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„Anna Bolena“ in der Deutschen Oper Berlin – Totentanz für eine Königin

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Ende einer Ehe: Anna Bolena (v.l.), Heinrich VIII., ungezogene Jagdhunde. Bettina Stöß
Ende einer Ehe: Anna Bolena (v.l.), Heinrich VIII., ungezogene Jagdhunde. Bettina Stöß © Bettina Stöß

Die Deutsche Oper Berlin zeigt Donizettis Tudor-Oper „Anna Bolena“ in David Aldens geschmackssicherer Inszenierung.

Glaubt man der Oper, ist die Liebe größer als die Politik und schadet ihr sehr. Glaubt man den Tudor-Opern Gaetano Donizettis, tritt die Liebe nämlich vor allem als ihr Gegenteil auf, Hass. Der Hass zieht seine Kraft daraus, dass die Liebe unmöglich oder unerwidert blieb, dass sie erlosch, enttäuscht oder verraten wurde. Verraten zu werden, das verzeiht die Liebe nicht, was wiederum unverzeihlich ist.

Kaum ausgereizt auf der Bühne ist das Schaffen Gaetano Donizettis, das mehr als 60 Opern umfasst. „Anna Bolena“, 1830 uraufgeführt, gehört zu einem Quartett, das in die anstrengende Welt Elisabeths I. führt. „Il Castello di Kenilworth“ ist leider weitgehend vergessen. Dank Schiller ist „Maria Stuarda“ natürlich die bekannteste. „Roberto Devereux“ wurde vor fünf Jahren so exzellent in einer Frankfurter konzertanten Aufführung präsentiert (mit Ambur Braid als rasender Elisabeth), dass kein Bedürfnis nach mehr Szenario aufkam.

David Aldens Blick auf „Anna Bolena“ an der Deutschen Oper Berlin demonstriert nun aber, wie das gehen kann. Geschmackvolle Bilder müssen nicht verstaubt aussehen, Kühle und Intensität widersprechen sich nicht. Alden entscheidet sich für die Öffentlichkeit, in der sich monarchische Liebesgeschichten abspielen, und gegen Intimität und psychologische Tiefenbohrung, die ebenfalls im Angebot wären. Wenn Anna Bolena leidet, und sie leidet ohne Unterlass, so tut sie dies mit großen Gesten. Alden achtet aber darauf, dass es keine konventionellen Operngesten sind, und er parodiert nicht. Er zeigt Menschen, die sich ständig beobachtet wissen. Königinnenschicksal.

In „Anna Bolena“ spielt Elisabeth I. an sich noch keine Rolle. Anna ist ihre Mutter, zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung ist die kleine Tochter und künftige Monarchin keine drei Jahre alt. Alden aber schickt ein rotblondes Mädchen als gelegentliche stille Zuschauerin ins Drama, so dass das Publikum direkt auch die Traumatisierung der nächsten Generation betrachten kann. Alter Trick, funktioniert. Da es sich ursprünglich um eine Produktion der Oper Zürich handelt, wo Alden auch „Maria Stuarda“ und „Roberto Devereux“ gezeigt hat, mag das dort besonders triftig gewesen sein. In Berlin leuchtet es ebenso ein.

Ausstatter Gideon Davey zeigt ansprechende Kostüme, ein Potpourri der Zeiten. Allein Heinrich VIII. sieht aus wie Heinrich VIII. (aber in jung und viril), sein Rivale Percy hingegen wie ein Donizetti-Zeitgenosse. Anna Bolena stirbt in elegischer schwarzer Seide des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Giovanna Seymour kommt im Kostüm mit Pelzkrägelchen schon aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Auch der Chor individuell kostümiert, die Männer allein ein Bildband zur Geschichte des Herrenanzugs.

Hinten eine halbrunde Mauer, auf der Robi Voigts vage Gruselvideos wallen. Eine dunkle Kassettenwand kann heruntergelassen werden und macht es nicht wohnlicher, aber repräsentativer. Auch können sich hier Öffnungen für den Chor (einstudiert von Jeremy Bines) auftun, Herren und Damen, die das Geschehen anstarren, groß und diszipliniert besingen und begleiten – am beeindruckendsten zum Totenhochzeitstanz, wenn angesichts Annas Hinrichtung die Hochzeitsvorbereitungen für Giovanna (Jane) und Enrico (Heinrich) in vollem Gange sind.

Anna ist die zweite Frau Heinrichs VIII., erst im Laufe der Oper begreift sie, dass sie bereits so gut wie tot ist. Giovanna ist bei Alden noch weniger als bei Donizetti interessiert daran, ihre Nachfolgerin zu werden. Eine Prozession mit Totenkopfmasken und einem überdimensionalen Skelett als König Tod macht klar, was die Stunde geschlagen hat.

Eine ausführliche Belcanto-Session, drei Stunden reine Spieldauer und ein Balanceakt. Aber die schlanke Fülle rutscht nicht in die gediegene Langeweile ab, die direkt daneben lauert. Hilfreich für alle das behände, sängerfreundliche Dirigat von Enrique Mazzola. Federica Lombardi ist die ausreichend höhensichere, in den mittleren Lagen aber erst recht erstklassige und sehr bewegliche Anna, eine wahrhaftige Schmerzensfrau. Vasilisa Berzhanskayas Mezzo gibt Giovanna eine imposante Tiefe und auch Tiefgründigkeit. Als Page Smeton bringt Karis Tucker eine noch etwas tiefere Farbe ins lebhafte Spiel. René Barbera ist der Jammertenor Percy, der weitgehend idealtypisches Belcanto abliefert, obwohl er sicherheitshalber eine Fast-noch-Krankmeldung vorausschicken ließ.

Riccardo Fassi ist ein agiler, maßvoll durchschlagender Enrico. Ein König muss offenbar nicht laut sein, mit einem Blick und Fingerschnick setzt er sich durch. Während er Anna beiläufig abserviert, herrscht lebhafte Vorbereitung zur Jagd – Statisten als nervöse Hunde, englischer Rasenteppich, an dem die Bediensteten noch herumschnippeln. Mord und Rasenpflege, auch dies kein Widerspruch in einer Welt, in der eh alles Kulisse ist und Ironie kein Fremdwort.

Und wenn der König mit der Armbrust auf eine Zielscheibe schießt, dann trifft er gleich dreimal auf einen Schlag, weil eifrige Diener von überall her die Pfeile in die Mitte stecken. Enrico freut sich aber allemal über den Treffer, so einer ist das. Er darf alles, er macht alles. Um das zu dokumentieren, muss Alden selten derb werden. Es geht auch anders, aber so geht es auch.

Dass modern und routiniert gefoltert wird am Hofe, darüber geht er allerdings nicht hinweg in seiner eleganten, nicht jedoch verlogenen Lesart.

Deutsche Oper Berlin: 19., 22., 26. Dezember. www.deutscheoper.de

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