Staatstheater am Gärtnerplatz: „Die lustigen Weiber von Windsor“ – Shakespeare streckt die Zunge raus

Gärtnerplatztheater/LUSTIGEN WEIBER v WINDSOR/Ensemble/Foto © Marie-Laure Briane

Nehmt euch nicht zu ernst: Brigitte Fassbaender inszeniert am Münchner Gärtnerplatztheater Otto Nicolais komisch-fantastische Oper Die lustigen Weiber von Windsor mit einem Augenzwinkern von William Shakespeare höchstpersönlich. Doch trotz verspielter Personenregie und einer angenehmen Prise Ironie fehlt der Inszenierung etwas. Denn nicht die Regie, sondern das großartige Ensemble des Gärtnerplatztheaters beweisen wieder einmal, dass die Gattung Spieloper nirgendwo besser aufgehoben ist als in München. (Rezension der Premiere v. 26.04.2024)

 

Mit dem Titel der Oper ist es so eine Sache. Die lustigen Weiber von Windsor. Als Otto Nicolai seine Shakespeare-Oper – das Werk basiert auf dem Schauspiel The Merry Wives of Windsor – komponierte, bezeichnete der Begriff ‚Weib‘ nicht mehr und nicht weniger als eine, in der Regel verheiratete, Frau. Wer aber heute von ‚Weibern‘ oder gar ‚Weiberkram‘ spricht, der drückt durch seine Wortwahl bewusst oder unbewusst seine Geringschätzung für das weibliche Geschlecht aus. „Der Begriff ‚Weiber‘ will uns heutzutage nicht mehr leicht über die Lippen oder in die Computertastatur gehen“, bemerkt auch Dramaturg Christoph Wagner-Trenkwitz im Programmheft. Er und Regisseurin Brigitte Fassbaender folgern daraus, das Wort ‚Weiber‘ in der Neuinszenierung am Gärtnerplatztheater zumindest teilweise zu streichen: Die Frauen bezeichnen sich im Stück nun auch als solche, ‚Weiber‘ sagen nur die Männer, allen voran natürlich Sir John Falstaff. Von solchen Texteingriffen zugunsten einer rücksichtsvolleren Wortwahl kann man halten, was man will. In dieser Produktion funktioniert die Textänderung, weil das Wort ‚Weib‘ nicht kommentarlos verbannt, sondern mit dem modernen Begriff ‚Frau‘ in Beziehung gesetzt wird: Falstaff spricht so lang von Weibern, bis er zum dritten Mal überlistet worden ist. Dann spricht er zähneknirschend, aber respektvoll, von ‚Frauen‘. Auf diese Weise wird auch sprachlich deutlich: Dieser Mann hat seine Lektion gelernt.

Im Übrigen betrifft dieser im Vorfeld groß angekündigte und schon vor der Premiere vom Publikum gemischt aufgenommene Eingriff dann doch nur zwei Szenen, denn das Wort ‚Weib‘ fällt in Die lustigen Weiber von Windsor erstaunlich selten – zumindest in der Gärtnerplatzfassung. Fassbaender und Trenkwitz haben die Oper umfassend gekürzt, sodass von den gesprochenen, laut Trenkwitz ‚ausufernden‘, Dialogen nicht mehr viel übrig ist. Was noch da ist, haben Regie und Dramaturgie behutsam an das moderne, Münchner Publikum angepasst: Statt ‚Ihr‘ sagt man nun ‚Sie‘ und weil die Aufführung in Bayern stattfindet, gibt es keinen Sekt, sondern Bier. All diese Änderungen werden im Programmheft sowie in diversen Interviews ausführlich besprochen. Bisweilen hat man sogar das Gefühl, in Fassbaenders Inszenierung ginge es ausschließlich um die Frage, wie man Die lustigen Weiber von Windsor für ein heutiges Publikum nachvollziehbar, man will fast sagen: erträglich, macht. Bei all der Mühe, die offensichtlich nötig war, um das Stück spielbar zu machen, bleibt aber unklar, warum ausgerechnet diese Oper auf den Spielplan aufgenommen wurde. Denn viel zu sagen hat Brigitte Fassbaender, die Grande Dame des Musiktheaters, dazu auf der Bühne nicht.

Gärtnerplatztheater/LUSTIGEN WEIBER v WINDSOR/Levente Páll (Sir John Falstaff)/Foto © Marie-Laure Briane

Ein gelungener Theaterabend ist die Aufführung von Die lustigen Weiber von Windsor schon. Man wird gut unterhalten, denn Fassbaender hat ein Händchen für die Details der Personenführung und für Gags. Ein Highlight der ersten Hälfte ist die Begegnung des verkleideten Herrn Fluths mit Falstaff, der einen Maßkrug in der Zeit leeren kann, in der Herr Fluth lediglich ein kleines Gläschen trinkt. Dafür, vor allem für Levente Pálls Trinkleistung, gibt’s Szenenapplaus vom bayerischen Publikum. Es bleibt aber leider bei einzelnen herausragenden Momenten, im Ganzen überzeugt die erste Hälfte nicht. Fassbaender will stilisieren, doch die Ausstattung Dietrich von Grebmers wirkt in einer seltsamen Mischung aus Zeitlosigkeit und Mittelalter-Anspielungen ungewollt zufällig. Und während die Interaktion zwischen den Figuren zwar liebevoll und detailreich erarbeitet ist, bleiben die Personen zu flach, um interessante Charaktere zu sein, und sind auch nie plakativ genug, um als Karikatur gelesen zu werden. Ausgerechnet Frau Fluth, Frau Reich und Anna Reich, die titelgebenden lustigen Weiber von Windsor, wirken geradezu austauschbar, doch auch die Männer sind verhältnismäßig blasse Typen. Fast bekommt man das Gefühl, der Regie fehle es an Einfällen.

Klarheit, und damit auch Wirkkraft, gewinnt die Inszenierung erst im letzten Akt. Anstelle des Mondes, dessen Aufgang vom Orchester fast magisch illustriert wird, erscheint das Gesicht William Shakespeares auf der Bühne und die Versatzstücke des Bühnenbildes gruppieren sich zu seiner Halskrause. Fast schon verschmitzt grinsend und Seite an Seite mit den Konterfeis des Komponisten Otto Nicolai und dem Librettisten Salomon Hermann Mosenthal wacht der britische Dichterfürst über das Bühnengeschehen. Mit viel Glitzer und einer gelungenen Choreographie von Alex Frei wird die Handlung versöhnlich zu Ende gebracht: Falstaff findet in der Muhme (wunderbar grimmig: Angelika Sedlmeier) endlich eine Frau, die ihn auch haben will, alle Ehegatten versöhnen sich und Juan Carlos Falcón und Lukas Enoch Lemcke sind als die erfolglosen Werber Dr. Cajus und Junker Spärlich gar nicht einmal unglücklich darüber, sich versehentlich gegenseitig geheiratet zu haben. Zum guten Schluss zwinkert Shakespeare höchstpersönlich dem Publikum zu und streckt die Zunge heraus. Nehmt euch nicht zu ernst, scheint er zu sagen. Entspannt euch und genießt die Komödie des Lebens. Das ist ein schönes Finale – die gefühlte Leere der ersten beiden Akte kann es jedoch nicht ganz wettmachen.

Gärtnerplatztheater/LUSTIGEN WEIBER v WINDSOR/Jennifer O’Loughlin, Levente Páll /Foto:© Marie-Laure Briane

Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen, warum man Die lustigen Weiber von Windsor denn trotz aller sprachlichen und dramaturgischen Baustellen unbedingt auf den Spielplan setzen muss: Inszenatorisch mag sie unbeantwortet bleiben, musikalisch und darstellerisch ist die Antwort am Gärtnerplatztheater vom ersten Moment an klar: Dieses Ensemble muss diese Rollen singen. Besonders Levente Páll als Sir John Falstaff steht die Rolle des tölpelhaften Verführers fast schon zu gut zu Gesicht. Er spielt seine Rolle mit viel Selbstbewusstsein und Humor, aber ohne sie dabei der Albernheit preiszugeben. Mit seinem weichen, kräftigen Bass ist er auch stimmlich nahezu eine Idealbesetzung für die Rolle. Neben ihm begeistert vor allem Jennifer O’Loughlin als Frau Fluth. Die Sopranistin imponiert mit meisterhaft ausgeführten Koloraturen sowie einem reinen, in allen Ton- und Emotionslagen schlichtweg schönem Belcanto-Timbre. Anna-Katharina Tonauer steht ihr als die Nachbarin Frau Reich mit warmem Mezzosopran und großem Klangfarbenreichtum in nichts nach. Auch die Ehemänner der beiden Damen überzeugen: Matija Meić als Herr Fluth mit wuchtigem und doch schlank geführtem Bassbariton, Timos Sirlantzis gibt Herrn Reich mit kerniger Bassstimme.

Gärtnerplatztheater/LUSTIGEN WEIBER v WINDSOR/Gyula Rab, Juan Carlos Falcón/Foto:
© Marie-Laure Briane

Der musikalische Höhepunkt des Abends aber ist die Lerchenarie. Der Tenor Gyula Rab scheint in der Partie des Fenton seine Paraderolle gefunden zu haben. Sanft und ohne hörbare Anstrengung schwebt seine emotionsreiche Stimme förmlich durch den Raum und bezaubert bestimmt nicht nur die angebetete Anna Reich, souverän gesungen von der Koloratursopranistin Andreja Zidaric. Annas andere Werber, den Junker Spärlich und den Dr. Cajus geben Juan Carlos Falcón und Lukas Enoch Lemcke spielfreudig und humorvoll. Die Gartenszene mit diesen vier Darstellern könnte perfekt sein, doch stört der Geiger, der im Hintergrund spielt. Denn er ist keiner: Die Solovioline kommt aus dem Graben, auf der Bühne steht Florian Hackspiegel, Regieassistent und in dieser Produktion auch Kleindarsteller. Das ist wohl so geplant, denn im Programmheft findet sich ein Foto der Szene mit Hackspiegel. Und so sieht man auf der Bühne einen fast überzeugenden Geiger, die Musik kommt aber eindeutig nicht von der Bühne. Das irritiert und lenkt vom übrigen Bühnengeschehen ab.

Abgesehen davon, dass leider kein echter Geiger auf der Bühne steht, ist das Violinsolo überaus gelungen. Auch sonst ist das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz in Bestform. Am Pult steht Chefdirigent Rubén Dubrovsky. Während der Ouvertüre arbeitet er mit dem Orchester vor allem die romantischen, zauberhaften Klänge der Partitur heraus, sodass man weniger eine fantastisch-komische als eine hochromantische Oper erwartet, jedoch gelingt ihm mühelos der Wechsel zu dem komischen Teilen, die er in einem zackigen Tempo dirigiert, um pünktlich zur Finalszene wieder in die magische Musiksprache des Beginns zurückzufinden. Musikalisch ist diese Neuproduktion also auf ganzer Linie gelungen. Die Inszenierung unterhält – aber leider nicht mehr.

 

  • Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatstheater am Gärtnerplatz / Stückeseite
  • Titelfoto: Gärtnerplatztheater/LUSTIGEN WEIBER V. WINDSOR/Anna-Katharina Tonauer (Frau Reich), Jennifer O’Loughlin (Frau Fluth), Levente Páll (Sir John Falstaff)/Foto: © Marie-Laure Briane
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