügt, ist schon schwer genug. Dass er aber an ihrer Unschuld zweifelt und ihr in aller Öffentlichkeit Untreue vorwirft, wird sie nicht vergessen. Die südafrikanische Sängerin hat keine übergroße Stimme, dafür aber ist ihr fein modellierbarer Sopran ausdrucksstark und farbenreich. Samtig und dennoch klar. Das Vibrato, früher nur ein Hauch, hat an Intensität etwas zugenommen, was die Emitionalität ihrer Ausdruckskraft steigert und ihr mehr Gewicht verleiht.

Katharina Konradis heller, sonniger Sopran passt hervorragend zur jugendlich frischen Susanna, die die Zudringlichkeit des ihr nachstellenden Grafen geschickt abwehrt, seine Avancen dank ihrer pragmatischen Einstellung aber auch zu ihren Gunsten weiter am Köcheln hält. Die Kusszene erinnert jedoch mehr an den unschicklichen Kuss, den der spanische Fußballpräsident einer Fußballerin verpasst hat und der rund um die Welt ging.

Wunderbar ist Patrizia Nolz als seine erotischen Möglichkeiten unbekümmert und dennoch irgendwie verunsichert und unschuldsvolle austastender Cherubino. Sprudelnd vor Lust und Neugier singt sie „Voi che sapete che cosa è amor“ und lässt ihr schauspielerisches Talent miteinfließen.

Eine gelungene Hausbesetzung ist auch die vielseitige und stets verlässliche und auch darstellerisch hochbegabte Mezzospranistin Stephanie Houtzeel, die der Figur der Marcelline, die Figaro heiraten will und herausfinden muss, seine Mutter zu sein, den nötigen komischen Pep verleiht. Wie sie sich in Sekundenschnelle in eine fürsorgende, auf das Wohl ihres Kindes bedachte Frau verwandelt, ist fabelhaft.

Bei so viel stimmlicher und darstellerischer Frauenpower auf der Bühne – zu der auch Miriam Kutrowaz als aufgeweckte und im Umgang mit Männern schon etwas kundige Barbarina beiträgt – ist es nicht verwunderlich, dass die Männer an diesem Abend etwas in deren Schatten stehen, auch wenn sie sich tapfer schlagen.

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Michael Nagy (Graf Almaviva) und Patricia Nolz (Cherubino)

Ricardo Fassi ist ein gerissener, sprühende Vitalität und Witz versprühender Figaro, der in dieser Rolle bereits 2018 Sympathie und Bewunderung einheimsen konnte und auch diesmal mit seinem flexiblen Bassbariton und komödiantischer Spielfreude punkten kann.

Michael Nagy verfügt über einen feinen, angenehm klingenden Bassbariton. Um ein überzeugender Graf Almaviva sein zu können, würde es ihm eigentlich an Ausstrahlung und Positur fehlen. Da in Koskys Inszenierung aber auch Grafen nicht mehr so sind, wie sie einmal waren, sondern an Status und Würde schon ziemlich abgewirtschaftet haben, ist er doch noch recht akzeptabel.

Gut in Szene setzen können sich Norbert Ernst als intrigant-schleimiger Basilio und Stefan Cerny, der als Don Bartolo unter der Fuchtel von Marcelline steht und der Verehelichung zunächst etwas bang gegenübersteht, sich aber seinem unentrinnbaren Schicksal ergibt.

In Nebenrollen sorgen Attila Mokus als hemdärmeliger und ausnahmsweise nicht betrunkener Gärtner Antonio und Andrea Giovannini als an Atemnot leidender Notar Don Curzio für die erwarteten Lacher.

Adam Fischer, seit Jahrzehnten eine Koryphäe, was die Wiener Klassik von Haydn über Mozart bis Beethoven anbelangt, ist ein Garant für kundig geleitete, sängerfreundlich dirigierte Opernabende, wird, wie auch das Staatsopernorchester und der Chor vom Publikum zu Recht stürmisch und voll Dankbarkeit und Freude gefeiert. Dass auch das Gesangsensemble großen Jubel auslöst, ist kein Wunder. Fein, dass es an der Staatsoper wieder eine herzeigbare Le nozze di Figaro gibt, an der nur der verhatschte vierte Akt mit dem Masken-Stelldichein im Garten zu bemängeln ist.

 

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