Wien: „Lohengrin“ in eigenartiger szenischer Umsetzung – musikalisch von hoher Qualität

Xl_lohengrin-wien-c_michael_poehn-5-24 © Michael Pöhn

 Elsa scheint ihren Bruder Gottfried umgebracht zu haben. Denn während des Vorspiels kniet sie neben dem Kanal und fischt eine schwarze Mütze heraus. Ortrud beobachtet das Geschehen von einer dahinterliegenden Burg aus, was Elsa, die sich jetzt ihrer Männerkleider entledigt und ein blauweißes Kleid anzieht, jedoch nicht wahrnimmt. In der neuen Produktion von Richard WagnersLohengrin“ an der Wiener Staatsoper, eine Übernahme von den Salzburger Osterfestspielen aus 2022 gehen das Regieteam Jossi Wieler, Giorgio Morabito (Inszenierung) und Anna Viebrock (Ausstattung) offenbar von diesem Ansatz aus. Es kommt also zu einer Umkehr von Gut und Böse. Denn hier wird Elsa zur Mörderin, während Ortrud und Telramund dies ja nur aufklären wollen und dadurch fast sympathisch wirken. Zweifellos ein neuer, sehr eigenwilliger Ansatz, der allerdings recht halbherzig gezeigt wird. Anderseits wird man wieder einmal mit Regieideen überfachtet: Der Krieg steht vor der Türe, überall herummarschierende Soldaten. Lohengrin, eine herumschlurfende, lächerlich wirkende Mixtur aus Lumpenritter und Superman, aus dessen Hosen eine Ritterrüstung bei den Knien hervorlugt, taucht völlig unheroisch aus dem Kanal auf. Schwan gibt es natürlich auch keinen. Der entehrte Telramund fuchtelt wie ein Terrorist mit einer Maschinenpistole herum. Nachdem sich der Gralsritter wieder davongemacht hat, holt Elsa eine blaugesichtige Kreatur aus dem Kanal. Es ist Gottfried, eine lebende Wasserleiche, der dann Elsa mit einem Schwert ersticht. Das alles passiert an einem hässlichen Kanal mit Aufbauten, die sich heben und senken lassen und auch als Festung gedeutet werden können.

Ein silbriges Flimmern und irisierende Pianissimi vernimmt man schon bei den ersten Takten aus dem Graben. Denn das Vorspiel, das von Franz Liszt, dem Dirigenten der Uraufführung, die 1850 in Weimar stattfand, als „Art Zauberformel“ bezeichnet wurde, mit seinen vielfach geteilten, in hoher Lage überirdisch spielenden Geigen, enthüllt die geheimnisvolle Gralswelt. Und auch während des weiteren Abend gelingt es den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann zum schimmernden und feinverwobenen Klanggemälde zu finden, mit dem diese Musik so fasziniert. Mit toller Gestaltungskraft hält der deutsche Dirigent bei seiner persönlichen Lieblingsoper die Spannung, erreicht herrliche Valeurs, wunderbare Tonschönheiten, feinste Subtilität, ideale Balance und einen Fassettenreichtum, der Seinesgleichen sucht.

Und da ganz besonders auf die Sänger Rücksicht genommen wird, danken diese es ihm mit tollen Schöngesang. Als Titelheld lässt David Butt Philip mit seinem hellen, geschmeidigen Tenor keine Wünsche offen. Besonders die Gralserzählung gelingt ihm wunderbar. Malin Byström fehlt es als Elsa nicht an Innigkeit nur manchmal klingt ihr schöner Sopran, ungefährdet bis in die höchsten Höhen etwas zu fragil. Martin Gantner als Telramund ist das szenische und sängerische Zentrum des Abends. Er singt ihn kraftvoll auftrumpfend. Anja Kampe ist eine ungemein diabolische und hochdramatische Ortrud. Wunderbar nobel erlebt man wieder einmal Georg Zeppenfeld als König Heinrich, ausstaffiert wie ein Soldatenkönig aus dem ersten Weltkrieg. Attila Mokus singt den Heerführer kräftig. Stimmgewaltig und sehr ausgewogen hört man den Wiener Staatsopernchor.

Stehende Ovationen für die Musikalische Realisierung, die bei Erscheinen des Dirigenten noch anschwollen!

Dr. Helmut Christian Mayer

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