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Halldóra Ósk Helgadóttir (li) und Olivia Delauré (als die Schwestern Ida und Adele). Foto: © Ida Zenna

Halldóra Ósk Helgadóttir (li) und Olivia Delauré (als die Schwestern Ida und Adele). Foto: © Ida Zenna

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Sternstunde genderkorrekter Frivolität: Peter Lund inszeniert „Die Fledermaus“ an der Musikalischen Komödie Leipzig

Vorspann / Teaser

Ideal. Alle Zeichen standen in der Musikalischen Komödie sieben Wochen vor dem 150. Jahrestag der „Fledermaus“- Uraufführung (5. April 1874 im Theater an der Wien) auf Sternstunde. Peter Lund ermöglichte einen sinnlichen wie minimal bösen Komödienknaller, das Orchester des Hauses Dreilinden im Leipziger Westen unter Tobias Engeli glänzte. Mit Friederike Meinke als Rosalinde, Olivia Delauré als Adele und Jeffery Krueger als Eisenstein an der Spitze präsentierten sich alle Kräfte des Hauses in Höchst- und Bestform. 

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Ein nur halber „Fledermaus“-Erfolg wäre an einem der wenigen Repertoiretheater für Operette und Musical eine Katastrophe und eine nicht auszudenkende Pleite. Denn die Operette aller Operetten ist Daseins- und Legitimationsgrund für den Bestand dieser Theater. Bei der „Fledermaus“, der Myriaden von Routinevorstellungen nicht am Lack kratzen konnten, geht es für die MuKo um’s Ganze, weil alle Kräfte des Hauses beweisen müssen, dass sie in diesem Repertoire stilistisch und souverän das Metier besser beherrschen als eines der anderen über 80 deutschen Opern- und Musiktheater-Ensembles. 

Eine Glückskomponente kam bei der Leipziger „Fledermaus“-Premiere erfreulicherweise zur anderen. Nach mehreren Spielzeiten ohne Neuproduktionen einer großen Wiener Operette mit deren genrespezifisch hohen musikalischen Anforderungen bewies das Orchester der Musikalischen Komödie unter Tobias Engeli, dass es in diesem Repertoire nahezu konkurrenzlos ist. Alle Feinheiten von Johann Strauß’ aus dem Tänzerischen aufschießenden Melodien waren zu hören. Stimmen, Temperamente, toppsichere Pointen beflügelten sich aus dem Orchestergraben und von der Bühne. Nicht zuletzt zeigte das Publikum im ausverkauften Haus extrovertierte Fest- und Feierfreude. Man amüsierte sich mit spendierfreudiger Applaus-Beseligung, wie sie am Haus nicht allzu häufig ist. Regie, Bühne, Kostüme ergänzten sich ideal und machen wahrscheinlich, dass diese „Fledermaus“ mitsamt ihrer wenigen, dabei wohltuenden Schärfungen sich lange im Repertoire halten wird. 

Peter Lund, selbst bestens erfahrener und zeitgemäß optimierender Autor für Komödie, Musikalisches Lustspiel und Musical, wahrte genau die Contenance zwischen Respekt vor der perfiden bürgerlichen Komödie Richard Genées nach dem Lustspiel von Meilhac und Halévy, in der sich alle gegenseitig bluffen und bluffen lassen (müssen) – mit listiger, aber nicht überzogener Ernsthaftigkeit. Vom Wiener Börsenkrach und Komödienklischees aus dem 19. Jahrhundert, von Gründerzeit-Mief und abgestandenen Lebemann-Witzchen muss man in dieser Inszenierung der „Fledermaus“ nichts wissen, obwohl einige Pointen zwischen „Damenührchen“ und „Do-do-do-do-dort!“ wie frisch poliert gesetzt wurden. Coup sind schon die Kostüme von Daria Kornysheva, welche das Stück in ein phantastisches mittleres 20. Jahrhundert versetzen, fast schon wieder historisch sind und wie die großen Fernsehshows früher einen Eskapismus feiern, den Thomas Pigor in den für „Gefängnisdiener“ Frosch eingelegten Couplets als typisch „Lebende Operette“ verherrlicht. 

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Ensemble und Chor der Musikalischen Komödie. Foto. © Kirsten Nijhof

Ensemble und Chor der Musikalischen Komödie. Foto. © Kirsten Nijhof 
 

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Beim Ball des Prinzen Orlowsky erscheint der von Mathias Drechsler auf solistische Perfektion hoch getrimmte Chor als Bestager-Lemur*innen und amüsierwütige Meute, die dem Zahn ihrer verlorenen Zeit mit Sonnenbrillen, viel Strass, Klunkern und formidablen Edelroben trotzt. Es bleibt in von Ulrike Reinhard in Schwarz-Gelb gehaltenen Interieurs mit Fadenvorhang, gemalten Häusern und Taxis, dazu gut bespielbaren Stühlen, langer Tafel und offener Polstergarnitur aber nicht beim Kostümstück. Lund zeichnet Situationen und Ausfluchtversuche schneidend. Er erarbeitete mit allen leicht angeschrägtes wie entwicklungsfähiges Bewegungsmaterial, was die Figuren aus dem 19. Jahrhundert in eine prächtig stimmige Zeitlosigkeit hineinwachsen lässt. In diesem Ambiente sitzt die Angst vor „sexuellen Übergriffen ohne gegenseitiges Einverständnis“ ab der Pause immer tiefer. Eisenstein wird am Ende das Lachopfer des feierhungrigen Luxuspöbels. Prinz Orlowski bildet in dem Ambiente, das sein Vergnügen mehr arrangiert als mit echter Herzlichkeit empfindet, eine skurrile Spitze echter Autorität: Schwerkrank mit Glatze, etwas Dope und einer schon destruktiven Lust am Glamour. Nora Steuerwald ist eher und im besten Sinne Soubrette vom alten Schlag als Bravour-Mezzo, was der Figur auch musikalisch etwas porös Schnittiges und misanthropisch Verletztes gibt. Orlowsky als Dolchstoß in eine keineswegs nur glatte Bravour, in der das graue Dienstbotenpersonal übrigens kräftig mitfeiern darf. 

Langjährige Ensemblesterne der MuKo und brillante Neuzugänge ergeben einen fulminanten „Fledermaus“-Cast de luxe. Sich bewegen, tanzen und sprechen können sie alle glänzend. Lund gibt jeder Figur ein charakterisierendes Bewegungsfutter, was die Darsteller füllen können und sie perfekt durch den Abend schweben lässt. Jeffery Krueger ist in der männlichen Hauptpartie des Eisenstein ein sängerischer und mimischer Luftikus vom Feinsten. Michael Raschle macht den Gefängnisdirektor Frank zu einer Bürofuzzi-Nummer wie aus einer frühen Inszenierung von Christoph Marthaler, als der noch richtig gut war. Adam Sanchez gibt als Alfred einmal mehr einen virilen Tenor mit Sonnenbrille, Stentor- und Herztönen – ein ewiger Sonntagsknabe mit unendlich viel ‘Glück bei den Frauen. Halldóra Ósk Helgadóttir als Ida wurde durch die Dialogfassung ordentlich aufgewertet und zeigt auf ihre Chancen im Showbiz einen glasklaren Blick. Ivo Kovrigar als Falke mit Lagerfeld-Zopf lässt noch offen, ob er sich zum feinen Edelbariton oder Musical-Beau oder beidem entwickeln will. 

Zum Überflieger aber wird der Abend durch die beiden Frauen-Hauptpartien. Beide haben das Sexappeal früherer Operettendiven in sich und transformieren dieses ironisch wie lustvoll einmalig, zweideutig, vielschichtig in die heutigen genderkorrekten Verhältnisse. Olivia Delauré liefert die Pointen von der „alten, kranken Tante“ knochentrocken und dabei ihre Gesangsnummern mit gewitzter Brillanz. Den Kick in die Inkommensurabilität heutigen Sittenlebens, in dem Koketterie zugleich dirty sein sollte und clean sein muss, gelingt ihr überdies. In der erklärtermaßen komplizierten Partie der Rosalinde geht ein neuer Stern am Operettenhimmel auf. Friederike Meinke ist frivoles Salonfrüchtchen mit der Stimme eines Engels von hellem Timbre, rasanter Strahlkraft und vulkanischen Spielkräften gegen falsche Klischees. Es wäre toll, wenn der prickelnd-perfide Geist dieses durch Lunds Spielform quicklebendigen Operettenklassikers im Repertoire noch lange lebendig bleibt. 

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