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NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: ROMEO ET JULIETTE

Das Heil kann nur vom Sänger kommen

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Fotos: MetOpera

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino / Village Cinema Wien Mitte:
ROMEO ET JULIETTE von Charles Gounod
Übertragung: 23. März 2024 

Das Heil kann nur vom Sänger kommen

Wer viel Geld hat, der kann nach Salzburg fahren (und die Premiere der „Gioconda“ sehen), wer weniger Geld hat, kann ins Kino gehen und sich nach New York beamen lassen. In der Metropolitan Opera gibt es (per „die Met im Kino“) eine schöne Aufführung von Charles Gounods „Romeo et Juliette“. Und das mit zwei Sängern in den Titelrollen, die derzeit wohl die Spitzenbesetzungen  für diese Partien darstellen.

Nein, ich will mir bei Romeo und Julia nicht den Kopf über Hollywood und Sofia Coppola zerbrechen, nur weil das einer französischen Regisseurin eingefallen ist und sie jemanden gefunden hat, der sie das realisieren lässt – sprich, die Gounod-Oper in Tarantino-Manier durch den Regie-Fleischwolf zu drehen, so dass nichts, aber auch schon gar nichts davon übrig bleibt. Man hat es im Theater an der Wien erlitten, und das macht umso dankbarer für das, was man in der Metropolitan Opera zu sehen bekommt.

Man kennt die Inszenierung von Bartlett Sher, sie war 2017 schon im Kino, damals in einer Traumbesetzung mit Diana Damrau und Vittorio Grigolo, die man für unübertrefflich hielt. Dass die derzeitigen Sänger ähnliche Wirkung erzielen konnten, ist das größte Kompliment, das man ihnen machen kann.

Sher arbeitete historisierend, wollte nicht die Renaissance, sondern ein opulentes 18. Jahrhundert (ist ja keine Sünde, wenn Ausstattung und Kostüme schön sind), und arbeitete dabei sehr ökonomisch und mit oft tollen Effekten (nicht nur bei der Fechtszene, die szenisch wirklich zündet). Ein Platz in Verona als Einheitsbühnenbild, Julias Zimmer besteht daraus, dass über ein zentrales Podest ein großes weites Tuch gebreitet wird – und man geleitet  später die „tote“ Julia feierlich, während die Bühne mit Sarkophagen verstellt wird. Das ist schlicht und einfach Theaterverstand.

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Natürlich wird eine Inszenierung, die weder ein über das Stück hinaus zielendes „Konzept“ bietet noch wichtige „Fragen“ stellt (an der Met ist man derzeit sehr bekümmert darüber, dass Puccini für „Turandot“ und „Butterfly“ offenbar Asien-Klischees bedient hat), kopfschüttelnd als altmodisch verdammt. Aber ehrlich – hat man es dem Opernpublikum nicht längst abgewöhnt, dass der Text einer Oper irgendetwas mit dem zu tun haben muss, was man auf der Bühne sieht (die Musik ist sowieso meist zum unabhängigen „Soundtrack“ verkommen). Wenn hier in „Romeo und Julia“ alles stimmt, wenn das, was gesungen wird, auch passiert, real, psychologisch, im höheren Sinn auch, dann ist das – strafbar? Zumindest im Feuilleton. Wenn man die Geschichte einer großen Liebe bis in den Tod nicht glaubt, dann kommt wie im Theater an der Wien heraus, dass es um Drogen, Promiskuität und Autorennen geht…

Es war Max Reinhardt, von dem der Ausspruch stammt, das Heil könne nur vom Schauspieler kommen (und er war Regisseur!!!). Man kann das für die Oper gut und gerne dahingehend anwenden, dass das Heil nur von den Sängern kommen kann. Einzig die großen Leistungen entzünden die Begeisterung der Zuschauer, nur sie halten die Oper am Leben – wie lustlos schleppt man sich nach mittelmäßigen, uninteressanten Interpretationen nach Hause, ohne Animo, bald wieder zu kommen. Nun, an der Met kam das Heil mit Nadine Serra und Benjamin Bernheim. Wobei beide nicht nur mit ihren Stimmen prunkten, sondern ebenso als Darsteller. Auch das ist letztendlich eine unabdingbare Voraussetzung für die Lebendigkeit von „Oper“ – dass man den Menschen auf der Bühne glauben kann.

Nadine Serra ist nicht nur bildschön, sie hat eine stupende, potente Stimme, die mühelos Koloraturen, Triller, Spitzentöne erzeugt, als wäre es selbstverständlich, die ihren Gesang aber auch mit einer Intensität aufladen kann, dass man stellenweise sprachlos ist – etwa in der Szene, bevor sie das Gift nimmt. Diese Julia ist der Shakespeare’sche Inbegriff von Liebe, Hingabe, Zauber.

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Die Karriere von Benjamin Bernheim hat in den letzten paar Jahren raketenartig abgehoben, er konnte von sich schon lesen, er hätte die schönste Stimme seit Pavarotti und sei ein Stimmwunder. Das ist nicht so falsch. Tenöre mit solch total bestrickendem Timbre gibt es selten, dazu kommt eine makellose Technik, die er in all ihren Nuancen manchmal nahezu auszustellen scheint (man will ihm allerdings nicht Berechnung unterstellen – keinesfalls lässt er den Stimmvirtuosen, der er ist, penetrant heraushängen). Da ist es fast beruhigend, wenn ihm auch einmal ein winziger Wackler passiert… Wenn diesen Romeo die Leidenschaft auch nicht zerreißt (was die Leistung von Grigolo einst so bewundernswert  machte), so ist er doch von höchster  Eleganz  in Spiel und Erscheinung,  Er und Nadine Serra verkörpern das „falling in love“ dieser beiden Menschen geradezu unwiderstehlich, die Anziehungskraft strömt zwischen ihnen hin und her, Liebe, Glück, Verzweiflung, herzzerreißend der gemeinsame Tod – und dennoch, sie lachen auch dabei, weil sie wissen, dass keiner ohne den anderen leben könnte oder möchte… Das sind Emotionen, die Oper hervorrufen kann, aber das schaffen nur die Besten.

Der Rest der Besetzung wird von „braven“ (und mitunter auch schon ein bißchen in die Jahre gekommenen) Ensemblemitgliedern erfüllt, da gibt es außer dem zentralen Paar, auf das sich alles konzentriert, nichts weiter Bemerkenswertes.

Yannick Nézet-Séguin, der im Pausengespräch jede Oper, die er gerade leitet, als absolut größtes Werk anschwärmt (was irgendwie sympathisch ist), hat auch für den Franzosen die breite Palette zwischen schwelgerischer Liebe und Spannung, wie sie ja auch in der Story abwechselt (dass es gelegentlich Längen gibt, hat er sogar eingeräumt…). Übrigens unterlief ihm ein furchtbarer Lapsus: Bei der Erwähnung früherer Met-Besetzungen der Juliette nannte er auch den Namen „Anna Netrebko“ (was ja für Peter Geld so viel ist wie „die Leibhaftige“). Hoffentlich fliegt er wegen politischer Unkorrektheit nicht in hohem Schwung  aus seinem Job, was schade wäre. Denn er versucht in den großen Schuhen des großen James Levine wenigstens das zu erfüllen, was dieser immer tat und konnte, nämlich ein kompetenter Mann für alles zu sein.

Renate Wagner

 

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