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La Montagne Noire (Der schwarze Berg)

Lyrisches Drama in vier Akten (fünf Bildern)
Text und Musik von Augusta Holmès


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Deutsche Erstaufführung im Theater Dortmund am 13. Januar 2024
(rezensierte Aufführung: 24. Januar 2024)




Theater Dortmund
(Homepage)

Ein langer Exkurs über den Wahrheitsgehalt von Legenden

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk

Ein Heldenepos? Der Freiheitskampf der Monenegriner gegen das Osmanische Reich im 17. Jahrhundert bildet den Hintergrund der Geschichte, die in der Oper von Augusta Holmès (1847 - 1903) erzählt wird. La montagne noir, das ist der schwarze Berg (nach einer venezianischen Übersetzung aus dem 15. Jahrhundert der monte negro), der dem Staat Montenegro seinen Namen gibt. Der Berg, der unbedingt verteidigt werden muss. Dafür erdachte sich die Komponistin, die auch das Libretto schrieb, eine Sage nach der Art osteuropäischer Nationalepen, die sie dann den Konventionen der Oper anpasste: Ein Tenor, der sich zwischen privater Liebe und patriotischer Pflicht entscheiden muss. Alles ziemlich frei erfunden, wenn auch offenbar mit Kenntnis montenegrinischer Legenden, die abgewandelt durchschimmern. Holmés, die 1889 mit einer monumentalen Kantate zur 100-Jahr-Feier der Französischen Revolution populär wurde, brachte das Werk 1895 an der Pariser Opéra Garnier zur Uraufführung - überhaupt erst das zweite Werk einer Frau (nach Louise Bertins La Esmeralda 1836), das dort gespielt wurde. Mit durchwachsenem Erfolg, und danach verschwand die Oper vom Spielplan. Mit dieser Dortmunder Produktion (die das bei der Uraufführung stark gekürzte Finale vollständig spielt und es damit auf ein paar Minuten Uraufführung bringt) wird La montagne noir zum ersten Mal nachgespielt.

Szenenfoto

Volkstümlich: Dara und die montenegrinischen Dorffrauen

Der gefeierte Kriegsheld Mirko (großartig: Sergey Radchenko mit nicht zu hellem, strahlkräftigen und geschmeidigem Tenor) verliebt sich in die Sklavin Yamina (mit tollem dunkel-dramatischem Mezzosopran: Aude Extrémo), eine türkische Kriegsgefangene, und verlässt dafür seine brave Verlobte Héléna (mit betörend schönem, lyrisch geprägten und doch kraftvollen Sopran: Anna Sohn). Neben der Beziehungskrise mit Héléna und dem Verrat an der eigenen Truppe (er flieht mit Yamina) handelt er sich noch einen Konflikt mit seinem Kumpanen Aslar (trotz angekündigter Indisposition beeindruckend: Mandla Mndebele) ein, dem er in einem feierlichen Zeremoniell vor dem Volk Blutsbrüderschaft geschworen hat und der ihm nacheilt und ihn wieder auf den rechten Weg bringen will - vergeblich, denn der wankelmütige Mirko mag von Yamina und deren erotischen Reizen nicht lassen. Am Ende tötet Aslar seinen Freund und Blutsbruder, bevor der noch größeres Unheil anrichten kann, und wird umgehend selbst von türkischen Truppen erschossen. Was in der Erinnerungskultur schnell umgedeutet wird zum ehrenhaften Tod zweier unzertrennlicher Blutsbrüder auf dem Schlachtfeld. Ein zweifelhaftes Heldenepos also.

Augusta Holmés kann oder will keinen der drei Konflikte wirklich dramatisch zuspitzen. Trotz der vielen Tableaus, in denen in martialischer Sprache blechbläsergesättigt der Krieg beschworen wird, fehlt eine große Anklageszene wie etwa in Aida (auch eine Oper vom Typ "Feldherr-liebt-gegnerische-Gefangene"). Héléna, ohnehin mehr Symbolfigur für die montenegrinisch-christliche Kultur als liebende Frau, verschwindet nach dem zweiten von vier Akten aus der Oper, sodass sich die Dreiecksgeschichte "Mann zwischen zwei Frauen" schnell verliert. Bleibt das Blutsbrüder-Motiv, das mittels Segnung durch den Priester Pére Sava (mit sattem Bass: Denis Velev) im ersten Akt christlich-theologisch überhöht wird und das sich bis ins Finale durchzieht. Die ganz große Spannung kann Holmès auch dem nicht abgewinnen. Drei vertane Chancen, hätte der um den dramatischen Effekt wissende Verdi sicher gewettert. Andererseits hat die Unbestimmtheit, von der die Figur des Mirko umgeben ist, ihren eigenen Charme, und die musikalisch stärksten Momente hat die Musik, die in der Nachfolge Meyerbeers Massenet und Saint-Saens näher steht als Verdi oder Wagner, wenn sie diesen Schwebezustand, das Sich-nicht-entscheiden-können, melancholisch nachzeichnet. Große melodische Linien bleiben allerdings eher die Ausnahme; oft tritt die Musik kleinteilig auf der Stelle.

Szenenfoto

Mirko, chritlich-montenegrinischer Kriegsheld, vor Kreuzesprojektion

Regisseurin Emely Hehl ist nicht an einer Psychologisierung der Figuren gelegen, eher im Gegenteil: Sie zeichnet diese bewusst schematisch in einem folkloristisch ausgestatteten Volksdrama. Das entspricht der Anlage der Oper, entwickelt sich aber trotz vorsichtiger Brechungen mindestens in den ersten beiden Akten ziemlich konventionell und mitunter langatmig. Der frei erfundenen Folklore von Augusta Holmès setzt Kostümbildnerin Emma Gaudiano volkstümlich anmutende, mit bunten Bildern bedruckte Phantasietrachten entgegen, die nichts imitieren wollen, sondern mit Klischeevorstellungen von osteuropäischer Folklore und Volksfrömmigkeit spielen. Die Tableaus in den vielen Chorszenen wirken freilich in dieser Ausstattung reichlich altbacken, auch weil die Regie die tragische Geschichte (die oft unfreiwillig wie eine Farce oder Satire wirkt) brav nacherzählt. Zum eigentlichen Thema wird die Frage: Wie überhaupt erzählen sich Menschen und Gesellschaften solche Legenden, und wie entstehen sie? Vom Ende her gedacht ist die Heldensaga natürlich ein fake, denn Anti-Held Mirko unterläuft permanent und auf allen Ebenen die Erwartungen an ihn - und wird am Ende dennoch verklärt, weil es so für die Nachwelt schöner, edler, erbaulicher ist. Hehl dekliniert also auf der inhaltlichen Ebene durch: Was ist hier eigentlich echt? Und sie hinterfragt natürlich damit nicht nur die Entstehung solcher Legenden an sich, sondern auch die Konzeption der Oper, die dem Publikum hier eine scheinbar tradierte Erzählung als eine solche Legende "verkauft".

Szenenfoto

Die fremde Verführerin: Yamina, türkische Kriegsgefangene

In Montenegro, so teilt die Regisseurin im Programmheft mit, werden Legenden in Form von Gesängen tradiert, und die Sängerinnen begleiten sich mit der Gusla, einem einsaitigen Streichinstrument. Zu Beginn der Aufführung singt Bojana Pekovic, eine Künstlerin aus Montenegro, sehr eindrucksvoll ein traditionelles Lied mit Gusla, das von einem ganz ähnlichen Helden erzählt (und womöglich eine Quelle für die Komponistin war). Pekovic bleibt als Chronistin auf der Bühne, die Gusla wird in der Inszenierung zum Symbol für die Überlieferung von Mythen und Geschichten. Im Rahmen des Regiekonzepts geht das schlüssig auf. Nur gibt dieses Konzept nicht allzu viel her, denn die Untersuchung des Wahrheitsgehaltes von Legenden trägt kaum über die dreieinhalb Stunden Spieldauer. Da gibt letztendlich die wenig aufregende, aber doch solide Nacherzählung der Geschichte mehr her, auch wenn ausgerechnet die Figur der Verführerin Yamina mehr Profil bräuchte: Mit der freiheitsliebenden Carmen etwa kann diese eher auf den unmittelbaren Vorteil kalkulierende femme fatal bei weitem nicht mithalten. Die Komponistin Holmès hat sich ihren Platz in der von Männern dominierten Opernwelt erkämpft; ihre Frauenfiguren in La Montagne Noire halten sich an die vorgegebenen Rollen. Aber wer weiß, ob es die Oper anders 1895 auf die Pariser Bühne geschafft hätte.

Der (um einen Projektchor erweiterte) Chor der Dortmunder Oper singt zuverlässig, wenn auch mit oft recht großem Vibrato. Aus dem ganz ausgezeichneten Ensemble ist noch die sehr präsente Alisa Kolosova als Mirkos Mutter Dara zu nennen. Kapellmeister Monotori Kobayashi am Pult der guten Dortmunder Philharmoniker achtet sorgfältig darauf, auch in den großformatigen Chorszenen nicht lärmend zu werden, und sorgt für einen delikaten Klang.

FAZIT

Die musikalisch grandiose Umsetzung tut viel für diese vergessene Oper, die durchdachte, aber in der Umsetzung auf der Bühne allzu konventionell geratene Regie deckt viele dramaturgische Schwächen auf: La Montagne Noire ist eine interessante Abwechslung im Spielplan, aber auch nicht mehr.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Monotori Kobayashi

Regie
Emily Hehl

Bühne
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Emma Gaudiano

Choreographie
Adriana Naldoni

Licht
Florian Franzen

Chor
Fabio Mancini

Dramaturgie
Daniel Andrés Eberhard


Chor des Theaters Dortmund

Projekt-Extrachor

Statisterie des Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

Mirko
Sergey Radchenko

Aslar
Mandla Mndebele

Le Père Sava
Denis Velev

Yamina
Aude Extrémo

Héléna
Anna Sohn

Dara
Alisa Kolosova

Un Des Chef
Ian Sidden

Un Chef
Min Lee

Un Jeune Homme
(Sängerin und Gusla-Spielerin)
Bojana Peković


Weitere
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Theater Dortmund
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Da capo al Fine

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