Zu viele Bilder

Wolfgang Amadeus Mozart: Idomeneo

Theater:Oper Köln, Premiere:17.02.2024Regie:Floris VisserMusikalische Leitung:Rubén Dubrowsky

Der Oper Köln gelingt eine musikalische Wiedergabe von Mozarts „Idomeneo“ auf hervorragendem Niveau. Die Inszenierung von Floris Visser erschöpft sich allerdings im Zeigen und Erklären.

Warum spielt man dieses Stück, Mozarts „Idomeneo“, heute auf der Theaterbühne? Der König Idomeneo reist nach dem trojanischen Krieg nach Kreta zurück. Ein Unwetter, von dem Gott Neptun ausgelöst, zwingt ihn, seinen Sohn Idamante zu opfern. Der lebt, als Stellvertreter seines Vaters, in Kreta, liebt Ilia, eine gefangene, trojanische Prinzessin und wird selber geliebt, von Ilia – und von Elektra, die sich im Exil befindet. Nach vielen Wirrnissen macht der abwesende Gott Idamante und Ilia schließlich zum Königspaar.

„Der Gott der Aufklärung und des Humanismus verlangt keine menschlichen Opfer mehr, sondern verantwortungsvoll handelnde Menschen“, schreibt der Dramaturg Stephan Steinmetz richtigerweise im Programmheft. Es ist also eine Geschichte von gestern. Warum also trägt Idamante in der Inszenierung von Floris Visser einen Anzug, warum trägt der Hohepriester des Neptun einen Priesterkragen (Kostüme: Gideon Davey)? Verkleinert das nicht die Figuren? Ist das alles eine Art Gleichnis? Also doch vergleichbar?

Viel Betrieb auf der Bühne

Es beginnt vor der Ouvertüre, ein alter Mann wird eingesperrt in eine weiße Zelle und malt Männchen mit Dreizack. Er spukt immer wieder über die Szene, eine Felsenlandschaft (Bühne: Frank Philipp Schlößmann). Genau wie „das Trauma“, ein schreitender Mann mit Brille und einer Axt. Vielleicht ist er das Unbewussste an sich, vielleicht ein Kriegstrauma, vielleicht auch Idomeneos persönliches Trauma. Dazu ist viel Betrieb auf der Bühne, da wird erklärt und gezeigt: Wenn Elektra erscheint, steigen ihre toten Familienmitglieder aus einem Grab. Wir wissen, sie ist Opfer eines Familienfluches. Wenn wir das nicht wissen würden, können diese Bilder uns das auch nicht erklären.

Wenn Idamante eine Arie singt, sieht man, wie er als Kind mit seinem Vater schwimmen geht – bis der Vater zum Krieg abgeholt wird, zum Krieg in Troja. Er kann sich, warum auch immer, nicht vom Sohn verabschieden. Wir staunen, aber wir hören nicht mehr zu. Ausgerechnet während Elektras letzter Arie tritt ein Zombie-Ballett auf. Dabei ist Elektra eigentlich nicht gezeichnet vom Krieg. Was die Figur in Vissers Inszenierung ein wenig spannungslos erscheinen lässt, wie Idamante auch. Der muss viele Choristen begrüßen, immer wieder. Weil ein König das macht? In welcher Zeit? Spannend ist die Beziehung zwischen Idomeneo und Ilia, den Opfern des Krieges, das ist genau gearbeitet.

Was Krieg und Trauma bewirken, hören wir intensiver

Was Krieg und Trauma bewirken, hören wir intensiver. Vor allem in Idomeneos großformatiger Arie „Fuor del mar“. Sebastian Kohlhepp lässt uns tief in die Seele seiner Figur schauen. Die Koloraturen sind eher seelische Entäußerung als exakte Wiedergabe des Notentextes, sie erreichen uns. Hier ist kein Theater nötig. Diese Momente, etwa das berühmte Quartett oder Elektras Schlussarie (trotz Zombies) ergreifen das Publikum spürbar.

Ana Maria Labin bündelt viele Energien für ihren sozusagen sauber unruhig lodernden Gesang, Anna Lucia Richter und Kathrin Zukowski als Idamante und Ilia singen innig, mit viel Rundung. Alle vier sind Rollendebütanten, alle vier haben eine tolle Rolle für sich gefunden und passen sehr gut zusammen. Der Chor singt schlank und genau. Das groß besetzte Gürzenich Orchester unter Ruben Dubrovsky hat im ersten Akt ein paar Probleme in Tempo und Zusammenklang. Aber der federnde, farbige, nuancierte Klang erfreut die ganzen dreieinhalb Stunden bis zu den Schlusstänzen.

Es geht in „Idomeneo“ heute vor allem – um die Musik. Die ist einzigartig in ihrer Zwitterstellung zwischen italienischer und französischer Oper, zwischen Barock und Klassik. Und die Bühne hat die Aufgabe, wahrscheinlich, das alles hörbar zu machen, vielleicht sogar: zu dienen. Eine Reizüberflutung wie in der Kölner Inszenierung von Floris Visser hilft diesem zerbrechlichen Stück nicht.