Jubel, Bravi und einige fast obligatorische Buhs stehen am Ende der Neuinszenierung von Le nozze di Figaro von Kirill Serebrennikov, die am Samstag an der Komischen Oper Berlin Premiere gefeiert hat. Der russische Regisseur steckt die Mozart-Oper ordentlich in den Schleudergang, doppelt Personen, reichert durch Zitate aus den anderen Da Ponte-Opern an, streicht den Chor und Figuren (Barberina) und schiebt Marcellinas und Bartolos Arien einmal quer durch das Stück. Bei Puristen womöglich wenig beliebt, ordnet Serebrennikov alles seinem Ziel unter, beißende Sozialkritik auf die Bühne zu bringen. Das funktioniert bis zur Pause mal mit Feinzeichnung mal mit Brechstange grandios, doch in der zweiten Hälfte zerfasert die Inszenierung zunehmend. Am Ende steht dennoch ein spannender Theaterabend, der zum Nachdenken anregt.

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Le nozze di Figaro
© Monika Rittershaus

Zweigeteilt ist die Welt in Serebrennikovs Figaro: Oben die lichtdurchflutete Wohnung mit scheinbar endlos weißen Wänden des Grafenpaares, darunter die viel zu niedrig geratene Waschküche des Hauses, die gleichzeitig als Umkleide für das zahlreiche Personal des Hauses dient. Doch eine platte Erzählung von denen da oben und jenen dort unten gibt es in dieser Inszenierung nicht; stattdessen schafft der Regisseur auch in der Welt der Bedientesten deutliche gesellschaftliche Abstufungen. Während Marcellina, Bartolo, Basilio und in Teilen Antonio sowie die neu geschaffene Figur des Schergen des Grafen diesem direkt zuarbeiten, nach oben buckeln und nach unten nicht nur sprichwörtlich treten, stehen Figaro (stimmlich herausragend: Tommaso Barea) und Susanna (Penny Sofroniadou mit charmanter Spielfreude und ausdifferenziertem Sopran) auf einer Zwischenebene, die angetrieben von der eigenen Armut von einem Aufstieg zwar träumen können, diesen jedoch nie erreichen werden. Ganz unten in der häuslichen Hackordnung findet sich der stumme Cherubino wieder, der von seinen männlichen Kollegen getriezt bis misshandelt wird und erst mithilfe der gebärdendolmetschenden Cherubina (zunächst zurückhaltend dann mit großer Projektionskurve: Susan Zarabi) zur Stimme findet.

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Penny Sofroniadou (Susanna) und Hubert Zapiór (Graf Almaviva)
© Monika Rittershaus

Sie alle schuften für den Grafen Almaviva (Hubert Zapiór mit vielschichtigem Bariton), der statt in einem althergebrachten Schloss in einer modernen Wohnung lebt und seiner nie enden wollenden Sammelleidenschaft für moderne Kunst frönt. Während seine Bediensteten Dauerstressrauchen, ist der Herr des Hauses nahezu zwanghaft auf Sauberkeit gepolt. Jede Türklinke muss vor dem Gebrauch gereinigt werden, den Keller des Hauses betritt der Graf nur mit Maske und Handschuhen. Stets an seiner Seite der von Serebrennikov geschaffene Scherge, bravourös im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert von Nikita Kukushkin, der zunächst als speichelleckender Diener auftritt, dessen Devotion im Laufe des Stückes in animalische Unterwürfigkeit abgleitet.

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Georgy Kudrenko (Cherubino)
© Monika Rittershaus

Statt die Zuneigung ihres Mannes, besingt die Gräfin (die Rolle in ihrer ganzen Zerrissenheit darstellend: Nadja Mchantaf) in ihrer Cavatine „Porgi, amor” ihre Liebe zu einem Gemälde klassischer Kunst, das dringend eine Restauration benötigt. Ein späterer Blick hinter die blondierte Fassade zeigt eine zutiefst unsichere Frau, die sich fragt, wie lange sie die ohnehin nur noch geminderte Aufmerksamkeit ihres Mannes noch halten können wird, wenn die Zeichen der Zeit auch Spuren an ihrem Körper hinterlassen – denn am Ende ist auch sie nur ein Statussymbol eines Mannes mit zu viel Geld.

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Le nozze di Figaro
© Monika Rittershaus

Serebrennikov schafft in den ersten beiden Akten und Teilen des dritten und vierten Aktes ein dicht erzähltes Sozialdrama über unermesslichen Wohlstand, die Schattenseiten der hochstilisierten Glamourwelt und all jene, auf deren geschundenen Rücken dieser Reichtum verdient ist. Dabei liegt die entlarvende Kritik dieser sehr körperlichen Inszenierung, die manchmal droht etwas zu wuselig zu werden, häufig in kleinen Momenten, der Mimik und Gestik, dem feinen Detail – was in der Premiere über weite Strecken hervorragend funktioniert, wird eine große Herausforderung für Wiederaufnahmen mit anderen Sänger*innen, die nicht das Glück mehrwöchiger Probenarbeit haben.

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Tommaso Barea (Figaro) und Penny Sofroniadou (Susanna)
© Monika Rittershaus

Nach der Pause versucht Serebrennikov noch einen darauf zu setzen: Statt Sozialkritik schwingt er nun die Kapitalismuskeule. „Capitalism kills love” steht in leuchtenden Lettern an der Wand geschrieben, gleichzeitig überdeutliche Botschaft an das Publikum und Zeichen des unreflektierten Gebarens eines Kunstsammlers, der seine eigene Rolle in eben jener Konsumgesellschaft nicht versteht. Immer mehr Kunstwerke finden ihren Weg in die Wohnung der Almavivas, schließlich veranstalten sie gar eine Vernissage, die ihr blutiges Ende findet als eine weitere von Serebrennikov hinzugefügte Person, „der junge Mann“, zuvor stummes Mitglied der Dienerschar, alle Gäste ersticht. Mit Messerstaccato statt Säbelrasseln verleihen die anderen Bediensteten dem Oberschichtenmörder ihre Unterstützung.

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Hubert Zapiór (Graf Almaviva)
© Monika Rittershaus

Doch statt beginnender Revolution geht der Inszenierung – die bereits im Verlauf des dritten Aktes einiges an Geschwindigkeit verloren hatte, da sich auch einige Elemente der sehr körperlichen Darstellungen von Cherubino (beherzt von Georgy Kudrenko) und dem Diener-Schergen sich in der Repetition verlieren – alsbald die Luft aus. Und so ist es irgendwo in diesem Moment, als die Inszenierung statt zu einem grandiosen Finale endgültig zu einem zerfransten Ende mit möglichen Traumsequenzen und realitätsverfremdeten Spiegelspielereien abbiegt, an dessen Ende man sich fragt, was nun eigentlich die finale Botschaft ist. Eine Versöhnung gibt es jedenfalls nicht, dafür noch ein Streichquartett von Mozart. Auch James Gaffigan, seit dieser Saison Generalmusikdirektor an der Komischen Oper, findet in seiner Interpretation keine wirkliche Antwort. Zwar erweist sich der amerikanische Dirigent als umsichtiger Sängerbegleiter, dessen Orchester geschliffen aber dennoch an vielen Stellen etwas zahm und sehr sachlich klingt. Auch wenn am Ende kein Vorhang fällt, bleiben viele Fragen offen. Dennoch verlangt es diese Hochzeit des Figaros, die sich ganz auf den politischen Ursprung des Stücks mit all seiner sozialkritischen Sprengkraft konzentriert, gesehen zu werden.

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