Wenn aus der Tragödie eine Burleske wird... oder nicht doch eher umgekehrt?

Richard Strauss (1864 – 1949), Intermezzo, Libretto vom Komponisten  Deutsche Oper Berlin, 1. Mai 2024

Philipp Jekal und Philipp Bengtsson, „Intermezzo“ © Monika Rittershaus/Deutsche Oper Berlin

Richard Strauss (1864 – 1949)
Intermezzo

Libretto vom Komponisten
In deutscher Sprache mit Übertiteln.

Uraufführung 1924 in Dresden

Deutsche Oper Berlin, 1. Mai 2024

von Dr. Bianca Maria Gerlich

„Intermezzo“ – was für ein merkwürdiger, aber doch passender Titel mit doppelter Bedeutung: Zum einen ist das Zwischenspiel einer Ehe gemeint, jene Zeit, die genau inmitten der Ehejahre liegt und die, scheinbar gefestigt, doch noch auf die Probe gestellt wird. Zum anderen gibt es nach jeder Szene musikalische Zwischenspiele, die dem Zuschauer vieles mitzuteilen haben.

Gerade in diesen Zwischenspielen blitzt das musikalische Genie von Richard Strauss auf. Wie Programmmusik illustriert diese Musik die Gefühle und Stimmungen der Figuren, es erklingen lautmalerisch Naturgeräusche und Inhalte werden vorweggenommen oder vertieft. So hören wir Walzerklänge, bevor sich der Vorhang zu der Szene öffnet, die eigentlich Christine Storch und Baron Lummer beim Ball zeigen soll.

Sir Donald Runnicles hat seinem Orchester den verschiedenen Intermezzi entsprechend romantische, dramatische, leise, aber auch spielerische Klänge entlockt, man konnte einzelne interessante Nuancen heraushören, ungewohnte und sehr eindrückliche Klänge, eben typisch für Strauss.

Fast konträr dazu erklangen die Szenen wie ein zuweilen endloses Parlando. Gewiss sollte die Struktur an die Opern der Klassik des 18. Jahrhunderts anknüpfen, aber bei Strauss sind eben Rezitativ und Arie nicht voneinander getrennt, sondern fließen ineinander und sein Fokus lag auf dem Text und der Erzählstruktur.

In Berlin hat man ein ideales Solisten-Ensemble für die Szenen gefunden: Die Hauptrolle und alles bestimmende Partie in diesem Stück ist Christine, die Frau vom Hofkapellmeister Storch. Maria Bengtsson hat diese Charakterpartie hervorragend verkörpert, eine immer an ihren Ehemann gebundene Frau. Ihr Spiel hat berührt und aufgerüttelt. Zudem hat sie diese lange Partie, die hauptsächlich gesungene Dialoge beinhaltet und wenig mit Arien oder anderen Höhepunkten versehen war, ganz ausgezeichnet bewältigt.

Intermezzo © Monika Rittershaus

Die anderen Partien waren der von Christine eher beigeordnet. Auch wenn sie nicht so umfangreich waren, glänzten der eingesprungene Philipp Jekal mit teilweise raumgreifender Stimme als Hofkapellmeister Storch, Thomas Blondelle mit gewohnt ausdrucksstarkem Tenor als Baron Lummer und Clemens Bieber souverän und wohltönend als Kapellmeister Stroh, der natürlich Sir Donald Runnicles bewusst zum Verwechseln ähnlich sah.

Das Ensemble ergänzten mit vollem Spieleinsatz und tadellos gesungen: Anna Schoeck als Kammerjungfer Anna, Markus Brück als Notar, Nadine Secunde als seine Frau, Joel Allison als Commerzienrat, Simon Pauly als Justizrat und Tobias Kehrer als Kammersänger. Lilit Davtyan spielte die Resi. Besonders überzeugend war Elliott Woodruff als acht Jahre alter Franzl, der vortrefflich den kleinen Sohn der Storchs verkörperte und wunderbar synchron zu dirigieren wusste, als sein Bühnenvater zum Schluss den Taktstock ergriffen hat.

Tobias Kratzer zeigt sich für die Inszenierung dieser „bürgerlichen Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ verantwortlich. Er hat das Stück in die heutige Zeit versetzt. Einige Szenen spielen an anderen Orten, so wird aus der Rodelbahn der Berliner Straßenverkehr, der Prater wird zum Flugzeug. Das passt aber alles sehr gut und ist hervorragend von der Bühnentechnik umgesetzt. Entsprechend der Anlage des Stücks hat Kratzer diese beiden Teile getrennt. Während der Szenen ist die Bühne offen, bei den Intermezzi nicht. Die Bühne ist eingerahmt und erinnert an ein Bild bzw. Familienfotoalbum passend zu den Szenen einer Ehe, außerdem ist sie zweigeteilt. Im unteren Teil spielen die Szenen, im oberen Teil werden zuweilen Videos während der Szenen gezeigt.

© Monika Rittershaus

Während der Intermezzi sind meistens Sir Runnicles und die Musiker als großflächige Video-Live-Übertragung aus dem Orchestergraben zu sehen. Das macht Sinn, denn die Musik war die Hauptsache im Leben des Hofkapellmeisters Robert Storch, hinter dem sich ja niemand anders als der Komponist selbst verbirgt. So wird dann im 2. Akt Storch als Dirigent statt Sir Runnicles eingeblendet. Gerade das Verbinden des realen und fiktiven Musizierens ist Kratzer wunderbar gelungen und macht richtig Spaß.

Kratzer zeigt oft Sinn für Humor, vor allem, wenn er demonstrieren möchte, dass es sich um ein biografisches Werk handelt. Strauss hat ja bewusst darauf hingewiesen, in dem er einfach nur einen andern Vogelnamen für den Hofkapellmeister verwendet hat: aus Richard Strauss ist Robert Storch geworden, selbst die Initialen sind dieselben. Diese Anspielung von Strauss wird zum gefundenen Fressen bei Kratzer, der ständig an Strauss und seine Werke erinnert und gern noch eins drauf setzt: So heißt auch die Airline, mit der Storch und Stroh fliegen, „Strauß“. Es ist eben die Airline mit dem Vogel Strauß und nicht mit dem Kranich.

Auch wenn sich in den letzten 100 Jahren die Rolle der Frau verändert hat, geht das Versetzen in die Gegenwart inhaltlich auf, denn der Konflikt des Ehepaares besteht in der Hauptsache darin, dass er als Workaholic oft außer Haus ist und erwartet, dass seine Frau ihm den Rücken frei hält. Sie kann sich daher nicht selbst verwirklichen und zerbricht beinahe daran. Am Ende muss sich Kratzer auf die Metaebene retten. Strauss lässt Christine nämlich am Ende brav ergebend sagen: „Ich werde dir nie mehr widersprechen, ich will dich auf Händen tragen, dir jeden Willen, jeden erfüllen!“ Das kann in der Gegenwart natürlich so nicht stehen bleiben. Sie liest es daher aus der Partitur ab.

© Monika Rittershaus

Das große Drama des Abends besteht also in der Selbstwahrnehmung der Frau Storch und ihrer Interpretation in der Rolle als Ehefrau. Der falsch adressierte Brief, der die scheinbare Untreue ihres Mannes offenbart, ist nur ein weiterer Anlass zur Ehekrise. Auch bei ihrer kleinen Liebelei mit Lummer denkt sie ständig an ihren Ehemann und auch an seine Werke, das ist wunderbar umgesetzt, z.B. indem nicht nur sie in die Kleider der weiblichen Heroen der Strauss-Opern schlüpft, sondern die Kostüme der männlichen Pendants ihrem Liebhaber aufdrängt, der am Ende im Johannes-der-Täufer-Kostüm seinen Kopf auf ein silbernes Tablett legt und wie abserviert wirkt. Er ist nicht wichtig für Christine, aber ihr Ehemann ist eben allgegenwärtig.

Pauline Strauss-de Ahna war Sängerin und hatte eine Karriere vor sich. Sie war nicht begeistert von „Interemezzo“, was nachvollziehbar ist. Was Strauss vermutlich als Ehre seiner Frau angedeihen lassen wollte, nämlich wie verdient sie sich in ihrer Stellung als seine Frau gemacht hat, wird eigentlich ins Gegenteil verkehrt. Kratzer hat es geschafft, dass man am Ende über die Behandlung der Ehefrau empört ist.

„Aber nachdem sich die Tragödie in eine Burleske verwandelt hat,“ sagt Robert Storch zu seiner Frau und freut sich, dass alles wieder so ist wie früher, während seine Frau resigniert hat und nur das Anhängsel ihres berühmten Ehemanns bleibt.

Eine bürgerliche Komödie ist „Intermezzo“ an der Deutschen Oper nicht, auch wenn Kratzer uns oft zum Lachen bringt, eher ist es eine Tragödie mit burlesken Anklängen. Genau darin besteht die Qualität dieser Aufführung.

Schlussapplaus © Dr. Bianca M. Gerlich

Kratzer hat das Thema ernst genommen und nicht Strauss verherrlicht oder gar verlacht, sondern gezeigt, wohin sich eine recht einseitige Beziehung entwickeln kann. Hinzu kommt, dass das Personal der Deutschen Oper mit großem Aufwand an die Ausstattung und  Umsetzung der Ideen von Kratzer gegangen ist, was rundum gelungen ist.

Das war eine hervorragende Aufführung, zugleich lustig und ernst, mit viel Tiefgang und auf hohem Niveau.

Dr. Bianca M. Gerlich, 4. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Intermezzo, Oper in zwei Akten Deutsche Oper Berlin, Premiere am 25. April 2024

Richard Strauss, Elektra Theater Lübeck, 12. April 2024

Richard Strauss (1864-1949), Elektra, Text von Hugo von Hofmannsthal Baden-Baden, Festspielhaus, 31. März 2024

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