Komische Oper Berlin: Die Erweckung des Gefährlichen

Xl_bild_27.04.24_um_15.18 © Monika Rittershaus

Komische Oper Berlin

Le Nozze die Figaro

(Wolfgang Amadeus Mozart)

 

Premiere am 27.4.2024

Wenn Augustin de Beaumarchais, der Textdichter des Schauspiels, auf dem Mozart-da Pontes Le Nozze di Figaro fußt, 1782 versucht hat, in den Menschen etwas sehr Starkes, ja Unkalkulierbar-Gefährliches zu wecken, so fühlt sich der russische Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Kirill Serebrennikov stark herausgefordert. Schließlich war ja auch die Bastille sieben Jahre nach der Entstehung des Stücks im Zuge der Französischen Revolution geschleift. 

Was wird heute geschleift? 

Die Handlung im Hier und Jetzt macht krass-gesellschaftliche Unterschiede sichtbar: oben die (neu-)reiche Ebene mit großzügigen, lichtdurchfluteten Interieurs, kontrastiert auf der zweigeteilten Bühne mit der stets sichtbaren, unteren Keller-Ebene des Hauses mit niedriger Decke, beengter Atmosphäre, vollgestopft mit den Spinden der Bediensteten, Waschmaschinen, Putzmaterialien.

Die Mitglieder des (Geld)-Adels wandeln in mit exquisiter - sprich: teuerster – Gegenwartskunst ausgestatteten Räumlichkeiten, wobei nicht klar ist, von oder gegen wen deren mindestens potentiell ironischer Aussagehalt „Capitalism kills love“ gerichtet oder im gesellschaftlichen Kontext überhaupt verstanden wird.

Anlässlich einer Vernissage dieser pseudo-bedeutungsschwangeren Kunst kommt es urplötzlich zu einer Messerattacke auf die Anwesenden durch einen nackten Angreifer (Nikita Elenev), der aus dem Wirtschaftskeller hervorspringt. Aber alles nicht schlimm - nur eine anregende Performance, die das Erlebnis der Kunstschau in eine kleine wohlig-hysterische Aufgeregtheit hoch-kuratiert und ihr ein ganz phantastisch-neuartiges Narrativ verleiht. Von allen Besuchern nach dem ersten Schreck sehr goutiert – wirklich nicht mehr?

Im rauschhaften Reigen der Bilderideen und Geschehnisse im nächtlichen Garten tragen die Protagonisten Spiegelsplitter vor ihren Augen, hinter denen sie sich verstecken, und durch deren Selbstbespiegelung sie sich selbst verlieren. Wenn jetzt eine echte Messerattacke geschähe? Unheilschwanger genug ist die Atmosphäre. Ein glückliches Endes stellt sich ohnehin nicht ein. 

Das Konzept verweigert dabei die feine Balance durch die Achse Susanna-Gräfin, die in Musik und Handlung der Oper angelegt ist, ebenso eine tiefere Darstellung der Nöte der Liebenden Susanna und Figaro, die durch viele Umstände nicht zusammenfinden können. Viele Handlungsstränge werden durch die Frauen in Gang gesetzt und kontrolliert; aber zu groß ist die Unwucht der Verhältnisse und wenig Aussicht auf ein größeres Gleichgewicht.          

Hubert Zapiór, vielfach nachgefragter Almaviva zwischen Hannover und Warschau und darüber hinaus, gibt einen stimmlich gewandten, souveränen und klangschönen Grafen. Sein unnachahmlich schnöselig-selbstgefälliger Auftritt – mehr Lack als Affe – wird stets durch einen speichel-leckerischen Schergen (Nikita Kukushkin) akrobatisch begleitet – mehr Affe als Lack – ein eindrucksvoll-dekadentes Tandem. Dabei wäre im weiteren Verlauf etwas weniger slapstick noch wirkungsvoller gewesen.     

Die Gräfin wird von Nadja Mchantaf in all ihrer Trauer und Hoffnungslosigkeit mit schöner Stimmführung und stiller Melancholie gegeben.  

Der Figaro von Tommaso Barea überzeugt mit einem wohlklingenden Bariton. Er ist weder stimmlich noch darstellerisch ein Leichtgewicht - ihm wären im Zweifel noch ganz andere Aufforderungen zum Tanz dem Grafen gegenüber zuzutrauen.  

Die Susanna der Penny Sofroniadou singt mitunter nicht ohne Schärfen, passt jedoch in ihrer stimmlichen Gestaltung und ihrem sachlich-realistischen Auftritt perfekt in das Konzept der Inszenierung. 

Cherubino/a tritt in zweifacher Geschlechtlichkeit auf: als Cherubino, den der Schauspieler Georgy Kudrenko als gehörlos spielt und bündelt all seine Lebensenergie wie unter einem Brennglas in seine akrobatische Körperlichkeit, die in der Versteckszene des zweiten Finales zu ur-komischen Situationen sowie einem pitsch-nackten Sprung aus dem Fenster führt. Die Cherubina der Mezzosopranistin Susan Zarrabi bewährt sich gekonnt in wunderbarem Gesang und Spiel neben diesem spektakulären Doppelgänger.    

Die Marcellina von Karolina Gumos, der Basilio Johannes Dunz bleiben ihren Rollenportraits nichts schulding und Tijl Faveyts als Bartolo und Peter Lobert als Antonio runden das Ensemble ab.

Zur atmosphärischen Fokussierung werden einige wirkungsvolle und sinnreiche musikalische Anpassungen vorgenommen, z B  mittels Übernahme der Barbarina-Arie durch die Gräfin, überzeugende Einbeziehung des Terzettes ‚soave sia il vento‘ aus Cosi fan tutte sowie Weglassung des Chores, dessen Stimmen durch die Solisten übernommen werden. 

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter seinem Chefdirigenten James Gaffigan spielt einen elastischen, geerdeten, manchmal etwas trockenen Mozart, der zum Konzept gut passt. 

Mit diesem ereignisreichen Figaro als Koproduktion mit der Dutch National Opera, Amsterdam hat der Mozart/da Ponte Zyklus von Kyrill Serebrennikov an der Komischen Oper Berlin seinen zweiten Teil nach der gelungenen Cosi fan tutte in der letzten Saison erreicht. Don Giovanni wird in der kommenden Spielzeit folgen.

Die Aufführung wird vom Publikum mit großer Aufmerksamkeit und immer wieder viel Gelächter begleitet. Der Applaus für alle Sänger, das Orchester und das Regie-Team ist lang und herzlich, auch wenn nicht wenige Aktionen auf der Bühne so manches Fragezeichen beim Zuschauer hinterlassen haben.

 

Achim Dombrowski

Copyright:  Monika Rittershaus

 

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