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Anna Sohn (Héléna), Alisa Kolosova (Dara), Opernchor Theater Dortmund. Foto: © Björn Hickmann
Anna Sohn (Héléna), Alisa Kolosova (Dara), Opernchor Theater Dortmund. Foto: © Björn Hickmann
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Im Schatten des schwarzen Berges – Deutsche Erstaufführung der Oper „La Montagne Noire“ (1895) von Augusta Holmès an der Oper Dortmund

Vorspann / Teaser

Nimmt man den „Kosmos Wagner“ beim Wort, ist der natürlich endlich. An der Oper Dortmund ist so ein programmatischer Schwerpunkt überschrieben, mit dem das aktuelle Ringprojekt von Peter Konwitschny, das dort seiner Vollendung entgegengeht, neudeutsch gesagt, kontextualisiert wird. Im kommenden Frühjahr werden „Das Rheingold“, eine Ausgrabung und eine zeitgenössische Komposition mit einer wissenschaftlichen Umrahmung wieder zu einem kleinen Festival zusammengefasst. Verlässt man bei der Neubefragung der Werke Richard Wagners die Flugbahn entlang des Bayreuther Kanons plus der drei Frühwerke, bezieht das Davor und Danach mit ein und lässt sich obendrein vom Entdecker- sprich Ausgrabungsehrgeiz leiten, dann bieten die sprichwörtlichen unendlichen Weiten manche Überraschungen im unsichtbaren Teil des Opernuniversums.

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Diesmal setzt die Oper in Dortmund noch einen drauf und beeindruckt ihr Publikum, ganz und gar zeitgemäß, sogar mit der Oper einer Komponistin. „La Montagne Noire“ von Augusta Holmès (1847-1903). Die in Paris geborene Tochter irisch-schottischer Eltern fügte ihrem Familiennamen früh selbst den Accent grave (als bewusstes Statement) hinzu. Vielseitig begabt macht sie – gegen alle Widerstände der Männergesellschaft – Karriere auf eigene Rechnung, heiratet nie, bekommt aber fünf Kinder mit ihrem seinerseits verheirateten Partner, dem Schriftsteller Catulle Mendès, was selbst heute nicht so ohne weiteres durchgehen würde. In ihrem Musikverständnis ist sie Wagnerianerin, lernt ihr Idol sogar kennen, wird von César Franck unterrichtet. Es passt zu dieser bemerkenswerten Frau, dass sie im Rahmen der Pariser Weltausstellung 1889, zum 100. Jahrestag der Revolution, eine Ode triomphale für sage und schreibe 1200 Mitwirkende komponierte. Deren Aufführung im Palais de l’Industrie wird zu ihrem größten Erfolg! Als im Palais Garnier 1895 endlich ihre Jahre vorher abgeschlossene Oper La Montagne Noire uraufgeführt wird, ist sie also keine Unbekannte und hat sich ihren Platz in der von Männern dominierten Welt erobert. 

Der Oper Dortmund kommt jetzt nicht nur die Ehre der deutschen Erstaufführung dieser Oper zu, sie ergänzt das Werk auch durch jenen Schluss, der ihr in Paris gestrichen wurde. Möglich wurde das als Kooperation mit dem Centre de musique romantique française, dem Palazetto Bru Zane, das die Notenedition herausgegeben und zur Verfügung gestellt hat. 

Das Motto des Wagnerkosmos V „Mythos und Wahrheit“ passt natürlich fast immer. Aber in Bezug auf die einzige zu Holmès’ Lebzeiten dreizehn mal aufgeführte Oper vom Schwarzen Berg passt es besonders. Dass der Titel auf Montenegro verweist, ist kein Zufall, sondern Methode. Es geht tatsächlich um ein Stück aus der Geschichte des Balkans und um seine nationalen Mythen. Einer davon ist nämlich der im 17. Jahrhundert angesiedelte von den montenegrinischen Kriegern Mirko und Aslar, die gemeinsam gegen das Osmanische Reich kämpften. Das pompös in Töne gesetzte Ehre-Treue-Blut-Pathos des ersten Aktes mündet in einer Blutsbrüderschaft der beiden, die der Dorfgeistliche mit einigem rituellen Brimborium besiegelt. 

Im von der Komponistin selbst verfassten Libretto kommt dem Siegestaumel der christlichen Helden die schöne, verführerische Türkin Yamina in die Quere. Obwohl Gefangene und dann Sklavin hat sie nicht nur Mirko im Handumdrehen so sehr beeindruckt und auf ihre Seite gezogen, dass der ohne weiteres zum Verrat von Heimat und Blutsbruder bereit ist, um ihr in die Türkei zu folgen. Sie schafft es auch mit einer ihrer schönsten Arien, den Frauen des Dorfes zumindest eine Ahnung von Selbstwertgefühl gegenüber den sie beherrschenden Männern zu vermitteln. Das gelingt zumindest so lange bis Mirkos konservative Mutter Dara dazwischen geht. Das kommt auch heute noch glaubwürdig rüber, weil Holmès dieser Carmenfigur die schönste, melodisch sinnlichste Musik der Oper in die Mezzokehle geschrieben hat. Sie überlebt am Ende sogar. Die beiden männlichen Helden bleiben beide auf der Strecke. 

Mirko ist dauernd zwischen seiner Liebe zu Yamina und der allenthalben eingeforderten „Ehre“ als Christ und Kämpfer hin und hergerissen. Er entscheidet sich letztlich für die Liebe und wird von Aslan umgebracht. Kurz darauf stirbt auch er im Kugelhagel. Da Aslan aber seinen Leuten gegenüber, wider besseres Wissen, immer die Legende vom Krieger Mirko aufrechterhalten hat, kommt es am Ende so, dass die siegreichen Montenegriner die beiden Toten mit priesterlichem Segen zu Nationalhelden verklären! Es lag wohl nicht an der Länge, dass die Pariser Oper einst diesen, ja doch ziemlich subversiv erhellenden Schluss gestrichen hat. Ins Ehre-Pathos des 19. Jahrhunderts passte er ebenso wenig wie in dessen Renaissance heutzutage …. 

Da Jung-Regisseurin Emily Hehl auf eine illustrierende, von Emma Gaudiano hübsch bunt, folklorenah kostümierte, und von Frank Philipp Schlößmann in einen sängerfreundlichen, mit beweglicher Rückwand versehenen steingrauen Bühnenkasten verlegte Erzählung beschränkt hat, bleiben in die Gegenwart führende Überlegungen, der Nachwirkung der Geschichte und vor allem der beeindruckenden Überwältigungswucht der Musik überlassen. Was bei einer Erstaufführungsinszenierung ja durchaus eine Option ist und neugierig auf eine anders verpackte Wiederholung macht. 

Musikalisch haben Motonori Kobayashi und die Dortmunder Philharmoniker, der aufgerüstete und von Fabio Mancini tadellos einstudierte Chor sowie ein erstklassiges Protagonistenensemble der außergewöhnlichen Komponistin einen großartigen Dienst erwiesen. Von angesagten Unpässlichkeiten war nichts zu spüren. Sergey Radchenko war ein vokal strahlender (charakterlich dauerschwankender) Mirko, Mandla Mndebele sein nicht minder überzeugender Blutsbruder Aslar und Denis Velev der großformatige Dorfgeistliche. Bei den Frauen beglaubigte Alisa Kolosov die autoritär auftrumpfende Dara genauso überzeugend wie Anna Sohn die von Mirko sitzen gelassene Héléna. Vor allem sorgt Aude Extrémo mit ihrem verführerischen Mezzo und ihrer tänzerischen Beweglichkeit dafür, dass diese Yamina nicht nur Mirko zu verführen vermochte. Die eingefügte Gusla-Spielerin Bojan Pekovic liefert zwar einen volksliedhaften Auftakt, bleibt als Erzählerin präsent, ist aber nicht wirklich in die Inszenierung integriert. 

Es ist vor allem die Musik von Holmès, die in den Bann zieht. Sie geht in die Vollen, ist abwechslungsreich, hält die Spannung, weil die Komponistin ihr Handwerk beherrscht und überrascht immer wieder mit originellen Einschüben. Es ist großformatige dramatische und farbenreichen Musik, gönnt allen Protagonisten Entfaltungsmöglichkeiten. Sie gehört ohne Zweifel zum Wagneruniversum. Auch wenn sie immer mal an Berlioz‘ Trojaner erinnert. Und auch eine Sympathie zu Verdi oder der Romantik durchblicken lässt. Es macht jedenfalls Spaß hier zuzuhören.

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