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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa

Suizid ist kein Liebesbeweis

(Frankfurt am Main, 22.3.2024) Alternder Herr heiratet blutjunge Frau: Dem über Jahrhunderte variierten Lustspielsujet gewinnt Wolfgang Fortner in seiner Oper „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ nicht nur Zwölftonreihen ab, sondern eine erhellende Tiefenpsychologie, die Regisseurin Dorothea Kirschbaum dankbar nutzt.

vonMichael Kaminski,

Don Perlimplín ist, was einstmals Hagestolz genannt worden wäre: ein Mann in fortgeschrittenen Jahren, unverheiratet und wohlhabend. Dass der alternde Herr sich entschließt, eine blutjunge Frau zu heiraten, gehört seit der frühen Neuzeit zu den gängigsten Lustspielsujets. Federico García Lorca, auf dessen Schauspiel Wolfgang Fortners 1962 in Schwetzingen aus der Taufe gehobene Oper „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ fußt, serviert anfänglich diese effektsichere Komödienkonstellation. Regisseurin Dorothea Kirschbaum zieht daraus an der Oper Frankfurt reichlich Profit.

Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt

Don Perlimplín scheut sich vor den eigenen Begehren

Don Perlimplín liebt Bücher und deren akkurate Aufstellung. Letztere will ihm ganz und gar nicht gelingen. Wie sehr sich der Bücherfreund auch um Ordnung bemüht, immerfort stellen sich die Scharteken quer oder purzeln gar aus dem Regal. Doch gerät seine Welt noch weitaus existentieller aus den Fugen. Denn Don Perlimplín scheut sich gleichermaßen vor seinen eigenen erotischen Begehren wie vor denen der jungen Angetrauten. Über das Brautlager breiten gnädige Kobolde ein Riesenlaken des Schweigens. Bei Sonnenaufgang freilich langweilt sich die schöne Belisa im Ehebett, während der Gemahl der morgendlichen Stimmung Poesie abzugewinnen versucht. Dorothea Kirschbaum taucht die bedrückende Situation in Ärgstes verheißende Tristesse. Der äonenweite Abstand Don Perlimplíns zu Belisa ist mit Händen zu greifen.

Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt

Nur Musiktheater kann Lorcas Drama beglaubigen

Was folgt, vermag einzig durch Musiktheater beglaubigt zu werden. Guten Grundes durfte daher Fortner vermuten, Lorca habe es von Anbeginn darauf abgesehen, dass ein Tonsetzer sich seines Schauspiels annehmen werde: Der frustrierte Gatte ersinnt einen vermeintlich jungen Liebhaber für die Gemahlin. Um ihre Appetenz auf das Objekt der Begierde zu lenken, genügt – pars pro toto – ein roter Mantel als Schlüsselreiz. An den tiefenpsychologischen Symbolwert des Kleidungsstücks ließe sich eine ganze Dissertation knüpfen. Wie nun Don Perlimplín die Gemahlin förmlich auf den fiktiven Galan ansetzt, ja hetzt, gewinnt in Kirschbaums Sicht das Pathologische einer Zwangshandlung.

Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt

Scharfer Verstand und Mystik

Fortners glasklare, geradezu kristalline Faktur zieht sich beinahe auf die Beobachterposition zurück. Die emotionalen Werte erweisen sich auf das Unerlässliche gedrosselt. Don Perlimplín erwächst musikalisch aus einer Zwölftonreihe, Belisa aus einer zweiten. Die Partitur nimmt ferner vorsichtige Anleihen bei Messiaen. Auch haftet eingängige Rhythmik bis hin zum Marsch im Gehör. Eine ganz andere Dimension mischt sich mit einem unsichtbaren Kammerchor ins musikalische Geschehen. In Frankfurt lediglich vom Band abgespielt, tönt aus ihm geisterhaft und mystisch, was sich verstandesmäßigem Erfassen entzieht. Denn ohne faszinierend-irrationales Element dürfte der Showdown des Werks allenfalls Kopfschütteln auslösen: Während eines Eifersuchtsanfalls ersticht Don Perlimplín den Kavalier im roten Mantel, mithin das Objekt der Begierde seiner Gemahlin. Der vorgebliche Nebenbuhler aber ist niemand anderer als er selbst, der im Kostüm des Verführers umherschlich.

Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt

Regisseurin Kirschbaum entlarvt in Perlimplín final den eitlen Selbstdarsteller. Der Suizid dient ihm als Liebesbeweis, kraft dessen die Gemahlin moralisch mindestens so alt aussehen soll, wie er an Jahren zählt. Bei Kirschbaum verweigert sich Belisa solch‘ emotionaler Erpressung. Der jungen Frau reicht es. Sie verlässt den Schauplatz. Für alles dies ersinnt Bühnenbildner Christoph Fischer eine begehbare Skulptur wie aus zerronnenem Wachs. Die Ursprungsgestalt mutet vage anthropomorph an, mindestens aber naturförmig. Die Anregung der suggestiven Szenerie durch Lorcas surrealistischen Landsmann und Freund Dalí ist am Tag. Henriette Hübschmanns Kostüme amalgamieren Heutiges mit vage in Richtung 19. Jahrhundert Historisierendem.

Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“ an der Oper Frankfurt

Zwölftonbelcanto

Takeshi Moriuchi plädiert mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester entschieden und hochkompetent für die Partitur des sogleich nach 1945 vom dodekaphonen Saulus zum Paulus bekehrten Komponisten. Kapellmeister und Klangkörper erschließen sensibelste Nuancen des eher intellektuellen denn sinnlichen Vergnügens. Das hat etwas von den Freuden einer gelungenen Vorlesung, aus der die Hörer förderliche Erkenntnisse mit nach draußen ins Leben nehmen. Das Ensemble auf der Bühne ist auf Schöngesang eingeschworen. Sebastian Geyer in der Titelpartie vereinbart seelische Verwerfungen mit der Noblesse des Kavalierbaritons. Für Belisa nimmt Karolina Bengtsson durch erotische Strahlkraft und wunderbar runde Tongebung ein. Mit warmem Mezzo gibt Karolina Makuła Perlimplíns Haushälterin Marcolfa.

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Fortner: In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa

Takeshi Moriuchi (Leitung), Dorothea Kirschbaum (Regie), Christoph Fischer (Bühne), Henriette Hübschmann (Kostüme), Jonathan Pickers (Licht), Gal Fefferman (Choreografie), Sebastian Geyer, Karolina Bengtsson, Karolina Makuła, Anna Nekhames, Idil Kutay, Ursula Hensges, Luciano Baptiste, Guillermo de la Chica Lopéz, Rouven Pabst, Evie Poaros, Mar Sánchez Cisneros, Vokalensemble (Aufnahme), Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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