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STUTTGART/ Staatsoper: JENUFA – – auch vergegenwärtigt den Nerv treffend

25.11.2023 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „JENUFA“ 24.11. 2023 (WA 12.11.) – auch vergegenwärtigt den Nerv treffend

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Im Spannungsfeld:v.l. Helene Schneiderman (Alte Buryja), Esther Dierkes (Jenufa) und Matthias Klink (Laca). Foto: Martin Sigmund

Die Musiktheater-Pranke Leos Janaceks beweist sich immer wieder durch ihre enge Verzahnung von menschlichen Grundkonflikten, daraus resultierenden Dramen und dichter kompositorischer Sensibilität. So auch in dieser wiederholten Neueinstudierung der 2007 erstmals gezeigten Inszenierung, deren Konzept noch von dem ursprünglich verpflichteten David Alden stammt, aber dann im Wesentlichen vor allem in der Ausgestaltung und Führung der Charaktere von Calixto Bieito übernommen wurde. In dieser Hinsicht bezeugt der für seine schonungslos modernisierten und Gewalt exzessiven Arbeiten äußerst umstrittene Regisseur ein durchaus gutes Handwerk.

Die nach wahren Begebenheiten zuerst zu einem Schauspiel (mit späterer Roman-Fassung) und dann von Janacek unter Beibehaltung des Prosatextes zur Oper verarbeitete, von engen Moral-Vorstellungen und tiefer Frömmigkeit geprägte Geschichte mag im gegenwärtigen Umfeld einer zugrunde gehenden, dann geschlossenen und zuletzt unter neuer Führung wieder eröffneten Textilfabrik (Bühne: Susanne Gschwender, Kostüme: Ingo Krügler, beides nach Entwürfen von Gideon Davey) in ländlichen Gegenden Südosteuropas durchaus noch stattfinden können. Wesentlich ist indes hier die auch im veränderten Rahmen trotz einiger Widersprüche zum Text gewährte Schlüssigkeit der Erzählung und die eindringliche, den Nerv des Musikdramas in vollem Umfang erfassende Ausarbeitung der Personen.

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Im Schicksal verbunden: Esther Dierkes (Jenufa) und Rosie Aldridge (Küsterin). Foto: Martin Sigmund

Eine fast komplett neue Besetzung gegenüber den letzten Aufführungsserien warf sich unter szenischer Leitung von Rebecca Bienek mit viel Einfühlungsvermögen und vokaler Expressivität in das in aller emotionalen Drastik stattfindende Geschehen rund um die Titelgestalt. In dieser selbst gab Esther Dierkes nach Rusalka vor zwei Jahren ein weiteres Debut in einer der bekannten slawischen Frauenfiguren. Ihr Sopran wächst immer mehr ins jugendlich dramatische Fach hinein. Dennoch sind die mit verinnerlichter Lyrik klar im Ton und erfüllt im Ausdruck erfassten Phasen seelischen Tiefblicks die stärksten Teile ihrer Interpretation während die größeren Ausbrüche mit nicht ganz frei entfaltetem dramatischem Potential vorerst noch die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufzeigen. Die sich hier anfangs ein Stück weit emanzipiert gebende, dann sich ihrem Schicksal untergebende, zuletzt aber trotz aller ungewissen Zukunft erheitert gelöst wirkende Jenufa erfasst sie differenziert glaubwürdig. Zudem kann sie sich neben der dominanten Schwiegermutter durchaus behaupten. Bei einer so starken Bühnenpersönlichkeit wie der von Rosie Aldridge wiegt das umso stärker. Bei ihrer Hexe in „Hänsel und Gretel“ war nur in Ansätzen zu erahnen, über welche Substanz der Mezzosopran der Engländerin verfügt. Hier nun öffnet sich die Stimme in mühelosem Kraftaufwand zu großzügiger Durchmessung des geforderten Registerumfangs mit hellem Einschlag in der Höhe und ohne Nachdruck erfasster dunkler Tiefe. Ihr drastischer Zugriff in den gesteigerten Entäußerungen  zeugt von der Frische einer unverbrauchten Stimme. Ihre große Szene im zweiten Akt, die hier unnötigerweise mit dem Kindsmord auf der Bühne endet, geht unter die Haut.

Matthias Klink gehört zu jener Künstler-Kategorie, die trotz nicht sonderlich auffallendem Stimm-Charakter über einen Gestaltungs-Reichtum verfügen, der in Verbindung mit einer wandlungsfähigen Körpersprache schillernde Rollen-Interpretationen unterschiedlichster Couleurs und Fachgrenzen sprengend ermöglicht. Davon profitiert auch seine neueste Partie Laca, der in seiner etwas verklemmten, auch unbeherrschten Art nach langem vergeblichem Hoffen Jenufas Liebe gewinnt. Körperhaltung, Mimik und der auch stechende Ausuferungen nicht scheuende tenorale Einsatz tragen zu einem enormen Spannungsfeld zwischen den Frauen bei. Da hat es Elmar Gilbertsson mit betont lyrischerem Material und weniger starkem schauspielerischerem Talent etwas schwer sich als all das Unglück in Lauf setzender, sich seiner Verantwortung entziehender Luftikus Stewa zu behaupten, ist aber seiner Aufgabe als Ganzes betrachtet dennoch gewachsen.

Ein neues eindringliches Rollenportrait steuert Helene Schneiderman mit auch jenseits der Pensionsgrenze noch gute Substanz und viel Menschlichkeit transportierender Stimme als Alte Buryia ausgeglichen zwischen Strenge und Güte bei. In der Kürze ihrer Einsätze sind auch die Nebenrollen eindringlich gezeichnet und vokal erfüllt: Andrew Bogard (Richter), Maria Theresa Ullrich (Frau), Lucia Tumminelli (Karolka), Shigeo Ishino (Altgesell), Jasmin Hofmann (Schäferin), Itzeli Jáuregui (Barena) und Emilie Kealani (Jano).

Der Staatsopernchor kann im ersten und dritten Akt nebst vokaler Versiertheit auch seine darstellerische Kapazität ausleben. Marko Letonja hat in der Probenphase die Leitung des zurück getretenen Premierendirigenten Marc Piollet übernommen und mit dem sich als erstklassiger Klangkörper präsentierenden Staatsorchester Stuttgart eine ausgewogene Gangart zwischen den schroffen und sanft melodischeren Zügen der Partitur gewählt. Die Spannung im Zusammenwirken mit der Bühne war rundum gewährleistet und sorgte für eine ununterbrochen fesselnde Aufführung.

Der Jubel eines vielfach jungen Publikums hatte die Intensität eines vollen Hauses – doch war es geschätzt leider nur zur Hälfte gefüllt.

 Udo Klebes  

 

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