LOHENGRIN
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Premiere

Wiener Staatsoper
29. April 2024

Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Jossi Wieler / Sergio Morabito
Bühne & Kostüme: Anna Viebrock
Licht: Sebastian Alphons
Ko-Bühnenbildner: Torsten Gerhard Köpf
Kostümassistenz: Lasha Iashvili
Choreinstudierung: Thomas Lang

Koproduktion der Wiener Staatsoper mit den Salzburger Osterfestspielen

Heinrich der Vogler - Georg Zeppenfeld
Lohengrin - David Butt Philip
Elsa von Brabant - Malin Byström
Friedrich von Telramund - Martin Gantner
Ortrud, seine Gemahlin - Anja Kampe

Der Heerrufer des Königs - Attila Mokus
Vier brabantische Edle - Juraj Kuchar, Oleg Zalytsky, Johannes Gisser, Ferdinand Pfeiffer

Vier Edelknaben - Antigoni Chalkia, Pija Rytkönen, Lucilla Graham, Dymfna Meijts


Nun sei bedankt, mein gutes Schaf
(Dominik Troger)

Der neue Staatsopern-„Lohengrin“ schwankt szenisch zwischen schlechter Parodie und unpassender Komik, von gesanglichem Mittelmaß keineswegs premierenwürdig ausstaffiert.

Eines ist klar: Angesichts der Aporien dieses Werks ist das Theater aufs Äußerste gefordert, eine ebene insistente wie sensibel-immante Dekonstruktion seiner Rollenbilder und Konflikstrukturen zu entfalten.“
Was sich Sergio Morabito, der Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, über Richard Wagners „Lohengrin“ in komplizierten Sätzen so alles zusammenreimt, hat bereits der Bühnenpraktiker Johann Nestroy 1859 in einen einzigen, kurzen Satz zusammengefaßt: „Nun sei bedankt, mein gutes Schaf“.

Nestroys kurze „Lohengrin“-Parodie ist zwar kein Glanzstück seiner Theaterkunst, aber sie beweist, dass es keiner ausufernden „Phrasologie“ bedarf, um Wagners „Führungsanspruch“ auf den Opernbühnen eine Portion gesundes Missstrauen gegenüberzustellen. Liest man, was Sergio Morabito so an Texten für das neue „Lohengrin“-Programmheft der Staatsoper zusammengestellt hat, dann schätzt man einerseits die rezeptionsgeschichtliche Skepsis, die er gegenüber Wagner zum Ausdruck bringt, fragt sich andererseits aber, warum er Wagner (im Duo mit seinem Regiekompagnon Jossi Wieler) überhaupt noch inszeniert.

Man könnte den Eindruck gewinnen, den Chefdramaturgen der Staatsoper treibe ein starkes Sendungsbewusstsein an: Zwar möchte er Wagner als bösen, historisch belasteten „Buben“ entlarven, ihn aber – mehr oder weniger notgedrungen – auch für die Opernbühne retten. Bei dieser „Lohengrin“-Produktion ist das gehörig schief gegangen, haben sich banale Witzchen und Volksaufmärsche mit einem außerdordentlich inkonsistenten Regiekonzept verwoben. Fazit: Wieler & Morabito plagen das Publikum drei Aufzüge lang mit der Dekonstruktion „Lohengrins“ – Nestroy hat dafür nur sechs Worte benötigt.

Das Einheitsbühnenbild zeigt eine Wehranlage, vielleicht von der Nußdorfer Wehr- und Schleusenanlage inspiriert, wo sich die Donau in den Donaukanal verzweigt – ein Wienerisches „Sujet“ um 1900, zu dem auch einigermaßen die Kostüme passen. (Laut der Kritik der Tageszeitung Kurier“ vom 1.5.24 war ein Rückhaltebecken der Wienflussregulierung Vorbild für das Bühnenbild. Optisch passt das auch ganz gut.) Der Erste Weltkrieg steht vor der Tür (oder ist schon ausgebrochen) an Führungspersönlichkeiten ist also Bedarf. Lohengrin macht seinen Auftritt aus einem Abwasserkanal im Hintergrund. Die Regie lässt ihn über zwei Straßengeländer klettern, damit der langhaarige und mit zerrissener Hose ausstaffierte Kerl gleich einmal zeigen darf, wie lässig er ist. Das folgende Gottesurteil wird ironisiert. Telramund hat einen Herzanfall und Lohengrin muss nicht einmal kämpfen.

Dieser Lohengrin wird im Programmheft als Phantasieprodukt Elsas entlarvt, die angeblich eine Massenpsychose auslöst. Das umstehende Volk verfällt in Trance. Trotzdem entpuppt sich Lohengrin in weiterer Folge als sehr realer Kerl, und die Hinweise auf Elsas psychologische Fertigkeiten, ihre manipulativen Kräfte und ihre Bordelineexistenz entbehren jeder textlichen und musikalischen Grundlage. Aber das ist der Trick von solchen „Dekonstruktionen“, sonst wären es ja keine. In diesem Fall ist Elsa die Böse und Ortrud die Gute: Elsa hat ihren Bruder gemeuchelt, Ortrud hat sie dabei beobachtet. An Elsas Händen klebt Blut. Sie übt sich im Täuschen, während Telramund und Ortrud in Aufdeckermanier nach der Wahrheit forschen. Ortrud wird zur realistisch angehauchten „Aufklärerin“ ernannt, die sich angeblich gegen eine neuen Epoche der „Irrationalität“ zu Wehr setzt.

Außerdem erweist sich das Gottesgericht als dramaturgische Achillesferse. Wagner bleibt mit der Handlung eben doch auf der Ebene einer frühmittelalterlichen Sage, in der das Gottesurteil eine das ganze Gerichtsverfahren abschließende, rechtsprechende Funktion hat. Nur durch Zauberei, wie Ortrud zu verdeutlichen versucht, könnte man den Richtspruch in Zweifel ziehen. Bei allen Bemühungen dem „Wunderglauben“ des Librettos und der Musik zu entkommen, geht die Inszenierung der „Mystifizierung“ Wagners aber dann doch noch auf den „Leim“: Im Finale ermordet in einer surrealen Szene die wiederbelebte Wasserleiche Gottfried seine Schwester. Bei soviel schlechter Parodie kann man abschließend eigentlich nur wieder Johann Nestroy zitieren: „Nun sei bedankt, mein gutes Schaf“.

Getragen wurde der Premierenabend vom Staatsopernorchester und Chor unter Christian Thielemann – während auf der Bühne  die Negation dessen gezeigt wurde, was das Orchester vor gibt. Wird doch schon das zarte, sich zu klanglichen Gralslichtfluten aufschwingende Vorspiel zum ersten Aufzug szenisch mit einem Mord und düster nächtlicher Kanalstimmung kontrastiert. Und Thieleman hielt mit dem Orchester dagegen, zauberte zarte Söllerstimmung und von goldgetönten Fanfaren durchwehte Heereslager aus dem Orchestergraben, betrieb gegenüber der Szene einen musikalischen „Anachronismus“,  bei dem man sich schon fragen musste, warum er sich das überhaupt antut. Aber Thielemann hatte die Produktion schon vor zwei Jahren bei den Salzburger Osterfestspielen unter seinen musikalischen Fittichen und  besitzt gegenüber szenischen Irritationen offensichtlich eine – wie man so sagt – dicke Haut. Die Lautstärke des Schlussapplauses für den Dirigenten samt Orchester und Chor übertraf an diesem Abend den Beifall für die einzelnen Solisten deutlich.

 Ja, fast hätte man meinen können, die Besetzung der Solisten wäre absichtlich so gewählt worden, um eine „Entromantisierung“ des „Lohengrin“ auf die Spitze zu treiben. Die Elsa der Malin Byström befleißigte sich eines abgeblühten, in der Tiefe schwach ausgebildeten, schwingungsfreudigen Soprans, der im Piano kaum zärtlich-naive Traumlyrik zu verbreiten im Stande war. Byström spielte gut, wahrscheinlich war das dem Besetzungsbüro wichtiger. Den Kampf wider Erwartungshaltungen focht auch der Lohengrin von David Butt Philipp erfolgreich. Stimmlich gegen Ende des zweiten Aktes kurzzeitig schon etwas erschöpft klingend, blieb er die tenoralen Lichtsphären des Grals weitgehend schuldig – und auch die Leichtigkeit,  um sich zu ihnen aufzuschwingen. Anja Kampe legte gesanglich in ihre Ortrud sehr viel Kraft, überspannte damit zwar des öfteren die Ressourcen ihrer Stimme, aber sicherte sich damit zumindest die meiste Aufmerksamkeit. Der Telramund von Martin Gantner war mehr Schönredner als gefährlich. Insofern blieb die Figur dann doch zu unterbelichtet. Schönstimmig und wortdeutlich, aber ohne markige Bühnenautorität: der König Heinrich von Georg Zeppenfeld. Ihm assisistierte ein blasser Heerrufer (Attila Mokus).

De Schlussapplaus lag bei rund einer Viertelstunde, wobei in den letzten Minuten in einem fast zur Gänze geleerten Zuschauerraum nur mehr wenige Besucher ihrem Enthusiasmus freien Lauf ließen. Auffallend war die Disziplin des Publikums während der ganzen Aufführung (im Gegensatz zu den mit Touristen aufgefüllten Repertoirevorstellungen gab es kaum Husten, Handyschauen oder sonstige Störgeräusche). Für das Regieteam hagelte es die „obligaten“ Buhrufe, was niemanden überrascht hat. Auch Elsa und Lohengrin traf das Missfallen einiger Besucher, wie ich von meinem Platz aus hören konnte.

PS: Bei diesem neuen „Lohengrin“ handelt es sich um die dritte Neuproduktion innerhalb von knapp zwanzig Jahren. Auf Barry Koskys ungeliebte blinde Elsa samt knallgelbem Plastikentlein folgte das (noch?) ungeliebtere „Wirtshaus zum Lohengrin“ (Regie Andreas Homoki). Jetzt also Wieler & Morabito. Und deshalb kann man wirklich nur mehr in ganz Nestroyschem Sinne stoßseufzen: „Nun sei bedankt, mein gutes Schaf!!“

(Editiert am 1. Mai, 6.30h, Änderungen im Vorspann sowie Ergänzung zu den Publikumsreaktionen.
Weitere Ergänzung um 12.00h betreffend architektonisches Vorbild für das Bühnenbild sowie Anpassung des betreffenden Textes.)