LOHENGRIN
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Premiere Wiener Staatsoper Musikalische Leitung: Christian
Thielemann |
Heinrich der Vogler
- Georg Zeppenfeld |
Der
neue
Staatsopern-„Lohengrin“ schwankt szenisch zwischen schlechter Parodie
und unpassender Komik, von gesanglichem Mittelmaß keineswegs
premierenwürdig ausstaffiert. Nestroys
kurze „Lohengrin“-Parodie ist zwar kein Glanzstück seiner Theaterkunst,
aber sie beweist, dass es keiner ausufernden „Phrasologie“ bedarf, um
Wagners „Führungsanspruch“ auf den Opernbühnen eine Portion gesundes
Missstrauen gegenüberzustellen. Liest man, was Sergio Morabito so an
Texten für das neue „Lohengrin“-Programmheft der Staatsoper
zusammengestellt hat, dann schätzt man einerseits die
rezeptionsgeschichtliche Skepsis, die er gegenüber Wagner zum Ausdruck
bringt, fragt sich andererseits aber, warum er Wagner (im Duo mit
seinem Regiekompagnon Jossi Wieler) überhaupt noch inszeniert. Man
könnte den Eindruck gewinnen, den Chefdramaturgen der Staatsoper treibe
ein starkes Sendungsbewusstsein an: Zwar möchte er Wagner als bösen,
historisch belasteten „Buben“ entlarven, ihn aber – mehr oder weniger
notgedrungen – auch für die Opernbühne retten. Bei dieser
„Lohengrin“-Produktion ist das gehörig schief gegangen, haben sich
banale Witzchen und Volksaufmärsche mit einem außerdordentlich
inkonsistenten Regiekonzept verwoben. Fazit: Wieler & Morabito
plagen das Publikum drei Aufzüge lang mit der Dekonstruktion
„Lohengrins“ – Nestroy hat dafür nur sechs Worte benötigt. Das
Einheitsbühnenbild zeigt eine Wehranlage, vielleicht von der Nußdorfer
Wehr- und Schleusenanlage inspiriert, wo sich die Donau in den
Donaukanal verzweigt – ein Wienerisches „Sujet“ um 1900, zu dem auch
einigermaßen die Kostüme passen. (Laut der Kritik der Tageszeitung „Kurier“ vom 1.5.24 war ein Rückhaltebecken der Wienflussregulierung Vorbild für das Bühnenbild. Optisch passt das auch ganz gut.) Der Erste Weltkrieg steht vor der Tür (oder ist schon
ausgebrochen) an Führungspersönlichkeiten ist also Bedarf. Lohengrin
macht seinen Auftritt aus einem Abwasserkanal im Hintergrund. Die Regie
lässt ihn über zwei Straßengeländer klettern, damit der langhaarige und
mit zerrissener Hose ausstaffierte Kerl gleich einmal zeigen darf, wie
lässig er ist. Das folgende Gottesurteil wird ironisiert. Telramund hat
einen Herzanfall und Lohengrin muss nicht einmal kämpfen. Dieser
Lohengrin wird im Programmheft als Phantasieprodukt Elsas entlarvt, die
angeblich eine Massenpsychose auslöst. Das umstehende Volk verfällt in
Trance. Trotzdem entpuppt sich Lohengrin in weiterer Folge als sehr
realer Kerl, und die Hinweise auf Elsas psychologische Fertigkeiten,
ihre manipulativen Kräfte und ihre Bordelineexistenz entbehren jeder
textlichen und musikalischen Grundlage. Aber das ist der Trick von
solchen „Dekonstruktionen“, sonst wären es ja keine. In diesem Fall ist
Elsa die Böse und Ortrud die Gute: Elsa hat ihren Bruder gemeuchelt,
Ortrud hat sie dabei beobachtet. An Elsas Händen klebt Blut. Sie übt
sich im Täuschen, während Telramund und Ortrud in Aufdeckermanier nach
der Wahrheit forschen. Ortrud wird zur realistisch angehauchten
„Aufklärerin“ ernannt, die sich angeblich gegen eine neuen Epoche der
„Irrationalität“ zu Wehr setzt. Außerdem erweist sich das Gottesgericht als dramaturgische Achillesferse. Wagner bleibt mit der Handlung eben doch auf der Ebene einer frühmittelalterlichen Sage, in der das Gottesurteil eine das ganze Gerichtsverfahren abschließende, rechtsprechende Funktion hat. Nur durch Zauberei, wie Ortrud zu verdeutlichen versucht, könnte man den Richtspruch in Zweifel ziehen. Bei allen Bemühungen dem „Wunderglauben“ des Librettos und der Musik zu entkommen, geht die Inszenierung der „Mystifizierung“ Wagners aber dann doch noch auf den „Leim“: Im Finale ermordet in einer surrealen Szene die wiederbelebte Wasserleiche Gottfried seine Schwester. Bei soviel schlechter Parodie kann man abschließend eigentlich nur wieder Johann Nestroy zitieren: „Nun sei bedankt, mein gutes Schaf“. Getragen wurde der Premierenabend vom Staatsopernorchester und Chor unter Christian Thielemann
– während auf der Bühne die Negation dessen gezeigt wurde, was
das Orchester vor gibt. Wird doch schon das zarte, sich zu klanglichen
Gralslichtfluten aufschwingende Vorspiel zum ersten Aufzug szenisch mit
einem Mord und düster nächtlicher Kanalstimmung kontrastiert. Und
Thieleman hielt mit dem Orchester dagegen, zauberte zarte
Söllerstimmung und von goldgetönten Fanfaren durchwehte Heereslager aus
dem Orchestergraben, betrieb gegenüber der Szene einen musikalischen
„Anachronismus“, bei dem man sich schon fragen musste, warum er
sich das überhaupt antut. Aber Thielemann hatte die Produktion schon
vor zwei Jahren bei den Salzburger Osterfestspielen unter seinen
musikalischen Fittichen und besitzt gegenüber szenischen
Irritationen offensichtlich eine – wie man so sagt – dicke Haut. Die
Lautstärke des Schlussapplauses für den Dirigenten samt Orchester und
Chor übertraf an diesem Abend den Beifall für die einzelnen Solisten
deutlich. (Editiert am 1. Mai, 6.30h, Änderungen im Vorspann sowie Ergänzung zu den Publikumsreaktionen. |