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„Pnima“ in Darmstadt: Geschlossene Gesellschaft

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Tänzerin Wen Hui in „Pnima“.
Tänzerin Wen Hui in „Pnima“. Bild: Benjamin Weber © Benjamin Weber

Musiktheater über das Schweigen – Chaya Czernowins „Pnima“ am Staatstheater Darmstadt.

Im Jahr 2000 hatte die israelische Komponistin Chaya Czernowin für die Münchner Biennale eine gut einstündige Oper in drei Akten für „vier Vokalsolisten, Instrumentalsolisten und Streichorchester“ geschrieben: „Pnima...ins Innere“. Das Kammerspiel einer jüdischen Familie, deren Angehörige auf unterschiedliche Weise mit dem Genozid umgehen. Ein Thema der Beschweigung des Völkermords und gewissermaßen eine Parallelsituation zur hiesigen Schweigespirale.

Ganz in den Stil der Geräuschklang-Vokalfragmentierungen der mitteleuropäischen Avantgarde gebettet, ergibt das ein zur Beliebigkeit tendierendes Bedeutungsfeld, denn die universal gewordene Dissonanz hält Distanz zu geprägten, gar symbolisch besetzten Klang-Formen, mit denen man aber Deutungskraft erlangen kann. Von narrativer Musik wie etwa Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ hält sich Czernowin mit ihren splittrigen und arbiträren Formen ebenso fern wie von konventionellen Opern (Weinbergs „Passagierin“ etwa) oder der minimal-artigen Struktur kühler Klang-Dramaturgie (Steve Reichs „Different Trains“).

Entsprechend groß war die Kommentarbedürftigkeit der „Pnima“-Klang- und -Handlungswelt, zumal man in Darmstadt die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Israel und den Umgang damit ebenfalls „...ins Innere“ bringen wollte. Der 7. Oktober und seine Folgen waren nämlich der Anlass, weshalb das Stück kurzfristig von Intendant Karsten Wiegand, der auch Regie führte, in den Spielplan aufgenommen wurde. Für das Regieteam offensichtlich ein Spagat, denn schon auf der Eintrittskarte wurde ein Hinweis gegeben, was die Positionierung des Publikums auf der Hinterbühne mit dem Blick auf den leeren Zuschauersaal bedeuten soll: nämlich die „riesenhafte Lücke, die all die Ermordeten hinterließen“. Die Einführung zum Stück, auf die mehrfach hingewiesen wurde, fand ebenfalls im Großen Haus statt, was sie fast zu einem Bestandteil der Aufführung machte – zu erklärende Aussagekraft.

Der einzige künstlerische Hinweis auf die Aktualität des Ganzen schien eine Rave-Gruppe junger Leute zu sein, die anfänglich unter Stroboskop-Licht zwischen Tanz und Tödlichkeit körpergestisch agierten. Szenisch ging es in den drei Teilen dann aber, eher abgelöst davon, um die Situation an einem Rednerpult offiziöser Natur, wo der Patriarch, gerahmt von seinen Söhnen, dominierte. Der Mittelteil, eine Art säkularisierter Sederabend mit Brot und Rotwein sowie flüchtigem Lesen in den Schriften zum Fest. Hier begannen Verwerfungen zwischen der Generation der Altern und den Kindern oder Schwiegerkindern mit einem Hauch „Geschlossene Gesellschaft“ und „diskretem Charme der Bourgeoisie“.

Der letzte Teil mit Projektion jenes die Lücke bildenden Publikums ins leere Auditorium zeigte die sich in verschiedene Richtungen verlierende Dissoziation der Akteure inklusive der wieder kurz auftauchenden, jetzt nicht tanzenden Rave-Gruppe.

Die Musik konnte sich, trotz der knappen und unsentimentalen Interaktionen auf der Bühne nur selten behaupten; sie spielte eher die Rolle eines atmosphärischen Mediums gleich dem Licht, das genau und mit ästhetischem Reiz mehrfach eingesetzt wurde. Die musikalische Qualität der Solistinnen und Solisten sowie der Streichergruppe des Staatsorchesters unter Leitung Richard Schwennickes war ausgezeichnet; die Vokalpartien in ihrer textlosen aber sonographischen Dimension markant gesetzt.

Staatstheater Darmstadt: 29. Februar, 28. März. www.staatstheater-darmstadt.de

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