Oper
Der langhaarige Schwanda (Andrè Schuen) und Babinsky (re.) spielen mit dem Teufel (Krešimir Stražanac, li) Karten.
Baus

Bedřich Smetanas Verkaufte Braut ist, bezogen auf das Genre slawisch-romantische Oper, weitaus bekannter als Jaromír Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer. Bei einer musikhistorischen Grammyverleihung würde diese Rarität allerdings – zumindest in der Kategorie "Oper mit den irrwitzigsten Wendungen" – siegen.

Der Inhalt des 1927 im Prager Nationaltheater uraufgeführten Werks eines später vor den Nazis in die USA geflüchteten jüdischen Komponisten? Es geht um die idyllische Ehe zwischen Schwanda und Dorota. Als Räuber Babinsky auftaucht, ist es allerdings mit der Ruhe vorbei. Schwanda zieht mit Babinsky aus, um durch sein Dudelspiel eine Königin von der Vereisung ihres Herzens zu befreien. Ein Magier hat ihr diese verpasst.

Als jedoch während des Enteisungsvorgangs Schwandas eifersüchtige Gattin hereinplatzt, vereist das Herz der Königin abermals. Dumm gelaufen. Schwanda soll zur Strafe enthauptet werden, da taucht schon wieder Babinsky auf und tauscht das Richtschwert mit einem Besen aus, Schwanda scheint befreit. Allerdings sinkt er plötzlich in höllische Schwefelsphären, wo ihm Satanas die Seele abluchst. Wieder aber Babinsky: Er besiegt den Teufel schließlich beim Kartenspiel, worauf Schwanda in die Oberwelt zu seiner treuen Dorota zurückkehren kann.

Angeblich im Kopf der Figuren

Regisseur Tobias Kratzer, der im Museumsquartier schon Rossinis Oper La gazza ladra inszeniert hat, versucht für das Musiktheater an der Wien, aus dieser Abenteuergeschichte kein Märchenspektakel zu kreieren.

Bereits zu Ende der Ouvertüre wiegen sich Ehefrau Dorota und Räuber Babinsky lustvoll im Musikrhythmus einem womöglich gemeinsamen Höhepunkt entgegen, während Dudelsack-Ehemann Schwanda bei der Tür hereinkommt. Kein Eklat. Bevor er mit Babinsky zur Abenteuerreise (hier durch das nächtliche Wien) aufbricht, serviert er allen sogar Pizza. Über den Seitensprung seiner Frau wirkt er nicht sonderlich erbost.

Schon diese erste flache Dreiecksszene beschädigt ein Konzept, das in Papierform gut klingt. Kratzer schwebt eine zwischen Traum und Wirklichkeit wabernde Reise durch diverse Sphären unbewusst brodelnden Begehrens vor. Aller hier deutlichst angebahnte oder vollzogene Austausch von Körpersäften würde sich womöglich nur im Kopf der Figuren abspielen. Er sei nur ein erotisches Hirngespinst. Räuber Babinsky (hervorragend: Pavol Breslik) würde – konzeptgemäß – insofern auch nur eine Kreation Schwandas sein, in der sich vom Dudelsackspieler Schwanda nicht ausgelebte Abenteuergelüste bündeln.

Voller Körpereinsatz

Das klingt auch ein wenig nach Arthur Schnitzlers Traumnovelle. Diese ist denn auch explizit jene Vorlage, die Kratzer bemüht. Optisch zitiert er Eyes Wide Shut, die Verfilmung der Novelle durch Stanley Kubrick, in der Nicole Kidman und Tom Cruise eine Reise durch seelische Tiefenschichten erleben.

Das Problem ist nur: Deftig bis zur Trivialität und mit vollem Körpereinsatz wird jeglicher Hauch einer bei Kubrick so reizvoll schummrig-uneindeutigen Traumatmosphäre ausgelöscht. Das ist umso erstaunlicher, als bisweilen filmische Mittel zum Einsatz kommen. Zu sehen ist, wie Schwanda, den Andrè Schuen souverän und mitunter nur noch mit Unterhose bekleidet eindringlich singt, mit Babinsky Wien bei Nacht genießt. Es gibt Wurst und Bier am Würstelstand und danach eine Taxifahrt, beginnend wohl am Schwarzenbergplatz.

Das abgeschleckte Schwert

Wenn Schwanda (nicht mehr im Film) im Salon der herzvereisten Königin (intensiv, jedoch etwas schrill: Ester Pavlů) landet, steuert die Inszenierung Tiefpunkte an. Die Königin ist eine Frau, die sich von Schwanda die Befriedigung unmusikalischer Wünsche erhofft. Mit rubbelnder Hand in seiner Hose sieht ihr Ehemann (Sorin Coliban) hoffnungsvoll voyeuristisch zu, wie die Monarchin wegen Schwanda in Wallungen gerät. Später muss die Königin jenes Krummschwert, mit dem Schwanda geköpft werden soll, auch noch abschlecken ... Geht’s noch?

Dann im Swingerclub: Der Teufel regiert (Krešimir Stražanac) das Latexparadies. Eine filmische Massensexszene leitet über zum Finale, bei dem Schwandas Gattin (packend: Vera-Lotte Boecker) wieder mit Babinsky das Ehebett zum Wackeln bringt. Peinigend konkret.

Erst ab 16 empfohlen

Traumhaft trostvoll immerhin das Instrumentale dieser musikalisch interessanten Oper: Der romantische Stil, der von Folklorismen eingehüllt wird, war bei den Wiener Symphonikern gut aufgehoben. Der designierte neue Chefdirigent Petr Popelka lässt die Musik glühen, ohne ihre Details zuzudecken. Applaus, keine Buhs. Die Inszenierung wird übrigens erst ab 16 Jahren empfohlen. (Ljubisa Tosic,19.11.,2023)