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An der Opéra National du Rhin in Straßburg bringen Ingo Metzmacher und Christoph Loy Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ das erste Mal nach der Uraufführung 1931 wieder auf eine Bühne. Foto: Klara Beck

An der Opéra National du Rhin in Straßburg bringen Ingo Metzmacher und Christoph Loy Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ das erste Mal nach der Uraufführung 1931 wieder auf eine Bühne. Foto: Klara Beck

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Ein Abstecher auf die Erde – Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ in Straßburg

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An der Opéra National du Rhin in Straßburg bringen Ingo Metzmacher und Christoph Loy Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ das erste Mal nach der Uraufführung 1931 wieder auf eine Bühne. 

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Die Ausgrabung von Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ an der Rheinoper in Straßburg gehört in die Reihe der Versuche, der Rezeptionsgeschichte in den Arm zu fallen. Die hat ja im Bündnis mit ganzen Publikumsgenerationen und dem Zeitgeschmack ihre eigene Agenda und rangiert das eine oder andere Werk rabiat aus. Immer mal nachzuprüfen, ob da nicht ein Irrtum unterlaufen ist, lohnt sich per se. 

Wenn dann auch noch gestandene Könner ihres Faches wie der Dirigent Ingo Metzmacher und Regisseur Christoph Loy aus Deutschland in den Elsass eingeladen werden, um diesen Versuch musikalisch und szenisch zu bewerkstelligen, meint ein Haus die Sache ernst. Immerhin muss es die Ressourcen für einen über dreieinhalb Bruttostunden füllenden Kraftakt aufbringen.

Nach der Uraufführung in Paris 1931 und der deutschen Erstaufführung des Werkes 2019 in Osnabrück ist diese Produktion erst die Dritte dieser seltsam unopernhaften Oper überhaupt. Dabei hat die Entstehungsgeschichte selbst opernhafte Züge. Der 1865 geborene Komponist hatte sie 1901 zu einem eigenen Libretto fertiggestellt. Beim Versuch, einen Angriff deutscher Soldaten auf sein Haus abzuwehren, wurde nicht nur er 1914 ein Opfer des Ersten Weltkriegs, sondern auch große Teile des Manuskriptes der zu seinen Lebzeiten nie aufgeführten Oper. Magnards Freund, dem Komponisten Guy Ropartz, ist es zu verdanken, dass das Werk dann doch noch zu Bühnenehren kam. Er vermochte die verlorenen Teile der Partitur aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Die aktuelle Straßburger Premiere ist so quasi ein französisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt mit einer recht makabren Vorgeschichte.

Die ambitioniert ins Allegorische überhöhte Geschichte beginnt mit einer interessanten Versuchsanordnung. Ein Held befindet sich im Jenseits, will partout ins Leben zurück, gerät dort in einen handfesten Opernbürgerkrieg zwischen Freiheit und Diktatur. Wenn er am Ende wieder im Jenseits landet, ist das der Anlass für eine schier endlose Litanei über alle Grundfragen, die sich zwischen utopiegespicktem paradiesischem Himmel und menschenunvollkommener Erdenhölle so in den Raum stellen lassen. 

Im Jenseits existieren zwar weder Raum und Zeit, wohl aber sind allegorische Figuren wie Schönheit, Güte und Leid um die Wahrheit versammelt. Die Idee, in einem säkularen Paradies einen irgendwie männlich gedachten Gott durch mehrere weibliche Gottheiten, also die Allegorien, zu ersetzten, hat durchaus einen pikant aufmüpfigen Reiz.

Aus der Schar der hier versammelten Seelen, ist es jener Guercœur, der sich in dieser paradiesischen Nichtexistenz zurück in seine menschliche Gestalt und sein Leben sehnt. Mit leidenschaftlicher Eloquenz ist er so überzeugend, dass ihm tatsächlich, trotz aller Warnungen, ein Ausflug in seinen menschlichen Körper und in sein Leben gewährt wird. Da auf der Erde inzwischen zwei Jahre vergangen sind, ist die Katastrophe vorhersehbar. Weder die Treueschwüre seiner Frau Giselle haben gehalten, noch haben sich die Hoffnungen erfüllt, die er in seinen politischen Erben Heurtal und in sein von ihm in die Freiheit geführtes Volk gesetzt hatte. 

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An der Opéra National du Rhin in Straßburg bringen Ingo Metzmacher und Christoph Loy Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ das erste Mal nach der Uraufführung 1931 wieder auf eine Bühne. Foto: Klara Beck

An der Opéra National du Rhin in Straßburg bringen Ingo Metzmacher und Christoph Loy Albéric Magnards Dreiakter „Guercœur“ das erste Mal nach der Uraufführung 1931 wieder auf eine Bühne. Foto: Klara Beck

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Das Volk hat inzwischen genug von den Anstrengungen, die mit dem Gebrauch von Freiheit und Demokratie verbunden sind. Die Frauen etwa hoffen, dass ein Diktator ihre faul gewordenen Männer wieder zur Arbeit zwingt, und auch sonst wieder für Ruhe und Ordnung sorgt. Giselle und Heurtal sind inzwischen ein Paar. „Du bist Genie und Güte, er ist Jugend und Liebe“ bescheinigt Giselle ihrem eigentlich ja verschiedenen Gatten bei ihrem Wiedersehen. Das Volk schließlich hält seine Rückkehr nicht für möglich und macht ihn als vermeintlichen Hochstapler, der sich in seinen Augen als Guercœur ausgibt, brutal nieder. 

Nach der zweiten Pause des langen Abends folgt die Rückkehr Guercœur ins Reich der Wahrheit. Die reiht in einem sich endlos ziehenden Abgesang eine Weisheit an die nächste und macht damit aus dem ganzen dritten Aufzug einen ziemlich aufgeblasenen pseudophilosophischen Kitsch. Der sich dann unter Sternenfirmament der Ewigkeit (also doch einer zeitlichen Dimension) als ominöse Hoffnung verflüchtigt. So ungefiltert oratorisch appellierend ist das nur schwer auszuhalten, zumal wenn man (wie in Straßburg ja dankenswerterweise üblich) die deutschen Übertitel mitlesen kann. 

Natürlich ist das Gedankenexperiment, dem von der Zeit diktierten Lauf des Schicksalsrades in die Speichen zu greifen und die Endgültigkeit des physischen Todes, mit einer Wiederauferstehung ein Schnippchen zu schlagen, als solches interessant. Aber das Ergebnis ist ebenso vorhersehbar. Das Leben (der anderen) geht weiter, ist halt nicht nur banal, sondern auch zwingend. Und das wird durchgespielt. 

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Foto: Klara Beck

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Loy und seine Mitstreiter Johannes Leiacker (Bühne), Ursula Renzenbrink (Kostüme) und Olaf Winter (Licht) weichen dem Potenzial, das beispielsweise gerade heutzutage in den populistischen Law-und-Order Sehnsüchten der Massen liegt, nahezu komplett in eine abstrakte Metaebene aus. Die Riesenwand, die Dunkel und Hell, Himmel und Erde scheidet und einen schmalen Erinnerungseinblick in die lebendige Natur gewährt, ist allemal der Hintergrund für eine mittlerweile zum Markenzeichen von Loy avancierten Ansammlung von Stühlen. Die Kostüme für den famos agierenden Chor sind mit jeder Inszenierung kompatibel, die auf die Ästhetik des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts setzt. Der zugegeben ohnehin etwas simpel gestrickte Diskurs Freiheit versus Diktatur im zweiten Aufzug wird nur zu einer Vorlage für eine Schlägerei der Choristen, bei der weder das Wer-gegen-Wen und schon gar nicht das Warum klar werden.

Dafür gibt Ingo Metzmacher am Pult des Orchestre philharmonique de Strasbourg sein Bestes, um den eher oratorischen Klangstrom fließen zu lassen, der allemal im Schatten Wagners aufblüht, aber auch dem Erbe von Rameau oder César Franck und dem Blick auf Debussy verpflichtet scheint. Diese dauererregte Orchesteropulenz pur ist mit vokalen Glanzstücken gespickt. Vor allem der Prachtbariton Stéphane Degout als Guercœur beherrscht die Szene, sobald er nur den Mund aufmacht. Mit kraftvollem Auftrumpfen imponiert auch Julien Henric als dessen Erbe und Möchtegerndiktator. Antoinette Dennefeld vermittelt als Giselle immerhin eine Ahnung von innerer Zerrissenheit zwischen Treue zum verstorbenen Gatten und der Sehnsucht nach dem Leben. Unter den allegorischen Figuren trägt Catherine Hunold als Wahrheit mit großer vokaler Geste die Hauptlast. Das Publikum würdigte auch in der gut besuchten zweiten Vorstellung die Kunstanstrengung angemessen. 

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