Der Teufel stirbt auf dem Sofa: „Tosca“ an der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper Berlin/Saalansicht/Credits: Staatsoper Unter den Linden / Marcus Ebener

„Shabby little shocker“, zu deutsch „schäbiger kleiner Schocker“ nannte der Musikologe Joseph Kerman Puccinis Melodrama Tosca und bezog sich damit auf die Handlung. Mag sein, mag sein – doch eine Oper, die im Spielplan regelmäßig Spiel, Spaß, Spannung und Messermord verspricht, möchten sowie düster-morbide gesinnte Thrillerfans sowie musikalische Verismo-Freunde selten missen. Die Inszenierung ist vielleicht entbehrlich – die Besetzung der Wiederaufnahme allerdings keinesfalls. (Besuchte Vorstellung am 01.03.2024)

 

Die Inszenierung von Alvis Hermanis, 2014 erstmals im Schillertheater aufgeführt, verlegt die Handlungsepoche ohne Bezugnahme auf den Zweck dieser Idee um knapp hundert Jahre in die Zukunft. Das eher spartanisch gehaltene Bühnenbild spart sich einige Schwierigkeiten ein – die Kapelle der Attavanti wird architektonisch nicht angedeutet und ist einzig hinter einer Biegung des vorderen Bühnenbilds zu vermuten – weshalb sich der Gedanke einschleicht, dass man prinzipiell dem Bühnenumbau und nur zweitrangig dem Werk nicht im Wege stehen wollte. Stattdessen setzt die Inszenierung auf Aquarelle, projiziert auf eine Leinwand oberhalb des Geschehens, die gleichzeitig die Geschichte in der Originalepoche illustrieren und zunächst als Cavaradossis Leinwand in der Kirche Sant’Andrea della Valle dient. Das ist immerhin verträglich, wenngleich nicht notwendig; einzig schade bleibt, dass das im Übrigen sehr eindrucksvolle Bild der Magdalena im ersten Akt gelegentlich anderen Aquarellen weichen muss. Überhaupt weicht die Inszenierung erstaunlich häufig und meist unbegründet – Budgetgründe und Gründe der Bühnengröße einmal ausgeschlossen – von den besten Anweisungen des Librettos ab. Unangenehm fällt das vor allem am Ende in einer völlig sturzfreien und versehentlich tragikbefreiten Selbstmordandeutung auf; an anderen Stellen dagegen bietet Hermanis ganz unerwartet griffige Bilder. Mangels nachgebauter Engelsburg späht der Zuschauer im dritten Akt teilweise in Cavaradossis Zelle; der erschöpfte Mann kriecht während des orchestralen Vorgeschmacks auf „È lucevan le stelle“ über den Boden seines Kerkers und schleicht schließlich wie ein getretenes Tier aus der geöffneten Tür. Das Bühnenbild schreit in seiner Zweidimensionalität nach Schauspiel auf engem Raum, die Personenregie leistet immerhin Folge: Cavaradossi, halb ohnmächtig, stürzt nach seiner Folter über Scarpias Schreibtisch und verschüttet sämtlichen Rotwein über den weißen Ärmeln des Barons, sehr zu dessen Ärger. Die letzte Freundlichkeit des Gefängniswärters (Taehan Kim), der dem Verurteilten ein großes Blatt Papier und einen Schulterschlag für seine Abschiedsworte reicht; Tosca, die den Baron mit „Vedi, le man giunte io stendo a te…“ anfleht, er zieht sich währenddessen seelenruhig auf dem Sofa seine Weste aus und knöpft sich schon mal das Hemd auf – kleine Gesten und gezielter Augenkontakt gehen schlussendlich doch nadelgleich unter die Haut.

Was die Inszenierung der Geschichte also größtenteils nahm, krallt sich währenddessen das Dirigat: italienische Grandezza tönt aus dem Graben. Mit Einsatz und Verve und nicht zu hastigen Tempi geht Andrés Orozco-Estrada die Partitur an, dem Klang drohenden Unheils keinesfalls abgeneigt und mit deutlicher Vorliebe für Puccinis große Akkorde. Gerade im zweiten Akt kommen dabei die Sänger auf ihre Kosten: eine geordnete Ausspielung der Dialoge macht sich bemerkbar, die sonst im Galopp geschehen, ohne ins Manierierte zu verkommen – zu Gunsten aller Beteiligter.

Maria Agresta/ Foto (c) Alessandro Moggi

Maria Agresta als Titelheldin gibt mit geschmeidiger Stimme eine ernste Künstlerseele, verletzlich in ihrer Eifersucht und zuletzt mit verbissener Stärke. Das „Vissi d’arte“ gelingt angemessen schön, doch blüht Agresta ungewöhnlicherweise musikalisch vor allem in den zahlreichen Dialogen auf, die häufig Gelegenheit zu kluger Modulierung der Stimmfarbe bieten: „Non so nulla“ gerät düster und trotzig eingefärbt, ihre letzten Worte „avanti a Dio“ gleißen in den Ohren. Mangels italienischem Lokalkolorit, Scarpias Ermordung auf seinem eigenen Sofa und einer in die Ferne gerückten Religiosität entfällt Toscas Geste, dem erstochenen Scarpia zwei Kerzenleuchter rechts und links dem Kopf zu platzieren und ein Kreuz auf die Brust, doch Agrestas stumme Darstellung einer Frau, die um ihre Fassung ringt, nachdem sie bis zum Äußersten ging, macht das wett. Michael Fabianos Cavaradossi erscheint als selbstbewusster Charmeur, der den Mesner mit einem gewissen Genuss herumkommandiert und mit mühelos schwingender, blitzend polierter Stimme auftrumpft. Auch ihm gelingen geschickte Einfärbungen, ein „Nego!“, das in seiner Anspannung doch seine Schuld verrät, ein „È lucevan le stelle“ gesungen wie ein todgeweiht Halluzinierender, mit plötzlicher, fesselnder Weichheit angesichts Bildern, die nur in seinen Sehnsüchten erscheinen. Der begrüßenswert zweifelhafte Charaktereinschlag seiner Darstellung verleiht dem Paar eine Ebenbürtigkeit, die sich entfernt von der häufig gesehenen „harmloser Malerfreigeist mit lästig-eifersüchtiger Geliebten“-Dynamik: sie eifersüchtelt, und das keinesfalls unbegründet, sein wanderndes Auge ist offensichtlich und seinem Charme nicht immer zu trauen. Und am Ende? Steht beiden angesichts seines Scheintods die Angst ins Gesicht geschrieben – vor allem ihm.

Christopher Maltman © Pia Clodi

Das Ungeheuer des Abends, Christopher Maltman in seinem Rollendebüt als Scarpia, grollt und donnert mit Vorliebe im Sitzen, wahlweise hinter seinem Schreibtisch oder dem Opfer seiner Begierde nachschleichend, die Augen raubkatzenartig fest auf Selbiges geheftet mit einer inneren Anspannung und Selbstkontrolle, die seine gesanglichen Fähigkeiten nicht im Geringsten beeinträchtigen. Ein Mann, der den Hass und die Angst seiner Opfer genießt und seine eigene seelische Hässlichkeit noch mehr – „Come tu mi odi“ geschieht leise, halber vermischt unter einem glucksenden Lachen, die vorangegangene Drohung, Cavaradossi erhängen zu lassen, ehe eine höhere Macht Gnade walten lassen könnte, ebenso genüsslich gehaucht.

Die kleineren Partien glänzen erfreulicherweise ebenfalls, allen voran der Mesner (Jan Martiník), der mit flexibler Stimme einen einfältig-pflichtbewussten Mann mit langer Miene gibt und sich höchst geschickt ins „Recondita armonia“ einfügt. Friedrich Hamel als Angelotti, hinkend und zusammengekrümmt wie angestochen, wirkt für die Rolle zwar jung, dennoch stimmlich vielversprechend. Scarpias ungemütliche Mannen Sciarrone (Dionysios Avgerinos) und Spoletta (Johan Krogius) in braunen Melonenhüten erscheinen halber surreal – allen voran Spoletta, der mit hellem Tenor und Nasenzwicker stets an die Grenze zwischen komisch und sinister schleicht.

Am Ende schallt – zu Recht – langer Applaus. Leidet die Inszenierung doch zuletzt an einer deutlichen Übersaturierung durch braune Herrenanzüge, möge manch einer das römische Flair vermissen (oder vielleicht den Katholizismus), bleibt musikalisch nur noch eins zu sagen: aufnehmen, bitte.

 

 

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