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ZÜRICH/ Opernhaus: PLATÉE von Jean Philippe Rameau. Premiere

11.12.2023 | Oper international

Jean-Philippe Rameau: Platée • Opernhaus Zürich • Premiere: 10.12.2023

Eine Umsetzung mit Kultpotenzial!

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Mathias Vidal. Foto: Toni Suter

Mit Rameaus «Platée» ist Regisseurin Jetske Mijnssen nichts weniger als ein Wurf, die mustergültige Aktualisierung einer Barock-Oper gelungen. Das Orchestra La Scintilla unter Emanuelle Haïm trägt einen wesentlichen Teil dazu bei.

Jean-Philipp Rameau bezeichnet sein anlässlich der Heirat des Dauphin Ludwig, Sohn Ludwigs XV., mit Maria Theresia von Spanien entstandenes Stück «Ballet buffon». Nach dem mit der obligaten Tragédie lyrique «La Princesse de Navarre» (23.02.1745; ebenfalls von  Rameau) begonnenen Kanon der Abendveranstaltungen sollte «Platée» das befreiende Lachen bringen. Das Libretto dazu, gestaltet nach dem 9. Buch (Böotien; Cithéron als König Plataiais, Gebirgszug Kithairon) der «Beschreibung Griechenlands» (180-160 aCn) antiken Reiseschriftstellers Pausanias, stammt von Adrien-Joseph Le Valois d’Orville. Platée blieb als «Ballet bouffon» ein Singulär der Musikgeschichte: vielleicht auch deshalb, weil die umfassende Verspottung von Göttern, Halbgöttern und Nicht-Göttern (Menschen) bei Hofe für jene Zeit doch arg ungewöhnlich ist (man erinnere sich der Wellen, die Offenbachs «Orphée dans l’enfer») schlug. Seit der (nicht unbedingt im deutschen Sprachraum stattgefunden habenden) Wiederentdeckung Rameaus gehört «Platée» zu seinen meistgespielten Stücken.

Ausgangspunkt der Inszenierung von Jetske Mijnssen ist die Gattungsbezeichnung «Ballet bouffon», die sie schelmischen (närrischen) Tanz interpretiert und mit «Musical» übersetzt, das als Charakteristikum die Verbindung von Gesang, Tanz, Schauspiel und Musik in einem einheitlichen Handlungsrahmen hat. So kann gerade Rameaus «Platée» als Musical vor seiner Zeit gesehen werden. Und da der Prolog das Geschehen als Schaffung einer neuen (Theater-)Gattung definiert, lässt Mijnsen das Ganze im Theater spielen. So wird aus der Sumpfnymphe ein Souffleur, aus dem Göttervater der Solotänzer des Ballets und aus La Folie (der Verrücktheit) die gleichermassen exaltierte wie extravagante Hauschoreographin. So wird aus dem Verspotten eine Geschichte des Mobbings. Gemobbt wird Platée und sein Stalking (bis hin zum Auftritt in Federrock und Tutu) des Startänzers und aus dem Verspotten von Göttern, Halbgöttern und Nichtgöttern wird letztlich ein selbstkritischer Blick auf den «Intrigen-Sumpf» eines Theaters, mit dem, wie im Prolog angekündigt, diesem Kosmos seine Unvollkommenheit vor Augen geführt wird. Juno ist die selbstbewusste Gattin des Startänzer, die die Betreuung des Nachwuchs gerne auch mal Cithéron und Mercure überlässt. Ben Baur hat damit ein glänzende Vorlage für sein herrliches Bühnenbild, das das Theater und den Theaterbetrieb aus allen möglichen Blickwinkeln zeigt. Hannah Clark nimmt die Steilvorlage für ihren bunten Kostüme auf und Bernd Purkrabeks Beleuchtungszauber krönt den Abend. Die Choreographie der Tänzer (Federica Porleri, Sina Friedli, Juliette Rahon, Valentina Rodenghi, Dustin Eliot, Steven Forster, Valerio Porleri, Roberto Tallarigo) und des Statistenverein am Opernhaus Zürich hat Kinsun Chan so mitreissend besorgt, das selbst der einmal mehr grandios klingende Chor der Oper Zürich (Choreinstudierung: Janko Kastelic) mittanzt.

Ein weiterer Pfeiler des Triumphs, wie vor vier Jahren bei Rameaus «Hippolyt et Aricie», sind das Orchestra La Scintilla und Emmanuelle Haïm (Musikalische Leitung). Das Orchester geht Rameaus ständige Wechsel der Tempi und Farben perfekt mit und schwelgt, von Haïm leidenschaftlich angefeuert, darin, das Bühnengeschehen Fundament zu geben und nicht nur musikalisch zu untermalen. Frischer, sprühender, inspirierter kann man die Partitur nicht gestalten!

Mathias Vidal feiert als Platée ein persönlichen Triumph und wird dafür vom Publikum begeistert gefeiert. Vidal gestaltet die Rolle des Stalkers und alle damit bei ihm und den anderen verbundenen Emotionen tief beeindruckend mit seinem gleichermassen agilen wie flexiblen Haute Contre. Wahlweise Bewunderung oder Gliederschmerzen löst aus, wie er jeweils aus dem Souffleurkasten erscheint oder darin verschwindet. Evan Hughes als Jupiter lässt optisch wie akustisch (mit charakterstarkem Bass) Platées Begeisterung jederzeit nachvollziehbar werden. Katia Ledoux als resolut eifersüchtige Juno überlässt den Wagen mit den Kuckuckskinder (Jupiter hat sie mit Leda gezeugt) rasch Nathan Haller als Mercure und Renato Dolcini als Satyre/Cithéron (hörbar indisponiert und entsprechend vom Intendanten angesagt), die sich herzerweichend um wahrscheinlich Apollo und Diana kümmern. Alasdair Kent gibt Thepsis mit arg aufgerautem Tenor. Mary Bevan ist eine superbe La Folie und geniesst ihre Auftritte sichtlich. Theo Hoffman als Momus, Anna El-Khashem als Clarine/Thalie, Tania Lorenzo als Amour, Gloria Gottschalk als Erste Mänade und Katarzyna Rzymska als Zweite Mänade ergänzen des Ensemble des wunderbar wilden Abends.

Eine Umsetzung mit Kultpotenzial!

Weitere Aufführungen:

Di. 12. Dez. 2023, 19.00; Fr. 15. Dez. 2023, 19.30; Do. 21. Dez. 2023, 19.00; Di. 26. Dez. 2023, 13.00;
Sa. 30. Dez. 2023, 19.00; Mi. 10. Jan. 2024, 19.00; Fr. 12. Jan. 2024, 19.30; So. 14. Jan. 2024, 14.00;
Di. 16. Jan. 2024, 19.00.

12.12.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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