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STUTTGART/ Staatsoper: DON CARLOS von Giuseppe Verdi. Macht als Verhängnis

08.04.2024 | Oper international

„Don Carlos“ von Giuseppe Verdi am 7. April 2024 in der Staatsoper/STUTTGART

Macht als Verhängnis

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David Junghoon Kim (Don Carlos; Olga Busuioc (Elisabeth). Foto: Martin Sigmund

In der Regie von Lotte de Beer steht das Thema Macht ganz im Zentrum des Geschehens. Ein gigantischer schwarzer Keil dreht sich immer wieder in geheimnisvoller Weise auf der von Christof Hetzer gestalteten Bühne, der auch für die Kostüme verantwortlich ist. Das verhängnisvolle Geflecht aus Machtbegehren und Freiheitsdrang, dem Spaniens Kronprinz Don Carlos verfallen ist, kommt hier grell zum Vorschein. Dabei trägt die herrschende Klasse weiße Kleidung – und sie unterdrückt mit Vorliebe Andersdenkende. Seine Geliebte, die französische Prinzessin Elisabeth, heiratet im Namen des Friedens seinen Vater Philipp II. Das Hier und Heute wird in dieser Inszenierung  stark hinterfragt. Carlos‘ Freund Posa stiftet ihn zum Widerstand gegen dieses autoritäre Regime an. Heimliche Regentin ist hier jedoch die  katholische Inquisition, die jeden Freiheitsgedanken erstickt. Carlos, Posa und Königin Elisabeth werden in diesem Getriebe der Macht gnadenlos zerrieben. Posa wird auf Befehl König Philipps ermordet und Don Carlos wird der Inquisition übergeben.

Die Balance zwischen Kammerspiel und Staatsakt gelingt in dieser schwarz-weißen Inszenierung trotz einiger Abstriche durchaus. Ein düsterer Wolkenhimmel leitet auch zu einem illustren Garten im Fontainebleau-Zauber der Königin im zweiten Aufzug über. Die Gefahrenpunkte der Macht werden hier immer wieder zentral angesprochen. Es geht dabei auch  um die Fortschreibung der Konflikte und Krisen der Jetztzeit – und außerdem um die fatalen Rückfallgefahren in die Vergangenheit. Daraus gewinnt diese Inszenierung ihre Spannung. Zentrale Szenen gibt es zwischen dem König und dem Großinquisitor, der von Philipp fordert, den rebellischen Sohn zu opfern. Alles habe zu schweigen, wenn es um den Glauben gehe. In der Höhe hängen bei dieser Szene Leichen, wobei eine unheimliche Atmosphäre entsteht, die dem König große Angst einjagt. Auch die Erkenntnis des Königs, dass Elisabeth ihn nie geliebt habe, erfolgt in Gegenwart seiner Frau im gemeinsamen Ehebett. Neben dieser weiteren starken Szene gerät die Auseinandersetzung zwischen Philipp und Don Carlos in dem Augenblick zu einem atemlosen Höhepunkt, als Don Carlos versucht, den Vater in einem Anfall von Verzweiflung zu töten. Das berühmte Autodafe mit den Scheiterhaufen für die Opfer der Inquisition vor der Madrider Kathedrale ist in ein modernes Ambiente verlegt worden und hat deswegen viel von seinen Schrecken verloren. Zuletzt erscheint noch der blutüberströmte Kaiser Karl.

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Diana Haller (Prinzessin Eboli). Foto: Martin Sigmund

Lotte de Beer hat sich entschieden, die historischen Fakten eher beiseite zu lassen und sich mehr auf Musik und Text zu konzentrieren. Das ist bei manchen Passagen mehr, bei anderen weniger gelungen. Insgesamt besitzt die Inszenierung jedoch elektrisierenden Zauber. Das Werk wird in der fünfaktigen Fassung gespielt, wo Elisabeth ganz am Anfang dem Volk begegnet. Musikalisch ist diese insgesamt packende Aufführung wie aus einem Guss. Valerio Galli leitet das Staatsorchester Stuttgart voll innerer Glut und Brio. Einzigartige Stimmungen werden so voll erfasst. Differenzierte Harmonik und feingliedrige Rhythmik kommen nicht zu kurz. Die kühnen Orchesterfarben blitzen immer wieder leuchtkräftig hervor. Und die mystische Stimmung der Anfangs- und Schlussszenen mit den psalmodierenden Mönchschören gewinnt eine starke Intensität. Der Trauermarsch des Autodafe besitzt dann ein gespenstisches Fluidum in düsterem Moll, dessen seraphisches Dur sich in einer Stimme vom Himmel (ausdrucksstark: Alma Ruoqi Sun) offenbart. Das Quartett nach der Schmähung der Königin besitzt packende Schlagkraft und Feuer. König Philipp in der eindringlichen Darstellung von Adam Palka sowie der Großinquisitor in Gestalt von Gianluca Buratto gewinnen bei dieser Aufführung ein überaus deutliches, fesselndes Profil, das sich immer mehr steigert. Als Seelengemälde von erschütternder Tragik gestaltet Adam Palka dann die große Szene des Königs zu Beginn des dritten Aktes in der Arie „Sie hat mich nie geliebt“. Tiefe Streicher und tiefes Blech beschreiben den furchterregenden Auftritt des Großinquisitors. Hervorragend singt Diana Haller die As-Dur-Kantilene der reueerfüllten Prinzessin Eboli „O meine Königin“. Hervorragend interpretiert Olga Busuioc vor allem Elisabeths letzte Arie mit dem berührenden Fis-Dur-Mittelteil sowie die Arie „Du, im irdischen Wahn einst befangen“ im ersten Akt. Ebenso berührend gestaltet sie Elisabeths kantable Phrase „Welch schmerzlich-süßen Gefühle erfüllen meine Seele“, die im vierten und fünften Akt erinnungsmotivisch wiederkehrt. Die Leitmotive arbeitet der Dirigent Valerio Galli immer wieder nuancenreich heraus. Den „Treueschwur“ interpretiert das Staatsorchester mit den Solisten ebenfalls sehr prägnant. Als Posa von Carlos den Degen fordert, hat Johannes Kammler als Marquis von Posa nochmals einen großen Auftritt. Posas Abschied gelingt hier als bewegende Cabaletta. Überragend ist auch der strahlkräftige Tenor David Junghoon Kim als Don Carlos, dessen Kantilenen leidenschaftlich strömen. Sein Zusammenbruch über der Leiche Posas gerät zu einer Glanzszene des Melodramma.  In weiteren Rollen überzeugen Michael Nagl als Mönch, Natasha Te Rupe Wilson als Page Elisabeths Thibault, Alberto Robert als königlicher Herold und Kyung Won Yu als Holzfäller. Sechs flandrische Deputierte werden von Sebastian Bollacher, Henrik Czerny, Daniel Kaleta, Malte Kebschull, Stephan Storck und Ulrich Wand fesselnd verkörpert. Die eindringliche Solo-Violine spielt Ingo de Haas. Lotte de Beer verknüpft in ihrer Inszenierung die Ballettmusik mit dem folgenden Autodafe. Dies wird in Gerhard E. Winklers „Pussy – (r) – Polka“, die hier das Finale der Ballettmusik ersetzt, in mehr als einer Hinsicht deutlich. Unter den Instrumenten sind Eisenketten und Polizeipfeifen, deren politische Weisen sich mit Polka-Klängen vermischen. Natürlich kann man darüber streiten, ob diese Einlage passend ist. Der Staatsopernchor Stuttgart sowie der Extrachor der Staatsoper Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol) bieten eine famose Leistung. Auch kriegerische Auseinandersetzungen spiegeln sich in der interessanten Kampfchoreografie von Ran Arthur Braun wider (Regie-Mitarbeit: Carmen C. Kruse, Maurice Lenhard).

Zuletzt gibt es Jubel für das gesamte Team.

Alexander Walther

 

 

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