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RHYTHMUS DER ZEIT - "Nixon in China" von John Adams in der Staatsoper Stuttgart

am 18.2.2024 in der Staatsoper STUTTGART

Regisseur Marco Storman inszeniert diese Minimal-Music-Oper als Revue über die Macht der Bilder, wobei sich die gesellschaftlichen Systeme in raffinierter Weise überlagern (Bühne: Frauke Löffel; Kostüme: Sara Schwartz; Kostüme: Alexandra Morales). Im Mittelpunkt steht der Staatsbesuch Richard Nixons bei Mao Tse-tung. Adams wollte eine heroische Oper über moderne Mythen schreiben, was ihm durchaus gelungen ist.

 

Copyright: Matthias Baus

In einem Toast verleiht Chou En-lai der Hoffnung Ausdruck, dass der Staatsbesuch den Beginn eines brüderlichen Miteinanders der USA und Chinas markieren werde. Auch Nixon ist in Hochstimmung. Die Firstlady Pat Nixon bricht am nächsten Morgen im zweiten Aufzug zu einem Sightseeing-Programm in Peking auf. Die Eindrücke einer fremden Stadt überlagern sich   mit Erinnerungen an ihre Kindheit, was die Inszenierung recht überzeugend einfängt. Noch eindringlicher gestaltet ist die abendliche Aufführung der kulturrevolutionären Muster-Ballett-Oper "Das Rote Frauenbataillon" von Maos gefürchteter Frau Chiang Ch'ing. Darin geht es um einen ausbeuterischen Gutsbesitzer, der ein armes Bauernmädchen gefangen hält und quält. Es gelingt ihr, zu entkommen. Auf der Flucht wird sie jedoch vom Gutsbesitzer fast zu Tode gepeitscht.

In raffinierten Bildern mit Film-Sequenzen folgt dann die fast groteske Glorifizierung von Madame Mao. Im dritten Akt wird der letzte Abend des Staatsbesuchs zu einem reizvollen Kammerspiel, bei dem der Dirigent Andre de Ridder auf der Bühne agiert und ein unsichtbares, vom Band eingespieltes Orchester leitet. Der Euphorie folgt die Ernüchterung zwischen Rauch und geheimnisvollen Pferdeköpfen. Man sieht in einer Filmaufnahme den US-Präsidenten Richard Nixon und hört dessen Stimme. Und die Protagonisten verlieren sich in Erinnerungen an die eigene Vergangenheit.

Die Inszenierung von Marco Storman möchte sich ganz bewusst von der Uraufführungsinszenierung von Peter Sellars lösen. Man trennt sich von der Eins-zu-eins-Bebilderung und denkt eher über ein Konglomerat aus verschiedenen Bildwelten nach. Gittergerüste fahren herab, was irgendwie monumental wirkt. Rein musikalisch hat die Musik von John Adams  einiges zu bieten, was das Staatsorchester Stuttgart unter der impulsiven Leitung von Andre de Ridder eindringlich zu Gehör bringt. Ganz am Anfang fühlt man sich stark an Philip Glass erinnert. Es folgten harmonische Aufgänge auf der a-Moll-Tonleiter. Damit wird der Rhythmus der Zeit eingefangen. Man spürt, wie weit sich der Minimalist John Adams von der Technik des Serialismus entfernt hat. Neben Einflüssen afrikanischer Polyrhythmik sind asiatische Musiziertechniken und mittelalterliche Kompositionsweisen herauszuhören.

Am Ende des zweiten Aktes ergeben sich sogar versteckte Assoziationen zu Leos Janacek. Hollywoodklischees werden im zweiten Akt harmonisch originell auf die Spitze getrieben. Kurz nach Sonnenaufgang beginnt die Oper - und kurz vor Sonnenaufgang endet sie. Das Werk beginnt rein musikalisch sehr minimalistisch, um dann eher melodiös zu werden. Die harmonische Veränderung ist erstaunlich. Und der von Bernhard Moncado wieder sorgfältig einstudierte Staatsopernchor sorgt auch auf der Empore für packende akustische Höhepunkte. Loops verstärken die meditative Stimmung. Die "metric modulations" sind bei Andre de Ridder und dem Staatsorchester Stuttgart überall präsent. Das gilt auch für den dynamischen Spannungsbogen. Der gleichmäßige Puls von Achtelnoten  erinnert an einen Zweiertakt. Das gleiche Motiv klingt durch Taktwechsel wie ein Dreiertakt. Strawinsky und die Spätromantik stehen hier ebenfalls Pate.

Die Sänger bieten allesamt eine ausgezeichnete Leistung. Matthias Klink überzeugt mit einer grandiosen Gestaltung der eminent anspruchsvollen Kantilenen des Mao Tse-tung, während der zuletzt sogar im Publikum präsente Michael Mayes als Richard Nixon dazu einen hervorragenden stimmlichen Kontrast bietet. In weiteren  Rollen fesseln und faszinieren Darwin Prakash als Chou En-lai, Shigeo Ishino als Henry Kissinger, Ida Ränzlöv als Nancy T'ang (First Secretary to Mao), Deborah Saffery (Second Secretary to Mao), Leia Lensing (Third Secretary to Mao), Katherine Manley als fulminante Pat Nixon und Alina Adamski als furiose Madame Mao Tse-tung.

Hier verschiebt sich allmählich der Blick auf die Bilder. Vergangenheit und Gegenwart gehen nahtlos ineinander über. Es sind keine realistischen Räume. Das Publikum feierte das gesamte Ensemble lange und ausgiebig mit Jubel und "Bravo"-Rufen.
 

 

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