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WIEN / Staatsoper: TOSCA

Besetzungsmäßig neuer Wein in 66 Jahre alten Schläuchen

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Amartuvshin Enkhbat (Scarpia), Krassismira Stoyanova (Floria). Alle Fotos; Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: TOSCA

650. Aufführung in dieser Inszenierung

20. April 2024

Von Manfred A. Schmid

Groß die Vorfreude auf die 650. Vorstellung der legendären Margarete-Wallmann-Inszenierung, größer noch die Neugier. Beide Erwartungshaltungen werden reich belohnt. Zum einen, weil die großartige Krassimira Stoyanova, die erstaunlicherweise erst vor einem Jahr als Floria Tosca in Wien debütiert hat, keine Wünsche offenlässt. Die makellose Schönheit ihrer Stimme wie auch ihre expressive Ausdrucksfähigkeit überzeugen von Beginn an, als sie zum ersten Mal freudig den „Mario, Mario!“-Ruf ertönen lässt, bis zu den erschrockenen „Mario“-Rufen am Schluss, als sie entdecken muss, dass ihr Geliebter erschossen wurde und tot vor ihren Füßen liegt. Da liegt immer eine höchst emotionale Spannung in der Luft. Auch darstellerisch gibt es an dieser Tosca nichts zu bemängeln. Schon 2001, damals war die aus Bulgarien gebürtige Sopranistin noch vielbeschäftigtes Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, attestierte ihr The New York Times einen „erdigen, reichen, ergreifenden Klang“ und wagte eine Prophezeiung, die inzwischen längst Realität geworden ist: „Wenn sie mehr technische Sicherheit erlangen kann, könnte sie weit kommen.“

Gespannt sein durfte man an diesem Abend auf Toscas Geliebten. Riccardo Massi, der vor seiner Sängerkarriere Spezialist für den Umgang mit mittelalterlichen Waffen und Stuntman in zahlreichen Filmen und TV-Serien war, beweist bei seinem Hausdebüt seine vortreffliche Eignung als Interpret für das italienische Fach, vor allem für Puccini- und manche Verdi-Rollen. Als Cavaradossi glänzt er mit seinem kraftvollen, sonnig-hellen, mit einer satten Klangfarbe ausgestatteten Spinto-Tenor vor allem in den lyrischen Liebesbezeugungen im ersten Akt. (Dass er im Duett mit Floria Tosca stellenweise vom Orchester übertönt wird, liegt nicht an ihm, sondern am Dirigenten Yoel Gamzou, der bei den Tempi und hinsichtlich Dynamik zu Übertreibungen neigt und das Orchester nicht immer im Einklang mit dem Gesang auf der Bühne vorgehen lässt. Ein einsamer Buhrufer macht darauf aufmerksam.) Nach diesem Exkurs zurück zu Riccardo Massi: Hochdramatisch ertönt sein trotziger „Vittoria“-Ruf, den er im Scarpia-Akt, voll der Verachtung, dem grausamen Despoten entgegenschleudert. Massis Bühnenpräsenz überzeugt auch im erschütternden Schlussakt, als er abgeklärt seinem Ende entgegensieht und in seiner beseelten Arie „E lucevan le stelle“ die Intensität des Augenblicks und seine glühende Liebe zu Tosca wie in einem Traumbild beschwört. Massis Erfahrungen bei Stunteinsätzen sind in dieser Rolle nicht gefragt. In den Abgrund springen muss Tosca. Aber vielleicht  konnte er ihr doch ein paar Tipps geben…

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Riccardo Massi (Cavaradossi).

Die größte Überraschung des Abends liefert zweifellos das Rollendebüt von Amatuvshin Enkhbat. Zwar hat der aus der Mongolei stammende Bariton schon bei seinem Debüt an der Staatsoper 2021 als Nabucco stimmlich begeistern können und ist auch in La Traviata als Germont mit seiner mächtigen Stimme aufgefallen, auch wenn ihm in dieser Inszenierung ansonsten nur wenig darstellerische Entfaltungsmöglichkeiten gestattet werden. Als Scarpia kann er nun nicht nur mit seinem stimmwuchtigen Bariton Furcht einflößen und Schrecken verbreiten, sondern auch seine physische Bühnenpräsenz darstellerisch effektvoll einsetzen. Jeder Ton, jeder Schritt, jede Geste und jede mimische Ausdruckveränderung signalisiert drohende Gefahr und kündigt Unheil an. Schon ab seinem ersten Auftritt in der Kirche, wenn er lauernd und lüstern Floria Tosca umgarnt und dabei auch verführerisch sanft klingen kann, und gleich darauf im feierlichen „Te Deum“, wenn er, heuchlerisch laut alle übertönend, seinen Glauben bekundet. Es ist das weite Ausdrucksspektrum seiner Stimme, das ihn in so kurzer Zeit zu einem gesuchten Verdi-Interpreten auf den großen Bühnen der Welt gemacht hat. Auch als Scarpia ist er kein eindimensionaler Bösewicht, sondern eine in vielen Schattierungen auftretende Verkörperung des Bösen schlechthin. Das geht unter die Haut. Zu Recht wird er vom Publikum gebührend gefeiert. Nicht nur bei der Verbeugung nach dem zweiten, sondern auch beim Schlussapplaus.

Rollendebüts aus dem Opernstudio sind von Ted Black zu vermelden, der an der Seite des bewährten Marcus Pelz Scarpias Schergen-Duo Sciarrone und Spoletta komplettiert, sowie von Stephano Park als Schließer. Als Hirte ist auf der Besetzungsliste Nare Kazanjian vermerkt.

Evgeny Solodovnikov als höchst erregter politischer Flüchtling Cesare Angelotti und der ungemein vielseitig eingesetzte Wolfgang Bankl als reaktionärer Mesner machen ihre Sache, wie gewohnt, mehr als gut.

Lobend zu erwähnen sind weiters der von Martin Schebesta exzellent vorbereitete Chor, der bei der Kantate durch das Fenster in das Amtszimmer Scarpias zu vernehmen ist, und der eifrige Kinderchor der Opernschule als frohgemut tanzende Ministrantenschar.

Diese Tosca anlässlich des Jubiläums der 650. Aufführung der Inszenierung aus dem Jahr 1958 sticht aus dem Repertoire-Alltag exemplarisch hervor und wird entsprechend bejubelt und gefeiert.

 

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