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Die Soldaten

Oper in vier Akten
Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz
Musik von Bernd Alois Zimmermann


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Eine Koproduktion von Oper Köln und Gürzenich-Orchester Köln
Halbszenische Aufführung in der Kölner Philharmonie am 18. Januar 2024
(weitere Aufführungen in der Elbphilharmonie Hamburg und der Philharmonie de Paris)


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Gürzenich-Orchester
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Eine grandiose "Tragödie des Hörens"

Von Stefan Schmöe / Fotos von Holger Talinski

"Nicht aufführbar" - so lautete das Verdikt des seinerzeitigen Kölner Generalmusikdirektors Wolfgang Sawallisch, der damit die für 1960 geplante Uraufführung der Soldaten absagte. Das sehr informative Programmheft zu dieser halbszenischen Produktion des Gürzenich-Orchesters und der Oper Köln für die Philharmonien in Köln, Hamburg und Paris rückt einiges gerade: Nicht aufführbar war das Auftragswerk unter den Bedingungen des laufenden Repertoirebetriebs mit knapp bemessenen Proben- und Umbauzeiten, so musste man Sawallisch verstehen. Freilich war auch der Komponist im Verzug und die Oper zum geplanten Termin längst nicht vollendet. Die Uraufführung wurde (gegen manche Widerstände) 1965 unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen nachgeholt, und mit der Oper in Kassel, 1968 für die zweite Produktion verantwortlich, bewies anschließend eines der mittelgroßen Theater, dass die Soldaten spielbar sind (zum 100. Geburtstag des Komponisten hat 2018 auch die Oper in Nürnberg das Werk bravourös gestemmt). Das darf aber nicht die gewaltigen organisatorischen und logistischen Herausforderungen verdecken. In der Kölner Philharmonie ist nicht nur das Podium durch das um zahlreiche Gäste verstärkte Orchester komplett ausgefüllt, kleine Klangkörper befinden sich auf Balkonen und im Rücken des Publikums ganz oben, wo sonst Stehplätze angeboten werden. Drei für das Publikum weitgehend unsichtbare Kodirigenten (Arne Willimczik, Nathana ël Iselin, Arnaud Arbet) werden im Besetzungszettel genannt. Hinzu kommt die Elektronik, über die Zimmermann Toncollagen zuspielen lässt. Die Soldaten bleiben ein Kraftakt.

Fotos kommen später

Ensemble

Dabei ging es Zimmermann nicht (oder jedenfalls nicht primär) um eine Überwältigungsästhetik als Fortsetzung der ins Gigantische gesteigerten Orchesterapparate am Ende der musikalischen Romantik etwa bei Franz Schreker oder Erich Wolfgang Korngold. Die immensen Anstrengungen bei der Realisation folgen dem gedanklichen Anspruch, die Katastrophe der Gegenwart in einem opus summum zu konzentrieren, bei dem es um alles geht - und das eben nur unter Aufbietung aller Kräfte, sowohl im Kollektiv als auch individuell in extrem schwierig zu singenden und spielenden Partien und Instrumentalstimmen. Auch die Kölner Oper hat 2018 eine szenische Produktion im Deutzer Staatenhaus, dem Ausweichquartier während der Sanierung des Opernhauses, herausgebracht. Schon dort konnte Chefdirigent François-Xavier Roth durch die Weite des Saals einen beeindruckenden Raumklang erzeugen. Akustisch allerdings sind die Voraussetzungen in der Philharmonie ungleich besser. Roth und das phänomenal gute Gürzenich-Orchester erzeugen einen überwiegend hellen, immer klaren und durchsichtigen Klang, zupackend hart in den "martialischen" Passagen (die Schlagzeuger spielen mit bestechender rhythmischer Härte und Unbarmherzigkeit), mit äußerster Konzentration in den vielen ruhigen Szenen. Roth verfällt nicht in Klangmalerei und "romantisiert" nichts. Aber er zeichnet die faszinierenden Klangflächen Zimmermanns mit leuchtenden Farben und Durchhörbarkeit bis in kleinste Details plastisch nach.

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Gratwanderung: Marie, vorne Stolzius

Die (durchweg sehr guten) Sängerinnen und Sänger sind auf der Empore hinter bzw. über dem Orchester platziert. Die Klangbalance ist nahezu perfekt; Gesangsstimmen werden nicht zugedeckt, sondern über den Orchesterklang hinweg getragen. So vollbringt die Aufführung das paradox anmutende Kunststück, die Komplexität der Partitur mit ihren die Grenzen der Aufführbarkeit auslotenden Anforderungen hörbar zu machen und gleichzeitig mit einer Souveränität zur Aufführung zu bringen, als sei dies eine Selbstverständlichkeit. Dramaturg Patrick Hahn erklärt in seinem Beitrag für das Programmheft die Soldaten bei einer solchen Aufführung im Konzertsaal in Anspielung auf Luigi Nonos Prometeo zur "tragedia dell'ascolto" (so der Untertitel des Prometeo), zur "Tragödie des Hörens". Das trifft ziemlich genau den Charakter dieser Produktion. Jedenfalls hallen die Marschrhythmen des Schlagzeugs lange nach.

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Marie, salutierend

Dabei handelt es sich keineswegs um eine rein konzertante Aufführung; schließlich zeichnet kein geringerer als Calixto Bieito, einst wegen seiner Zuspitzungen als "Berserker unter den Regisseuren" (Dieter David Scholz anlässlich einer Stuttgarter Parsifal-Inszenierung 2010) bezeichnet, für die Regie verantwortlich. Man kann darüber streiten, ob es sich hier eine "Konzertinstallation", eine "halbszenische Einrichtung" oder eine nahezu vollwertige Operninszenierung in ungewöhnlichem Rahmen handelt. Bieito lässt das singende Personal auf kleinem Raum mehr oder weniger in gehobener Alltagskleidung agieren, wie man sie auch im Publikum sieht - "Soldaten" im Sinne Zimmermanns sind wir alle. Trotzdem gibt es kleine, aber entscheidende Unterschiede in der Kostümierung. Kaufmannstochter Marie, deren Abstieg von der Verlobten des Tuchhändlers Stolzius (mit Pullunder als brav und bieder gekennzeichnet) nach einer Affäre mit dem Offizier Desportes (natürlich ein Adeliger) zur "Soldatenhure" und Bettlerin im Stück nachgezeichnet wird, trägt ein einfaches Kleid. Dieses wird bald aufgerissen, dann vollständig abgerissen, sodass sie im Unterkleid dasteht - Zeichen der zunehmenden Sexualisierung. Marie zur Seite steht ein Double (beeindruckend: Tänzerin Denise Meisner), manchmal treten beide gleichzeitig auf. Konkrete szenische Situationen werden dabei meist nur vage angedeutet, Requisiten selten verwendet - so trägt der Feldprediger Eisenhardt eine Bibel mit sich. Aber Bieto lässt sein Personal immer wieder in einen marschierenden Gleichschritt verfallen, auch die Frauen und insbesondere auch Marie. Und nach und nach tragen alle Soldatenhelme mit sich. So verdeutlicht die Regie, dass ausnahmslos alle Personen Teil eines Zwangsmechanismus sind, der zwischen Tätern und Opfern nicht mehr unterscheidet. Das ist ebenso im Sinne Zimmermanns wie der collagenhafte Aufbau, der auf eine linear organisierte Erzählstruktur verzichtet. Handlungselemente blitzen auf und verschwinden und erhalten so einen symbolhaften Charakter. Videoeinspielungen gibt es nicht (Zimmermann hatte Sequenzen einer Atombombenexplosion als Bild für die totale Katastrophe vorgesehen). Stattdessen bleibt der Schluss ganz der Musik überlassen.

Fotos kommen später

Ensemble

Emiliy Hindrichs gibt der Marie mit beweglichem, bei aller Expressivität immer klangschönem Sopran, der sich eine anrührende Mädchenhaftigkeit bewahrt, große vokale Präsenz und gestaltet mit Körpersprache und Gestik eine zerrissene Figur, in der dann auch das Individualdrama anklingt. Tómas Tómasson verleiht ihrem Vater Wesener (der seine Tochter am Ende bettelnd auf der Straße nicht mehr erkennt) vokal wie szenisch imposante Statur. Nikolay Borchev singt einen tadellosen, akkuraten Stolzius, Martin Koch einen draufgängerischen, auch in höchsten tenoralen Höhen versierten Baron Desportes. Laura Aikin gibt mit großer Stimme eine (hier etwas zwielichtig dargestellte) Gräfin de la Roche, die Marie (vergeblich) ein Angebot macht, bei ihr aufgenommen zu werden. Miljenko Turk als elegant-schneidiger Haudy und Wolfgang Stefan Schneider als Mary verkörpern auch stimmlich brillant die Welt der Offiziere, Oliver Zwarg als Feldprediger Eisenhardt und John Heuzenroeder als kauzig philosophierender Hauptmann Pirzel setzen nicht weniger überzeugend die an dieser Welt zweifelnden Kontrastpunkte. Auch die weiteren Sängerinnen und Sänger des 23-köpfigen Solostimmen-Ensembles sowie die Herren von Chor und Extrachor singen großartig. Und auch die perfekte Klangregie (Paul Jeukendrup) trägt zu einer großen Aufführung bei.


FAZIT

Eine in allen Belangen großartige Aufführung, die in ihrem weitgehenden Verzicht auf Illusionstheater geschickt szenische Akzente setzt, ohne von der Musik abzulenken.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
François-Xavier Roth

Kodirigat
Arne Willimczik
Nathana ël Iselin
Arnaud Arbet

Inszenierung
Calixto Bieito

Klangregie
Paul Jeukendrup


Mitglieder und Gäste des Herren-
und Extrachores der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Wesener
Tómas Tómasson

Marie
Emily Hindrichs

Charlotte
Judith Thielsen

Weseners alte Mutter
Kismara Pessatti

Stolzius
Nikolay Borchev

Stolzius' Mutter
Alexandra Ionis

Obrist
Lucas Singer

Desportes
Martin Koch

Pirzel
John Heuzenroeder

Eisenhardt
Oliver Zwarg

Haudy
Miljenko Turk

Mary
Wolfgang Stefan Schwaiger

Gräfin de la Roche
Laura Aikin

Der junge Graf
Alexander Kaimbacher

Bedienter der Gräfin de la Roche
Alexander Fedin

Der junge Fähnrich
Ján Rusko

Der betrunkene Offizier
Frederik Schauhoff

Drei Hauptleute
Heiko Köpke
Carsten Mainz
Anthony Sandle

Madame Roux / Double Marie
Denise Meisner



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)



Da capo al Fine

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