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WIEN / Staatsoper: CARMEN

Bewährte Kräfte aus dem Haus und nicht ganz ungetrübte Freude über Hilfe von außen

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Ilja Kazakov (Zuniga),, Vasilisa Berzhanskaya (Carmen), Vittorio Grigolo (Don José). Alle Fotos: Wiener STaatsioer / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: CARMEN

27. Aufführung in dieser Inszenierung

18. April 2024

Von Manfred A. Schmid

Calixto Bieitos ungeschminkt brutale, von jeglicher Zigeunerromantik befreite Carmen hat schon einige recht unterschiedliche Besetzungen der Titelrolle erlebt und sich dabei als überraschend anpassungsfähig erwiesen. Neue Gesichter und vornehmlich junge Stimmen frischen auch jetzt die ebenfalls noch junge Inszenierung aus dem Jahr 2021 auf, in der alle Beteiligten in einem gewaltbetonten Umfeld ums pure Überleben kämpfen.

Vasilisa Berzhanskaya zählt mit 30 Jahren schon zu einer viel gefragten Vertreterin des Belcanto-Repertoires, wovon man sich an der Staatsoper in Il Barbiere di Siviglia und La Cenerentola bereits überzeugen konnte. Für die Besetzung der Carmen, im Mitlese-Text nunmehr, politisch korrekt und historisch ziemlich fragwürdig, nur noch als „Romni“ angeführt, ist allerdings schon ein gewichtigeres stimmliches Kaliber gefragt. Berzhanskaya, die in dieser Rolle im Mai auch an der Londoner Royal Opera Covent Garden debütieren wird, bemüht sich redlich, ihre dunkel Stimme betörend einzusetzen, was in der Habanera allerdings noch nicht ganz gelingen will. Die folgenden spöttisch-schnippischen Tralalalas klingen dann schon um einiges selbstbewusster. Am überzeugendsten ist die russische Mezzosopranistin im zweiten Akt, wenn sie, ihn mit Zuneigung, Tanz und angedrohtem Liebesentzug umgarnend, Don José dazu bringt, als Deserteur seiner Militärkarriere zu entsagen und sich ihr und der Bande der kleinkriminellen Händler, Schmuggler und Zuhälter anzuschließen. Ganz zu Hause ist sie in dieser Rolle – auch gestalterisch – noch nicht. Die freiheitsliebende und für die Freiheit zu sterben bereite, starke, konsequente und sinnliche Carmen sieht und hört man (noch?) nicht. Es könnte aber etwas daraus werden.

Kristina Mikhitaryan, in Wien gern gesehener Gast, überzeugt bei ihrem Debüt als Micaela sowohl darstellerisch wie auch gesanglich. Man merkt, dass sie in dieser Rolle schon mehrjährige Erfahrung hat. Bei ihrem schüchtern-beklommenen Auftritt vor den rauen Soldatenschar im ersten Akt zeigt sie sich als verletzliche junge Frau, auf der tastenden Suche nach ihrem Liebesglück. Wie Mikhitaryan als tapfere Unschuld vom Land dann im dritten At ihre Scheu überwindet, über sich hinauswächst, sich furchtlos vor den Schmugglern hinstellt und in der Arie „Je dis que rien ne m‘ épiuvante“ ihre Liebe offenbart, dann aber auch Beistand von oben erbittet, berührt zutiefst und wird zurecht mit begeistertem Applaus gewürdigt.

Der russische Bariton Alexej Markov bringt für den Escamillo den siegesbewussten Auftritt und die elegante wie auch einnehmende Stimme mit. Das gelungene Rollendebüt als Volkstribun, der mit der Gesellschaftsschicht, aus der er stammt, weiter in Kontakt steht. Selbstbewusst und stolz, aber nicht überheblich oder angeberisch.

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Kristina Mkhitaryan (Micaela) und Vittorio Grigolo (Don José),

Noch ein weiteres erfreuliches Rollendebüt ist zu vermelden: Der Bariton Agustin Gómez, aus dem Opernstudio, ist ein markanter Remendado an der Seite von Ensemblemitglied Michael Arivony, der als Dancaire mit ihm das Duo der beiden Schmuggler-Kapos repräsentiert, die wohl auch mit Zuhälterei ihr Geld verdienen.

Vittorio Grigolo ist als Don José kein Neuling in Wien und war zuletzt schon im Vorjahr in dieser Rolle des aus Eifersucht und Zurückweisung zum Mörder werdenden Don José zu Gast. Stimmlich ist er vor allem als glühender Liebhaber überzeugend und liefert natürlich auch eine tadellose Blumenarie ab. Die emotional extrovertierte Gestaltung seiner Aufritte ist bekannt und zieht sich bis zum Schlussapplaus durch, wenn er, wie ein Boxer nach gewonnenem Ringkampf, wiederholt die Arme triumphal in die Höhe reißt und dann demutsvoll auf den Knien zu Boden herniedersinkt. So kennt man ihn, so mag man ihn, so erwartet man ihn. Und er steht dazu.

Allen weiteren Rollen sind mit bewährten Kräften aus dem Haus besetzt. Maria Nazarova und Szilvia Vöros sind als spiel- und singfreudige Frasquita und Mercédes dabei. Ilja Kazakov und Stefan Astakhov setzen sich als stramme und überhebliche Soldaten Zuniga und Moralès mit sadistischen Zügen effektvoll in Szene. Und dann gäbe es noch den armen Soldaten, der anfangs  seine Strafrunden auf dem Kasernenhof drehen muss, bis er in der prallen Sonne zusammenbricht, aber ebensos ungenannt bleibt wie der nackte Mann, der am Beginn des dritte Akts ein Aerobic-Tänzchen darbietet. Warum, weiß nur der Regisseur.

Asher Fisch am Pult des Staatsopernorchesters leitet einen starken Opernabend, voll von bestens vertrauten und doch immer wieder mitreißend elektrisierenden exotischen Klängen und Rhythmen, die von Kastagnetten und dem exzellenten Blech und Holz angefeuert werden. Hervorragend auch der Chor und der Kinderchor der Opernschule, die zusammen mit einer Schar von bunt kostümierten Statisten für Stimmung sorgen, besonders eindringlich am Beginn des vierten Akts, wenn die begeisterten Menschenmassen zur Stierkampfarena strömen. Vor deren Toren dann die Eifersuchtstragödie, zu den Klängen des siegreichen Toreros, ihr böses Ende nimmt.

Kurze Ergriffenheit. Dann wird gejubelt. Ausgiebig.

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