Candide (Matthew Newlin in blau) ist vernarrt in Cunegonde (Nikola Hillebrand in rot) und die beste aller möglichen Welten.
Kmetitsch

"Always look on the bright side of life!", singen die Gekreuzigten final in Monty Pythons Film Das Leben des Brian. Ob die britische Komikertruppe Leonard Bernsteins ebenfalls satirische Abrechnung mit der aufklärungsfernen religiösen Unterwürfigkeit gekannt hat, die er parallel zur West Side Story schrieb? Es bleibt unsicher. Zweifellos aber weist die Inszenierung von Lydia Steier bei dieser Abrechnung mit der rosaroten Brille der Weltbetrachtung eine Nähe zum Stil der Heiterkeitstruppe auf, die es leider nicht mehr gibt.

Leonard Bernsteins Hybrid aus Operette, Revue und Musical (1956) hält das aus. Das Werk basiert auf Voltaires Roman Candide (1759), der einst weltanschauliche Konflikte provozierte. Als Reaktion auf seines Kollegen Leibniz’ These, wir würden in der besten aller Welten leben, schickt der französische Vordenker der Aufklärung den Optimisten Candide auf eine Katastrophenreise. Sie lässt ihn Kriege, Seuchen-, Naturverwüstung und humane Niedertracht erleben, etwa in Form der Inquisition.

Glücklich auch der Syphilitiker

Zunächst sind alle glücklich! Auch im Museumsquartier tanzen Kriegsversehrte mit Krücken oder schwingen beherzt jene Gliedmaßen, die ihnen noch nicht amputiert werden mussten, um Wundbrand zu verhindern. Glücklich auch der Syphilitiker ob seines langsamen Dahinsiechens! Schließlich, so der betroffene Gelehrte Dr. Pangloss (Ben McAteer witzig und mit wirrem Klischeehaar à la Albert Einstein), hat Gott gewiss seinen zureichenden Grund gehabt, das Bakterium Treponema pallidum in die beste aller Welten zu setzen.

Kein Kontakt

Candide erlebt noch mehr Staunenswertes, bevor sein Optimismus bricht – etwa in Argentiniens Hauptstadt: Das Risiko eines direkten Austauschs von Körpersäften mit anderen will sein Gastgeber, der Gouverneur von Buenos Aires (Mark Milhofer), in Steiers Regie keinesfalls eingehen. Er sucht zwar die Nähe von Cunegonde. Lieber aber beglückt sich der Gouverneur selbst mit einem Lustspielzeug anal oder lässt sich von Cunegonde auf ähnliche Art und Weise per Dildo glücksversorgen, ohne allerdings sein Versprechen, sie zu heiraten, auch wirklich einzulösen.

Man sieht: Die feine Klinge bleibt in der Inszenierung arbeitslos. Eingefasst in drei bis vier Varieté-Rahmen mit Leuchtlämpchenverzierung (Bühnenbild: Momme Hinrichs), entsteht ein groteskes Figurenkabinett, in dem Geistliche tanzen, Toreros Höschen mit Bildern der Gottesmutter tragen und beim Autodafé tatsächlich einige Gehängte leblos herumbaumeln. Jener Überfülle an Ideenreizen, die Bernsteins Werk an sich schon bereithält, setzt die Inszenierung noch kübelweise etwas drauf. An weniger grellen Stellen scheinen die Figuren mitunter immerhin Wes Andersons nostalgischem Film Grand Budapest Hotel entsprungen zu sein.

Der reine Tor

Wenn schon derb und deftig, denkt man sich, dann aber das Ganze bitte ordentlich auf die Spitze treiben! Nur so erreicht man die Klimax des Schlüpfrigen, mit dem das wahre Gesicht der Welt und ihrer Machtvertreter kenntlichwerden. Einigermaßen skurril gelingt dies mit Cunegonde, wenn sie als Sexarbeiterin einige lächerliche Herren mit ihren Koloraturen simultan in Zuckungen versetzt.

Als Cunegonde liefert Nikola Hillebrand in dieser Märchenfarce trotz verordneten vollen Körpereinsatzes mutig tadellose Linien, Kantilenen und Koloraturen ab. Bernsteins Musik ist ja auf Stilflexibilität angelegt; ihr wurde Rechnung getragen.

Als bunter Garten der Eklektik, in dem Candide auch zum Mörder wird und seinen Optimismus schließlich nicht mehr halten kann, ist Matthew Newlin mit seinem klangvollen Tenor der reine Tor, der über die Welt staunt und ihr szenisch ein wenig fremd bleibt. Candide wirkt, als hätte sich Mozarts Tamino aus der Zauberflöte rübergebeamt. Insofern herrscht bei dieser Figur Opernkonvention vor, die am Schluss, wenn Bernstein pathetisch wird, letztlich alle erfasst.

Klänge strahlen

Dirigentin Marin Alsop, einst Bernsteins kompetente Schülerin, schafft mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien vom ersten Ton an eine ausgelassen-drängende Gangart, die durch alle Stilkontraste hindurch erhalten bleibt. Es klingt prägnant, farbenreich und in dieser nicht unheiklen akustischen Hallensituation zumeist ausgewogen, wodurch die Klänge dauerstrahlen, um nur zwischendurch dem Erzähler (Vincent Glander) das Wortfeld zu überlassen. Applaus für die schrillste aller Welten. (Ljubisa Tosic,18.1.,2024)