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Augusta Holmès - „La Montagne Noire“ in Dortmund: Schönheit, Verderben, erhabene Lüge

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Tableau mit ringenden Montenegrinerinnen.
Tableau mit ringenden Montenegrinerinnen. © Björn Hickmann/ stage picture

Die Frau, die nicht heiratete, sondern Opern schrieb: Dortmund erweitert den Horizont mit „La Montagne Noire“, einem opulenten Werk der vergessenen Fin-de-siècle-Komponistin Augusta Holmès.

Es ist vielsagend, dass Camille Saint-Saëns seine Kollegin Augusta Holmès (1847–1903) selbst im größten Lob noch eine „Muse“ nannte. Schöpferisches Genie war bei Frauen in der Musik – wo sie als Sängerinnen, Pianistinnen und so weiter längst benötigt und willkommen waren – nicht vorgesehen. Auch finden sich einfach wenige Beispiele.

Die französische Hauptstadt war ein guter Ort dafür. Als Holmès’ Oper „La Montagne Noire“ (Der schwarze Berg) 1895 von der Pariser Oper angenommen und uraufgeführt wurde, hatte das einen sensationellen Charakter, andererseits gab es mit Louise Bertin (1805–1877) immerhin eine einzige Vorgängerin, die ebenfalls schon ein abendfüllendes Werk hier hatte zeigen können. In der nächsten Generation feierte Lili Boulanger (1893–1918) Erfolge. Holmès aber strebte zur großen und ganz großen Form. Zur Weltausstellung kam 1889 ihre „Ode triomphale“ mit 1200 Beteiligten zur Aufführung (Jahre vor Gustav Mahlers 1910 uraufgeführter „Sinfonie der Tausend“). Ein Triumph auch für sie, die ihren Weg als Komponistin entschlossen ging.

Als Tochter irisch-schottischer Eltern (eigentlich hieß sie Holmes, wie Sherlock) in Paris geboren, rang sie um die bestmögliche Ausbildung, was für eine Frau nicht einfach war, und sie verzichtete offenbar gezielt und geplant auf eine Ehe, um vor dem Gesetz ihre größtmögliche (auch finanzielle) Unabhängigkeit zu wahren. Sie war eine bekannte Pianistin, besuchte den von ihr bewunderten Richard Wagner in Tribschen und hatte ihrerseits eine langjährige Affäre mit einem verheirateten Mann, die laut Programmheft fünf Kinder zur Folge hatte. Es gibt viel zu erzählen. Das passt zum Thema.

„La Montagne Noire“, Holmès’ vierte und letzte und einzige aufgeführte Oper, wurde 1895 wohlwollend bis verhalten aufgenommen und dann vergessen. Erst der Musikwissenschaftlerin Nicole K. Strohmann, lernt man nun, gelang es, eine vollständige Fassung wieder ausfindig zu machen. An der Oper Dortmund ist diese jetzt zu erleben, als deutsche Erstaufführung und als besonderes Fundstück im Vorfeld des Festivals „Kosmos Wagner“, in dessen Zentrum im Mai Peter Konwitschnys „Rheingold“ stehen wird.

„La Montagne Noire“, auf ein Libretto von Holmès selbst – auch hierin am Dichterkomponisten Wagner orientiert –, ist zunächst eine wilde Geschichte aus dem 17. Jahrhundert: Zwei gegen die osmanischen Eroberer kämpfende Montenegriner schwören sich Blutsbrüderschaft, anschließend aber wird ausgerechnet der Verlobte von den beiden durch eine türkische Femme fatale verführt. Die Sache geht übel aus.

Holmès schrieb aber ein letztes Bild, in dem der Priester des montenegrinischen Ortes das völlig private Desaster – beide Blutsbrüder tot, die Femme fatale erneut entwischt – in ein nationales Heldenepos („fürs Vaterland gestorben“) ummodelt. Holmès-Forscherin Strohmann und das Dortmunder Team unter Führung von Regisseurin Emily Hehl sehen hierin sicher zu Recht ein fabelhaftes Beispiel für Geschichtsklitterung. Interessant, dass bei der Aufführung in Paris ausgerechnet dieses letzte Bild – gegen den Willen der Komponistin – entfiel, hier wollte man es offenbar beim astreinen Opernfinale belassen.

So bezieht sich auch Hehls Inszenierung aufs Geschichtenerzählen und -erfinden. Eine traditionelle Gusla-Spielerin wurde eingeladen, Bojana Pekovic, die sich beim Singen auf dem im Balkanraum verbreiteten einsaitigen Streichinstrument begleitet, was tatsächlich perfekt übergeht in die Ouvertüre. Auch im Laufe des Geschehens hört die Spielerin still zu, kommentiert mit Miene und Geste das krude Geschehen, und wie daraus eine erhabene, aber allemal eine Lüge wird.

Holmès Partitur wirkt schlank, es gibt starke Leitmotive, in die man sich einhört, eingängige Chöre (von Fabio Mancini einstudiert), anspruchsvolle Solopartien. Die Wagner-Nähe, die ihr zu Lebzeiten vorgeworfen wurde, zieht angesichts der adäquaten Dramatik wenig, zumal sie ungefähr auf jeden Komponisten der Zeit zutrifft. Im Vergleich zu großen Femme-fatal-Opern abzufallen („Carmen“, „Samson und Dalila“), ist keine Schande. Stattdessen interessiert Holmès’ Blick auf die in Selbstverteidigung befindliche, aber sehr menschliche Yamina, der in Dortmund Aude Extrémo großes Mezzo-Format gibt.

Die Blutsbrüder sind Mirko, Sergey Radchenko mit stabilem Tenor, und Aslar, der feierliche Bariton Mandla Mndebele. Mirkos unglückliche Verlobte ist die lieblich singende Anna Sohn, seine gnadenlos nationalistische Mutter die prächtige Alisa Kolosova.

Hehl führt das Personal zuneigungsvoll, aber konventionell. Die Vorgänge erscheinen kühner als die durch manche geheimnisvolle Symbolig angereicherte Bewegungssprache. Etwas eng das einen Betonbau vorstellende Bühnenbild Frank Philipp Schlößmanns, einleuchtend sind die fantasiefolkloristischen Kostüme Emma Gaudianos. Motonori Kobayashi leitet die mit ihren topfitten Bläsern besonders überzeugende Dortmunder Philharmoniker.

Oper Dortmund: 19., 24. Januar, 17. Februar, 11. April, 10. Mai. www.oper-dortmund.de

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