KUBLAI KHAN - CUBLAI, GRAN KAN DE' TARTARI
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
4. April 2024
Premiere

Musikalische Leitung: Christophe Rousset
Inszenierung: Martin G. Berger
Bühne:  Sarah-Katharina Karl
Kostüm: Alexander Djurkov Hotter
Licht: Karl Wiedemann
Video: Roman Rehor

Les Talens Lyriques
Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner)

Kublai - Carlo Lepore
Lipi - Lauranne Oliva
Timur - Alasdair Kent
Alzima - Marie Lys
Posega - Leon Košavić
Orcano - Fabio Capitanucci
Bozzone - Giorgio Caoduro
Memma - Anna Quintans
Salieri (Sprechrolle) - Christoph Wagner-Trenkwitz


Zwangsoriginell
(Dominik Troger)

Antonio Salieris Oper „Cublai, gran Kan de‘ Tartari” ist 1788 wegen zensur-politischer Bedenken nicht (!) uraufgeführt worden. Die handschriftliche Partitur landete schließlich in der Österreichischen Nationalbibliothek. Dort wurde sie in den 1990er-Jahren aufgestöbert und für eine Aufführung beim Mozartfest Würzburg aufbereitet, wo die Oper 1998 in einer deutschen Fassung erstmals zur Aufführung gelangte.

Ein Interview auf der Website des Stretta Musikverlages erläutert die Hintergründe. Die Nationalbibliothek hat die Partitur inzwischen digitalisiert und man kann sie online abrufen. Dass das MusikTheater an der Wien jetzt den Anschein erweckt, es handle sich um eine Uraufführung, ist vor diesem Hintergrund ein wenig marktschreierisch, aber insofern nicht falsch, weil man sich auf die originale, italienischsprachige Fassung beruft – oder zumindest das, was in der „Spielfassung“ von Martin G. Berger und Philipp Amelungsen davon übrig geblieben ist.

Das Werk behandelt die chaotischen Zustände am Tartarenhof vom großen Khan Kublai – Salieris Librettist Giovanni Battista Casti hatte damit aber den russischen Hof unter Peter dem Großen im Auge. Weil sich Joseph II. damals in einem Bündnis mit Russland befand, stieß der satirische Witz Castis auf wenig Gegenliebe und die Oper verschwand in der Schublade. Die Klärung der Frage, ob es sich beim „Cublai“ wirklich um eine „Politsatire“ handelt und das Werk in diesem Sinn als Vorläufer Offenbachs gelten darf – wie ein Beitrag im Programmheft zur Aufführung nahe legt – muss Spezialisten vorbehalten bleiben.

Aus heutiger Sicht dürfte Casti viele Anspielungen gemacht haben, die  wahrscheinlich nur mehr historisch sehr versierte „Insider“ würdigen können. Und was Salieri betrifft, so hatte das Wiener Publikum in den letzten 20 Jahren einige Möglichkeiten, seinen Opern zu begegnen – meist in konzertanter Form. Szenisch wurde nur seine Bearbeitung des Falstaff-Stoffes 2016 im Theater an der Wien gespielt. In diesem Zusammenhang fällt mein vorsichtiger Ersteindruck eher verhalten aus: Salieris Musik zum „Cublai“ pflegt einen konventionellen, noch von barocken Formen beeinflussten Zeitstil;  man fühlt sich an den jungen Mozart erinnert;  in Erinnerung bleiben einem drei, vier Arien, wie jene der Alzima, von denen Diana Damrau sogar welche eingespielt hat. Eine konzertante Aufführung hätte allerdings bei Weitem  ausgereicht.

Es könnte natürlich sein, dass der ungünstige Gesamteindruck, den diese Produktion des MusikTheaters an der Wien bei mir hinterlassen hat, ein wenig den Blick auf das Werk  verstellt. Die Aufführung war mit rund drei Stunden und zehn Minuten (inklusive einer Pause) um gut eine Stunde zu lange. Die zwangsoriginelle „Spielfassung“ hat den Plot verkompliziert und aufgeblasen. Es war ein Abend mit „astronomischen“ Längen. Kein Wunder also, wenn die Pause schüchterne Tendenzen zur Publikumsabwanderung erkennen ließ, obwohl das Premierenpublikum des  MusikTheaters an der Wien in den letzten beiden Jahren doch einigermaßen abgehärtet wurde. Dafür hat Stefan Herheim gesorgt, seit Herbst 2022 Intendant, dessen künstlerische Bilanz inzwischen als ziemlich enttäuschend bezeichnet werden muss.

Das Produktionsteam hat die Handlung stark verändert. Salieri (Christoph Wagner-Trenkwitz) mischt sich leibhaftig unter die handelnden Personen und befürchtet, dass seine Oper wegen des Einmarsches von Russland in der Ukraine wieder nicht aufgeführt werden könnte. Man schreibt den 23. Februar 2022 – und am Ende des ersten Teils flimmern schon die Kriegsberichte über die Videowand. Eine geschmacklose Instrumentalisierung aktuellen zeitpolitischen Geschehens? Aber das ist nur eine Ebene der Aktualisierung. Die „Politsatire“ Castis wurde außerdem zum Überlebenskampf und zur Nachfolgefrage eines Süßwarenkonzers umgedeutet, der Kublai Khan Süßwaren AG, die sich im Laufe von drei Stunden ein neues, „wokes“ Image samt Logo verpasst und mit einem chinesischen Konkurrenten fusioniert. Wer in diesem Handlungswirrwarr den Faden nicht verloren hat, dem ist zu gratulieren.

Zwar wurde auch von meiner Seite manch sanfte Spitze gegen die übertriebene „politische Korrektheit“ heutiger Tage mit Genuss registriert,  aber dass die Produktion als Satire über diese neurotische Zeitgeistigkeit hätte ausgelegt werden können, dafür war es dann doch wieder zu uneindeutig. Wieso man dergleichen und vieles weitere an einer über 200 Jahre alten Oper abhandeln muss, die derart bis zur Unkenntlichkeit umgemodelt wird, ist mir ohnehin ein Rätsel. Eine „Wiederentdeckung“ Salieris wurde damit nicht beflügelt, sondern das Gegenteil.

Die Ausstattung hat sich wieder der Drehbühne bedient, mischte ein pseudohistorisches Theater-Tartarien mit Business-Ambiente und einer schrägbunten Life-Ball-Revue. Zum Zuschauerraum hin war um das Orchester ein Laufsteg gebaut worden, der vor allem für Sprechszenen genützt wurde. Die Dialoge wurden in deutscher und in italienischer Sprache gegeben und waren zum Teil viel zu lange. Nach der Pause dünnte die Aufführung  handlungsmäßig bedenklich aus, musikalisch war es aber der ergiebigere Teil der Vorstellung. Außerdem gibt es auch in dieser Neuproduktion Unterhosen zu bestaunen. Eine bekannte Unterwäschefirma scheint nicht  nur das Theater an der Wien, sondern auch die Staatsoper mit ihren Produkten zu beglücken. (Warum sollen sich eigentlich immer nur die Sänger halbnackt ausziehen? Intendanten, Regisseure, Dramaturgen vor den Vorhang bitte!)

Christophe Rousset am Pult der historisch informierten Les Talens Lyriques servierte die Musik mit feinpolierter Eleganz, aber bereits der Ouvertüre mangelte es an Esprit. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, sich in einem musikwissenschaftlichen Seminar zu befinden, dass langatmig Salieri abhandelt und dabei auf die Satire vergisst. Gesanglich bot der Abend in Summe ein gutes Niveau, das aber in dem ganzen Bühnensetting und Handlungsgewirr nur punktuell zum Tragen kam. Die anspruchsvollste Partie ist jene der Alzima, eine Partie für einen versierten Mozart-Koloratursorpran. Marie Lys kommt aus der Barockmusik, brachte die erforderte Virtuosität mit ein, war aber nach meinem Eindruck stimmlich eine Spur zu leicht besetzt, mit einigen zu stark forcierten Spitzentönen. Auch dem Timur hat Salieri eine halsbrecherische Arie komponiert, mit der sich Alasdair Kent nach der Pause Szenenapplaus ersang: ein feinsinniger Tenore di grazia.

Anna Quintans als Memma war ein trefflicher Despinatyp – (ja so geht es einem mit Salieri, immer fällt einem dazu Mozart ein). Lauranne Oliva musste sich als Lippi homoerotischen Empfindungen hingeben und man hätte in ihr auch einen Countertenor vermuten können: eine gelungene „Camouflage“ dieser Hosenrolle, die bei Salieri den schwachsinnigen Sohn des Cublai darstellen soll, der schlussendlich von der Thronfolge ausgeschlossen wird.  Als Bozzone ließ Giorgio Caoduro einen schön timbrierten Bariton hören. Carlo Lepore als Kublai war stimmlich aus gröberem, „tartarischen“ Holz geschnitzt, dazu gesellten sich Fabio Capitanucci  als Orcano und Leon Kosavic  als Posega, auch im Schatten der weiter oben genannten agierend.

Bei Schlussvorhang nahmen einige Buhrufer das Regieteam ins Visier, man versteht warum. Aber die überwiegende Mehrheit spendete engagierten oder erfreuten, wenn auch keinen frenetischen Beifall.